The XX - Coexist
Am Sonntagabend sagte der für gewöhnlich gescheite und freche Jan Böhmermann in der zdf.kultur Talkshow Roche & Böhmermann zu der ewig adretten Charlotte Roche: "Das war peinlich, dass konntest Du nicht machen. Nicht bei Max Herre! Musik ist doch immer subjektiv!" Was war passiert? Charlotte hatte Herrn Herre ungefähr im Sinne gesagt, dass seine Texte schlechter Schlager sind!"
Herr Herre, ansonsten Wortakrobat, konterte infantil und wollte Beweise und Beispiele. Das ganze eskalierte, Herre verlies den Saal. Charlotte war fassungslos und sagte u. a., er hätte doch lustig darauf reagieren können!
Interessant bei dem ganzen Boulevardtheater ist die Aussage, dass Musikgenuss "Subjektiv" ist. Also immer aus einer persönlichen Sicht beeinflusst oder bestimmt ist.
Wir haben diese Diskussion in diesem blog bereits häufiger ausgetragen. Die Überlegung, ob man Verrisse schreiben sollte oder nicht geistern zu dem ewig in deutschen Musikmedien und Redaktionen.
Darf man sich also als einzelne Person soweit aus dem Fenster legen und ein künstlerisches Werk verurteilen, wenn man nur autodidaktischer Musikliebhaber ist oder auch wenn dem Ganze ein wissenschaftlicher Hintergrund als Basis dient?
Und ist so ein Verriss letztendlich nur ein Mittel um sich selbst interessanter zu machen. Nutzt man etwas, was viele mögen und als wichtig sehen, für eine persönliche Selbstdarstellung?
Andererseits warum kritisiert heutzutage jeder jeden der anders denkt, eine andere Meinung äußert!
Ich habe ehr eine Antwort auf die zweite Feststellung, denn mit Leidenschaft und subjektiver Beschreibung meiner Beweggründe habe ich nunmehr fast 4 Jahre Erfahrung in diesem blog gesammelt.
Gleichzeitig beobachte ich aber auch eine gewisse Oberfläche. Tagtäglich bemerke ich das gesellschaftsfähige Schwanz einziehen, das JA sagen, dass doch soviel einfacher ist als, eine Aussage zu treffen, dass die neue The XX Platte eine Platte von langweiligen Menschen, für langweilige Menschen ist.
Und, baff, baff, baff, schon ist man mittendrin im Gemängel. Klar, ist es einfacher einen schönen Satz, wie "Coexist ist die einzige Platte unserer Generation, für die sich in 15 Jahren auch unsere Kinder interessieren" zu sagen. Das ist gefällig, schön und nachvollziehbar. Wertfrei, aber leidenschaftlich, emphatisch.
Mein Satz provoziert: Erstmal die Hörer und Liebhaber der Band gedisst und dann die Musiker selbst auf die gleiche Ebene gehoben.
Wo soll man also sonst weitermachen als bei der Musik. Die ohne Zweifel sehr schön ist! Als gediegener Musikliebhaber könnte man jetzt anfangen zu stöbern. Herleitungen, Genres und Verweise aufzählen. Ich bin mir sicher, dass der Erfolg des Londoner Trios sehr stark auf die Musik der 1980er Jahre zurückzuführen ist. Vielleicht ist das auch die Erklärung, dass die Musik insbesondere im Kulturbereich der Zielgruppe 40plus abgehandelt wird. Ist man etwas cleverer, geht man wie Jan Kedves (Süddeutsche Zeitung) vor und zieht mit dem thematischen Kontext R&B und Soul ins Feld. Schliesslich haben sich die "Studiogenies" ja auch mit Legende Gil Scott-Heron beschäftigt.
Ein Trend den ich übrigens seit Monaten bei Plattenkritiken interessiert verfolge und bereits selbst ausprobiert habe. Umso absurder die Herleitung der Gründe und Ansätze, desto schlüssiger offensichtlich die Plattenbesprechung.
Waren es früher geniale Hooks, Texte und unfassbare Gitarrenriffs, so ist es heute offensichtlich der Zauber einer karibischen Steeldrum, die die drei in dem verträumten Stück "Reunion" verwenden, um ihre wenigen Takte aufzufrischen.
Reichen also ein paar traurige, sicherlich sehr sympathische traurige, nachdenkliche Londoner, die schöne Musik machen, geniale Sounds verwenden und damit einen zugegebener Weise, sehr atmosphärisch dichten Sound erzeugen?
Ich weiß es nicht und ich kann es nicht entdecken, da mich ihre Musik nicht erreicht. Habe ich nun keine Ahnung, kein Gefühl, bin nicht mehr fähig künstlerische Analogien zu verstehen. Bin ich blind, taub und dumm geworden. Oder hat Jan Böhmermann letztendlich recht?
An dem Punkt ziehe ich meinen Schwanz ein, zwischen den Zeilen habe ich ja geäussert was mir nicht gefällt. Ärgern aber tut mich die Tatsache, dass der Konsens inzwischen Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens geworden ist.
Subversion, andere Meinungen, Provokationen und analytische Rebellion zählt nicht mehr. Es ist im Grunde genommen genau das was mich ärgert und The XX sind mein Austragungsort. Dafür kann weder die Musik oder das Genie des Trios nichts.
In einer anderen Welt, mit anderer Musik und anderen Wegen zum Musik hören, verstehen und konsumieren, würde diese Band vielleicht zu meinen Lieblingen gehören. Aber nicht in dieser!
Nicht in einer Welt, in der man nicht mehr Melancholisch sein darf, in der intimes, konzentriertes Musikhören nur bei wenigen stattfindet und ein Rezipieren gleichgesetzt wird mit einem Wort aus dem grausamen Kapitel "Unnützes Sprachwissen".
Nun, was soll das also alles? Genau weiß ich es auch nicht! Und ich bin mir sicher, dass Sie lieber Leser, nach dem Hören von "Coexist" viele Fragen und wenig Antworten haben werden. Zumindest wenn Sie genau hingehört haben. Die höchste Beurteilungskarte der Kritik zuziehen, ist nicht immer die richtige Vorgehensweise. Und dieser blog ist und bleibt für meinen freien Geist bestimmt. Wollen Sie Antworten und Fakten, lesen Sie den deutschen Feuilleton. Die Idee dieses blogs, bleibt das archivieren von kulturellen Eindrücken. Und die müssen ab und zu verquer sein!
Nehmen Sie sich ansonsten das raus, was Sie interessiert und überzeugen Sie sich von der Eigenständigkeit dieser Band. Ansonsten lassen Sie es bleiben, aber hören Sie ab und zu mal ein gutes Album. Es macht SIE und UNS zu besseren Menschen....
Swept Away (zum tausendsten Mal)
Alan Lomax