The Last Run - Jerry Goldsmith

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  23. Januar 2010, 12:11  -  #Orchestrale Musik

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Als jemand der Filmmusik hört geht man ein gewisses Risiko ein, da sich die Leidenschaft nur die Musik hören zu wollen, abgekoppelt von dem dazugehörigen Film, verselbstständigt und man nur noch darauf hinaus ist die Musik als eigenständig wahrzunehmen und zu hören. Das ist ein Wagnis, da diese Musikform in aller erster Linie rein funktionale Musik ist und somit vielen Terminierungen unterliegt, insbesondere einer zeitlichen. Insofern begibt man sich auf dünnes Eis, wenn man CD's bestellt von Filmen, die man nie gesehen hat. Die einzige Konstante dabei ist lediglich der Komponist, dessen Stil man im Laufe der Jahre zu schätzen und lieben gelernt hat und sich einer gewissen musikalischen Qualität bewusst ist. Die Prämisse "das wird schon gute und hörbare Musik sein" ist die Leitlinie der man folgt. Häufig ist man von dem Ergebnis enttäuscht oder war von zu hohen Erwartungen ausgegangen oder das Risiko wird, wie in diesem Fall, reichlich belohnt, und wie!

Nach langer Auszeit, insbesondere auch von Jerry Goldsmith, steht dieses Jahr ganz im Zeichen dieses Komponisten motiviert sicherlich auch durch die unermüdliche und bewundernswerte Arbeit der wenigen, dafür aber exquisiten Filmmusik-Labels, die viele alte Musiken neu und in exzellenter Tonqualität auflegen. Der Appetit wird dementsprechend gesteigert und ich bin auf Entdeckungstour gegangen, insbesondere was die Werke dieses Komponisten angeht. In einem Forum bin ich schliesslich auf diese Musik aufmerksam geworden und gestern ist die CD zu 'The Last Run' eingetroffen, zusammen mit 4 anderen sehr unterschiedlichen Filmmusiken. 'The Last Run' ('Wen die Meute hetzt') nimmt aber eine Sonderstellung ein.

Der Film wurde im Jahr 1971 gedreht mit George C. Scott und Tony Musante (!) in den Hauptrollen und muss dem Action Genre zugeteilt werden. Scott spielt darin den Kriminellen Harry Grimes, der einst Fahrer für das organisierte Verbrechen in Chicago war und nun im selbst ernannten Exil in einem Fischerdorf in Portugal (!) lebt. Seine einzige Beziehung ist die zu einer Prostituierten. Eines Tages nimmt er nochmals einen letzten Job an und erklärt sich bereit einen Gangster und seine Freundin über Spanien nach Frankreich zu fahren gehetzt von der Polizei und seinen ehemaligen Auftraggebern. Ursprünglich sollte der Film von John Huston inszeniert werden, dieser wurde aber sehr früh im Projekt durch Richard Fleischer ersetzt, als er sich mit Scott überwarf. 'The Last Run' war kein Erfolg, weder kommerziell noch bei den Kritikern.

Der Beginn der 70'er Jahre waren für den Komponisten Goldsmith sehr aufwühlend und bewegend. Beruflich schrieb er für 'Patton' eine seiner bekanntesten und musikalisch auch innovativsten Musiken, deren 'echoplexing trumpets' in der Folgezeit für viel Gesprächsstoff sorgen sollten und nebenbei viel imitiert wurden. Neben 'Patton' schrieb er für verschiedene andere Genres wie Science Fiction, Kriegsfilme und Western. Privat liess er sich scheiden, war extrem betrübt, als der Oscar für die beste Filmmusik an Francis Lai's 'Love Story' (!) vergeben wurde. Nachdem er die Musik zu Blake Edward's 'The Wild Rovers' geschrieben hatte zog er nach London. In diesen bewegten Zeiten schrieb er in Europa die Musik zu dem hier genannten Film. Die Umstände unter denen ein Musiker seiner Arbeit nachgeht haben mit Sicherheit einen Einfuss auf die Musik die er komponiert und auch wenn Filmmusik-Komponisten einen Auftrag abarbeiten, so geht vielleicht ein Grossteil ihrer Persönlichkeit und inneren Verfassung auch in die Musik über, trotz der eindeutigen Vorgaben durch das Sujet.

Ich habe die Musik zu 'The Last Run' ein einem Rutsch durchgehört und es folgte ein Begeisterungssturm nach dem anderen. Zweifelsohne atmet die Musik den Geist der 70'er Jahre, insbesondere was die Musik betrifft. Historisch gesehen waren diese Jahre eine Umwälzung in Hollywood, das Alte Studio-System gehörte der Geschichte an, viele junge Filmemacher definierten das Kino neu und die Komponisten des Golden Age gab es nicht mehr. Musiker wie Lalo Shifrin, Quincy Jones, Jerry Fielding und auch Goldsmith drängten nach vorne. Mit ihnen veränderte sich auch die Filmmusik, was man 'The Last Run' deutlich anhören kann. Die Musik ist unüberhörbar beeinflusst von der Popmusik, vom Blues, bluesigen Melodien, Funk und einem prominenten Bass. Das reizvolle an solchen Kompositionen ist dann die Kombination dieser (u.a.) Stilmittel des Pop in Verbund mit dem Orchester, was wiederum dazu führt, dass jemand wie ich, der beide beide Seiten zu schätzen weiss, ins Schwärmen gerät, weil natürlich der Speicher im Kopf beides ohne viel Aufwand abrufen kann und das Hören leicht fällt.

Die Musik beginnt mit dem 'Main Title' einem melancholischen Thema gespielt von einem Cimbalom, einem zitherähnlichen Saiteninstrument, welches seit tausenden Jahren bekannt ist und auch viel in Osteuropa gespielt wurde. Nach einigen Takten übernehmen das Cembalo und eine E-Gitarre und schliesslich ein Saxophon. Leise spielen die Streicher im Hintergrund. Die Melodie ist eingängig aber auch komplex und liefert zum einen das Kolorit für Europa und die Stimmung des Hauptdarstellers. Meisterhaft wie Goldsmith es in 2:53 min schafft eine präzise Atmosphäre zu kreieren und solche Emotionen aufkommen zu lassen.

In 'Border Crossing' kommen dann die 'funky bass lines' und die Gitarre wieder zum Zuge diesmal unterstützt von Bläsern. Perfekt wie das Tempo variiert wird. Sich gegenseitig kreuzende musikalische Linien machen die Musik äussert hörbar und mitreissend, u.a. kommt auch ein Xylophon zum Einsatz. Der popmusikalische Einfluss ist hier unüberhörbar.

Ein absoluter Höhepunkt auf der CD ist der Track 'Spanish Coast'. Nachdem die drei Protagonisten zur Ruhe gekommen sind spielt eine akustische Gitarre alleine auf und sofort kommen Assoziationen an Spanien hoch. Was Goldsmith aber im folgenden daraus macht ist atemberaubend. Orchester, Bläser und Streicher setzen ein und treiben das Stück in ungeahnte Höhen dessen Basis ein Bolero-Rhythmus ist. Kastagnetten und Streicher in höchsten Oktaven: das Herz eines jedes Filmmusik-Hörers schwebt davon. Man hört hier eindeutig die Streicher und ein Motiv, welches Goldsmith in seinem Meisterwerk 'Der Wind und der Löwe' zur Perfektion treiben sollte. Grosse Filmmusik!

Immer wieder verursacht die Kombination aus dem klassischen Orchester und den Pop-Stilmitteln eine Euphorie nach der anderen und man ist erstaunt über welche musikalischen Mittel dieser grossartige Komponist verfügt, so z.B. in dem Track 'Claudie's Stockings'. Aber auch die Action Passagen sorgen für grossen Spass und es lohnt hinzuhören wie Goldsmith die Spannung aufbaut und mit welchen musikalischen Mitteln, bzw. Instrumentierung er das macht.

'The Last Run' von Jerry Goldsmith war eine echte "Entdeckung", wenn auch bereits vor einiger Zeit auf CD veröffentlicht und ist allen die sich für Filmmusik und insbesondere Goldsmith interessieren ohne Zweifel ans Herz zu legen. Der Silberling wird mit Sicherheit einer 'Heavy Rotation' unterliegen, sowohl zuhause als auch im Auto mit aufgedrehtem Volume. Ich kann den Komponisten für seinen Erfindungsreichtum und die Schönheit seiner Musik nur bewundern und freue mich jetzt auch auf die vollständigen Wiederveröffentlichungen von 'Islands in the Stream' und 'The Blue Max'. Was für ein grossartiges filmmusikalisches Jahr! Erst gestern habe ich mit Jubel und grenzenloser Freude vernommen, das endlich die Musik zu 'Black Sunday' von John Williams veröffentlicht wurde, einer Musik, auf die Filmmusik Freunde auf der ganzen Welt seit nunmehr fast 30 (!) Jahren gewartet haben!

Rick Deckard

 
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