Telstar – Mad Men Season 2, Folgen „Das Erbe“ und „Der Jet-Set“ und Serien im Ganzen
Spoiler!
Nach dem Don Draper von seiner Frau rausgeworfen wurde und er sich tiefer denn je in einer Sinnkrise befindet, kommt die geschäftliche Reise nach Los Angeles gerade recht. Am Ende der Folge „Das Erbe“ sieht man ihn im Flugzeug sitzen. Nach einer fast gespenstischen Stille in der Abfolge der Ereignisse, dieser Schlüsselfolge, wirkt der Song „Telstar“ (The Tornados) fast wie das einzige mögliche spielbare Lied in dieser Sequenz. Durch das kleine Flugzeugfenster scheint die Sonne in Drapers Gesicht. Telstar setzt ein, das Flugzeug startet. Die Folge ist zu ende!
Nach dem ersten Eindruck eine vielleicht nicht wirklich wichtig zu erklärende Sequenz, nach längerem Nachdenken und im komplexen Zusammenhang der gesamten Geschichte, eine der besten Momente der Fernsehgeschichte:
Telstar war der erste Satellit der ins All geschossen wurde, der es ermöglichte Live-Fernsehsendungen zwischen Europa und den USA zu übertragen. In der Rezeption der damaligen Jugendkultur hatte dieses Ereignis, einen wichtigen Stellenwert. Unterstützt natürlich zusätzlich von dem Song „Telstar“ der Briten „The Tornados“. Übrigens der erste Nummer-Eins-Hit einer europäischen Band in den USA.
Matthew Weiners Idee diese pop- und kulturellen Tatsachen mit Drapers Sinnkrise zu verbinden, der zusätzlich einen Astronautenkongress besuchen will, dort aber durch einen Zufall das süße Jet-Set leben kennenlernt. Ist spektakulär bis furios. Diese zusammengerechnet 80 Minuten sind wie ein dreiminütiger Popsong, den man immer wieder sehen bzw. hören will.
Die fundamentale Subsummierung der Popkultur in einer Fernsehserie und ein Höhepunkt der televisionären Serienkunst des neuen Jahrtausends!
Im Rausch dieser Eindrücke dann die bisher (aus meiner Sicht) beste bisherige Folge von „Mad Men“. „The Jet Set“ ist aus vielerlei Hinsicht eine Wucht, obwohl von vielen Fans als unrund und nervig beschrieben.
Draper trifft auf die Familie „Joy“ die völlig ungewöhnlich daher kommt. Die ganze Sequenz in der offensichtlich gemieteten Villa in Palm Springs wirkt merkwürdig diffus. Nach längerer Überlegung aber genau richtig angelegt. Atmosphärisch auch merkwürdig, weil auf einmal aus dem deutschen Fernsehalltag bekannte Gesichter, wie Philippe Brenninkmeyer (Willy) auftauchen. Eine übrigens glanzvolle Vorstellung. Warum nun ist die Folge so beeindruckend? Weil Weiner in seiner Dramaturgie einen sensationellen Schritt geht. Er überspannt den Bogen um Draper und mutet den Fans der Serie zuviel zu. Und das im positiven Sinn. Drapers Verhalten wird immer unerträglicher für den moralisch aufrichtigen Menschen des Jahres 2010. In seinen Selbstzweifeln stürzt er sich in die nächste Affäre. Man kann ihn eigentlich nur hassen. Insbesondere in dem Moment, als er mit seiner neuen 21-jährigen Gespielin im Pool vergnügt und ein kleiner Junge, ihn dabei beobachtet. Die Erinnerung an sein Zuhause und seine eigene Familie blendet er aus. Draper ist in einer neuen Liga angekommen. Man muss sich Sorgen machen. Es ist unfassbar, welche literarische Leistung Matthew Weiner hier seinen Zuschauer kredenzt. Es ist unfassbar genial!
Ich bin so dermaßen bewegt, dass ich das erstmal loswerden muss. Denn es ist etwas wirklich besonderes, eine so vielfältige, dramatische und komplexe Geschichte sehen zu dürfen.
Parallel schaue ich mir gerade Lost 5 an. Der Spannungsbogen, die Vielschichtigkeit der Handlungsstrenge und die damit verbundene Spannung ist sensationell. Entertainment als das allerbeste!
Aber „Mad Men“ ist eine wahrhaftige Perle, ein Kunstwerk und jeder Mensch der sich nur Ansatzweise für gute Geschichten interessiert, in welcher Form auch immer, begeht ein Sakrileg, wenn er sich das nicht ansieht.
Wenn man erst einmal anfängt, die Hintergründe für das alles zu recherchieren, dreht man tatsächlich ab! Ein Stichwort ist z. B. Joe Meek. Meek komponierte „Telstar“ und offensichtlich gilt es nun, mehr über diesen Herren zu erfahren. Mit-Interessierte sollten sich hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Joe_Meek einlesen. Das Kopfschütteln der Begeisterung und die damit verbundene Empathie zur Vielfalt eines Produktes, welches man dem durchschnittlichen Deutschen Fernsehpublikum nicht zumuten kann http://lomax.over-blog.de/article-mad-men-cologne-conference-58031764.html ist schon einzigartig. Aber genauso funktioniert Popkultur. Extrem komplex, vielfältig, interpretationswürdig und niemals endend. Wundervoll, einfach wundervoll.
Und diese ganze versteckte Vielfalt die Jugend- und Popkultur der sechziger Jahre zu entdecken, macht in der Gänze der Möglichkeiten natürlich auch in der Fiktion Spaß. So kann man auf der letzten DVD der fünften Staffel von „Lost“ die Entstehungsgeschichte der DHARMA Initiative sehen. Wenn man dann anfängt im Internet zu recherchieren, ist man Monate beschäftigt.
Einfach wunderbar!
Alan Lomax