'Tarantella' - Lars Danielsson

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  25. Februar 2010, 17:26  -  #Jazz

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Ich konnte mich selbst bisher selten motivieren dem Jazz der alten Welt Gehör zu schenken. Letztes Jahr haben Lomax und ich einen Versuch gewagt uns dem hiesigen Jazz zu nähern, aber auf Grund anderweitiger Interessen versiegte dieser Pfad. Daher war ich erleichtert und auch froh, dass mein Kollege 'El Rocco' mir vor einigen Tagen diese CD schenkte. Bis dato kannte ich weder Danielsson, noch die anderen Musiker auf diesem Album. Lars Danielsson ist ein Bassist und Cellist schwedischer Herkunft. Die Legende besagt, dass nachdem er Niels-Henning Oersted-Pedersen (grandioser dänischer Bassist und häufiger Partner von dem überlebensgrossen Oscar Peterson) live gesehen hat, sich dem Jazz zuwandte. Er hat mehrere Alben mit wechselnder Zusammensetzung eingespielt und auch viele Live Konzerte gegeben.

Was mir bei dieser, meiner ersten europäischen Jazz-CD auffiel, war zunächst die Zusammenstellung der Instrumente: neben Bass, Klavier, Trompete und Gitarre kommen auch Cello, elektrischer Bass, Cembalo und Celesta zum Einsatz. Unter letzterem versteht man ein Idiophon (Selbsttöner oder Selbstklinger) in der Form eines Harmoniums, dessen Töne an ein Glockenspiel erinnern. Das finde ich für eine Jazz Band erstaunlich vielfältig und das Resultat klingt auch genauso.

Es ist schwer in Worte zu fassen, aber auch ohne die Kenntnis, dass dies europäische Jazzmusiker sind würde man sofort beim Hören auf die Idee kommen, zu sehr sind die Klänge und Ideen europäischem Gedankengut verschrieben. Die einzelnen Stücke sind insgesamt sehr abwechslungsreich und die o.g. Ideen werden mit verschiedensten musikalischen Mitteln umgesetzt. Es spielen entweder nur Melodie- und Rhythmusinstrument zusammen oder auch alle Instrumente zusammen und erzeugen so durch ihre Gleichberechtigung sehr reichhaltige Klänge und Farben. Und diese Klangfarben haben ein weites Spektrum über Klassik, Barock und auch Orientalik, so dass beim Hörer ständig Neugier erzeugt wird.

Ein grosser Vorteil dieser hier präsentierten Musik ist, dass man ihr gut folgen kann, sie nachvollziehbare Melodien entwickelt und in der Lage ist einen beim gesamten durchhören in eine bestimmte Stimmung zu versetzen. Diese Stimmung ist aber keine euphorisch-joviale, sondern eine eher gemässigt-ruhige mit einem Hauch Melancholie ohne schwermütig zu sein. Es ist etwas, wie 'El Rocco' richtig formulierte, für den "späten Abend".

Was noch auffällig ist, ist die Tatsache, dass die Leidenschaften hier sehr gezügelt und kontrolliert, manchmal fast mathematisch durchdacht sind. Der Effekt dieser Musik ist distanziert-berührend, sie lässt es nicht zu, dass man sich in ihr auflösen kann, dazu ist sind die Kompositionen zu "streng", zu kalkuliert, was aber nicht heissen will trocken oder kopflastig, keineswegs. Die Stücke versprühen durchaus Emotionen, die aber entdeckt werden wollen, sie kommen nicht mit offenen Armen auf einen zu. Gezähmte Wildheit oder kontrollierte Improvisationen sind das Stichwort.

Auffällig und auch imposant ist das Klavierspiel von Leszek Mozdzer: technisch perfekt, sehr präzise und akzentuiert, häufig aber auch fragmentarisch und verspielt. In den Läufen merkt oder hört man ganz deutlich die klassische Ausbildung oder die Liebe zu dieser Musik. Ob das gewollt ist oder spontan mag ich nicht sagen, aber wichtig ist diese Frage im Hinblick, ob solche Exkursionen gewählt werden, um den europäischen vom amerikanischen Jazz bewusst zu unterscheiden? Auf jeden Fall spielt sich dieser Akteur auf dem Album deutlich heraus und es macht Spass ihm zuzuhören.

Es ist eine Frage ob, nein es scheint eine Tatsache zu sein gerade nach dem Hören dieses Albums, dass Jazz ein doch sehr weit gesprengter Begriff ist und in seinem Ansatz, wie hier zu hören, äusserst unterschiedlich interpretiert wird. Stück Nr. 3 'Traveller's Wife' z.B. hat das Cello als einziges Instrument im Vordergrund. Es gibt keine Percussions, es ist sehr barsch und in der Wirkung 'Verzweiflung' suggerierend. Melodiebögen werden jäh von dissonanten Klängen unterbrochen. Das erfordert einiges an Hördisziplin. 'Ballet' dagegen ist eines der Höhepunkte auf dem Album: Mozdzer spielt eine weiche, sehr sensible Melodie und das Wechselspiel zwischen Bass und Klavier ist absolut hörenswert und sich gegenseitig perfekt ergänzend. Das Klavierspiel geht emotional sehr in die Tiefe und der Bass übernimmt diese vom Klavier gespielte Melodie, so dass man als Hörer von ein und derselben Tonfolge anders beeindruckt wird. Interessant ist, dass sowohl bei diesem Stück, als auch dem folgenden 'Across The Sun' überdeutlich mediterran-spanische Klänge evoziert werden. Letzteres ist ein sehr bildhaftes Stück, bei dem insbesondere die sonnendurchfluteten Weiten eines Landes vor dem Auge auftauchen, die Hitze sehr plastisch versinnbildlicht durch das Blech des Schlagzeugs. Gitarre, Bass und Trompete spielen die Melodie.

'1000 Ways' ist ein Beispiel für die oben erwähnte Exotik mit orientalisch anmutenden Percussions, phasenweise an Tablas erinnernd. Ein in sich ständig steigerndes Stück, spontan und ekstatisch klingend mit Stimmeinwürfen. Ebenso auch 'Introitus', welches aber atonal klingt, schwer zugänglich ist und avangardistisch-orientalische Klänge hervorruft. Sehr interessant insgesamt wie die Percussions, also das Schlagzeug eingesetzt wird. Letzteres ist neben seiner eindeutigen Zugehörigkeit zur Rhythmus-Section auch für sich genommen ein sehr eigenständiges Instrument, welches sehr schöne und interessante Töne hervorrufen kann.

Insgesamt hat mich diese Musik überzeugt und auch geöffnet für den Jazz aus Europa. Man muss Muße und Willen mitbringen, damit diese Art des Jazz seine volle Wirkung entfalten kann. Gründe etwas nicht zu hören gibt es immer genügend und Vorurteile auch. Davon muss man sich befreien. Es ist nie leicht wenn man eine vorgefertigte Einstellung und Meinung von Musik hat, sich dann vom Gegenteil überzeugen zu lassen, aber das Ergebnis zählt unter dem Strich und 'Tarantella' war in dieser Hinsicht ein Gewinn und eine Öffnung in andere musikalische Sphären. Ausufernde Soli sind eher die Rarität, wenn auch sicherlich Improvisationen und Soli als als solche vorhanden sind, aber es wird viel mehr Wert gelegt auf das gemeinsame Musizieren und ich hatte den Eindruck, dass hier alle Instrumente gleichwertig aufgestellt sind als ein homogener Klangkörper.

Wohltuend anderer Jazz.

Rick Deckard

link zu 'Tarantella' auf youtube



 
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