Super-Balduinar
Mitte der 60er Jahre entbrannte zwischen Forschern und Entwicklern des Farbfernsehens ein heftiger Streit. Die Europäer entwickelten ein System das ohne manuelle Korrekturen der Farbtöne auskam. Das Ergebnis war das PAL-System. Die Amerikaner versuchten es mit der automatischen Variante NTSC. Die verschiedenen Systeme hatten später bei der Entwicklung im Home-Cinemabereich ungeahnte politische und kommerzielle Folgen.
Der verwirrte, liebenswerte und geniale Professor Bienlein entwickelte in dem besten aller Comicvorlagen „Die Juwelen der Sängerin“ den Farbfernsehstandard „Super-Balduinar“. Hergé immer am Zahn der Zeit was aktuelle Forschungsthemen angeht, machte sich mit dem von Bienlein entwickelten System, dass offensichtlich die Fehler beider Systeme enthielt, über die realen Vorbilder lustig.
Würde Hergé nun die wunderbare Bildzusammenfügung in der arte Reportagereihe „Auf Reisen mit Tim und Struppi“ sehen, müsste seine Stimmung wechseln. Aus der Persiflage der Farbsysteme ist Realität geworden. Und zwar insofern, dass es sich nun nicht nur um konkurrierende Farbsysteme handelt, sondern um Fiktion und Wirklichkeit. Die Dokumentationsreihe von Henri de Gerlache und Marc Temmerman in Zusammenarbeit mit der Hergé-Stiftung verfolgt eine schwierige Idee: Die Geschichten aus den Comicalben werden an den jeweiligen Originalschauplätzen nacherzählt. Die Zeichnungen werden dabei zum Teil in die Filmsequenzen eingebettet.
Das ist eine wunderbare Idee, die Hardcorefans wie mich zu lauten Aufschreien bringt, wirkt manchmal aber auch etwas sperrig. Das ist keine einfache Unterhaltung, sondern der Versuch die Welt von Tim & Struppi auf ein neues kulturelles Niveau zu bringen.
Für Menschen die weder das Leben noch die Leidenschaften des Künstlers Hergés kennen, vielleicht auch nicht über die zum Teil komplexen Handlungen der Abenteuer informiert sind, dürfte das wertloses Farbfernsehen sein. Das ist Schade, den ich bin der Meinung, dass Tim & Struppi jedem Menschen zur Verfügung gestellt werden sollte und nicht ein Teil der kopflastigen Hochkultur werden sollte.
Andererseits ist dieses Experiment mit so viel Liebe und Detailversessenheit entwickelt worden, dass es einem die viel zitierten Tränen in die Augen treibt.
Auf der arte Seite: www.arte.tv gibt es sehr ausführliches Begleitmaterial, sowie die einzelnen Folgen als Webcast, hoffentlich noch lang genug zur Verfügung, damit jeder die Chance hat sich sein eigenes Bild zu machen.
Alan Lomax
Lesen Sie auch: http://lomax.over-blog.de/article-34766282.html