Steve Smith And Vital Information - Live! One Great Night

von Rick Deckard  -  22. August 2012, 22:04  -  #Jazz

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Das Album

One Great Night beginnt mit "Cat Walk" und einem knackigen Schlagzeug Solo. Der Anfang legt den Grundstein für die kommenden knapp 60 Minuten: Groove, Funk & Swing. Die Musik ist klar umrissen: präzise, direkt und ohne Ballast. Sie sprüht vor Lebendigkeit und Energie. Live muss das ein mitreißendes Erlebnis gewesen sein! Wer sich ein Bild machen will: Das Album CD/ DVD (mit dem Zusatz-Titel "Positano") wird am 24.08.12 erscheinen.

Unweigerlich fühlt man sich an vergangene Zeiten erinnert, in denen Fusion dominierte, der Jazz sich wandelte und eine lange Tradition anfing sich aufzulösen. Doch Smith und seine Band verlieren sich nicht in Nostalgie und Hommage, sondern kreieren einen eigenen, durchdringenden und unverwechselbaren Sound, der sich gleich im nächsten Stück "Time Tunnel" manifestiert. Das Tempo wechselt, mit ihm die Stimmungen. Der Titel verströmt eine gelassene Atmosphäre, trotz des gelegentlich hohen Tempos. Ich versuchte mich auf das Gesamtbild der Musik zu konzentrieren, aber meine Ohren zog es immer wieder, wie von einer unsichtbaren Schnur gezogen, zu dem Schlagzeug von Smith: druckvoll, dynamisch und mit viel Gespür für Rhythmus.

Die ersten Takte von "Interwoven Rhythms - Synchronous" schwelgen zunächst in leicht orientalisch anmutenden Klanggefilden, bis das Schlagzeug beginnt den Takt anzugeben. Diese Momente liebe ich: Unvorhersehbarkeit. Was dann folgt lässt mich staunen! Parallel zur Musik intonieren Smith und Gitarrist Valentino mit der Stimme einen Rhythmus. Ich hatte mit allem gerechnet, nur nicht mit der Tatsache, dass amerikanische Jazz Musiker indische Musiklehre in ihre Stücke aufnehmen (ist nicht neu, muss sich auch nicht widersprechen und hat auch seine Berechtigung, trotzdem ist es faszinierend!).

In Indien gibt es kein klassisches Schlagzeug als Rhythmus-Instrument, sondern die Tablas, zwei Pauken, die mit den Händen vom Spieler geschlagen werden, mit den Fingern und den Handballen. Der Lehrer gibt dabei beim Training mit seiner Stimme einen Takt/ Rhythmus vor und der Spieler versucht diesem Takt mit seinen Händen auf dem Instrument zu folgen. Es stimmt glücklich, dass Menschen Kulturen übergreifende Musik machen!

Das Stück geht nahtlos über in "Seven And A Half". Ein energisches Stück mit viel Freiräumen für die einzelnen Spieler. Interessant, dass sich hier Genres überschneiden. Valentino spielt ein furioses Solo, dass eindeutig dem Rock zugeordnet werden kann. Die Musiker sind in einem konstanten Vorwärtsdrang, variieren stets Melodie und Rhythmus und sorgen so für Abwechslung.

"Khanda West" ist ein Einschub von 1:56 min, in dem Smith eine erstklassige Solo-Performance abliefert.

Yeah! "The Trouble With" spielte ich in den letzten Tagen beim Autofahren. Ein herrlich beschwingtes Stück. Vinny Valentino beeindruckt mit seinem Spiel auf der Gitarre. Bei diesem Stück spielt sich Keyboarder Tom Coster mehr und mehr in den Vordergrund mit fließenden und druckvollen Läufen.

Mit "Interwoven Rhythms - Dialogue" folgt Teil 2 der kulturellen Fusion. Das Keyboard erschafft zunächst sphärische Klänge, bis die o.g. Konnakol-Rhythmen sich mit westlich geprägten Stimmmustern abwechseln. "Faszinierend!" würde Spock sagen! Die Gitarre spielt Melodie und Rhythmus nach, konterkariert die Stimme manchmal auch. Gegen Ende nimmt das Stück merklich an Fahrt auf. Mir kam bei diesem Stück ein Gedanke: Es ist verwunderlich, wie sich Menschen in verschiedenen Kulturen hinsichtlich des musikalischen Ausdruckes einer Stimme unterscheiden und wiederum auch nicht, wie unterschiedlich und doch gemeinsam unser Erbe ist. Ich musste in diesem Zusammenhang unweigerlich an Scat Gesang denken.

Beides Scat und indische Konnakol-Rhythmen (ein Sprechgesang, verwurzelt in der südindischen Musik) gehören zur Vocal Percussion, also der Nachahmung von Perkussionsrhythmen durch die Stimme. Man kennt es auch aus dem Hip HoP: Das Beatboxing. Vergleich Sie mal alle drei miteinander, Sie werden staunen!

"The Closer" ist ein 11:10 min Kracher, in dem sprichwörtlich "die Post abgeht". Baron Browne spielt unfassbar schnelle Läufe auf seinem Bass, perfekt unterstützt und angetrieben durch Smith. Valentino improvisiert auf der Gitarre. Nach 2:53 min gibt es einen kurzen Cut und der Drive geht zunächst unvermittelt weiter. Die Band nimmt sich im Weiteren bezüglich des Tempos etwas zurück und bietet dem Bassisten Raum für ein langsameres, leicht introvertiertes Solo. Im Anschluss übernimmt Valentino mit seiner Gitarre und treibt das Stück mit rockigerer Gebärde weiter und die ganze Zeit funkelt, kracht und blitzt es in allen Farben. Coster darf selbstverständlich in dieser Zusammenballung nicht fehlen! Ein Hammer-Track!

"Jimmy Jive" erinnert, ganz wie der Titel das suggeriert, an Tanzen im Club, dabei spielt Tom Coster sein Instrument (Hammond B3 und Synthesizer) so, als würde es die Stimme imitieren, teils pur, teils verfremdet wie durch einen "Vocoder" klingend. Ein wunderbares Ende eines in der Summe faszinierenden und im wahrsten Sinne des Wortes "vitalen" Albums.

Am 09.11.2007 wurde die Musik in der Kneipe 'The Mobius' in Ashland, Oregon aufgezeichnet, nachdem die Band bereits ein Jahr lang auf Tournee war und somit bestens eingespielt. Die CD ist ein eindeutiger Beleg für lebendigen Jazz, aber wie so oft erschliesst sich dieser in der Gänze meistens durch die Optik. Die DVD zeigt das Temperament und die Impulsivität unverfälscht.

http://www.vitalinformation.com/

Die Band

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Der Bassist Baron Browne (2.v.l.) hat mit Musikern wie Gary Burton, Billy Cobham und Tom Jones zusammengespielt. Zitat Smith:"Baron bringt ein amtliches Groove Element in die Band ein. Er ist der Bassist, mit dem ich am liebsten zusammenspiele, weil er alle Stile drauf hat. Bei ihm fühlt sich einfach jede Musik gut an."

Tom Coster (ganz rechts) ist jemand, der nicht nur Synthesizer, die Hammond B3 und das Akkordeon spielt, sondern im Grunde alle Tasteninstrumente beherrscht. Er musizierte zusammen mit dem ungarischen Gitarristen Gábor Szabó, sowie dem Saxophonisten Rahsaan Roland Kirk. Berühmtheit erlangte er an der Seite von Carlos Santana. 1986 wurde er Mitglied in der Formation Vital Information.

Gitarrist Vinny Valentino (ganz links) stiess 2006 zur Band. Als Vorbild gibt er George Benson an (und wenn man das weiß, dann hört man den Einfluss auf diesem Album auch hier und dort heraus): "George Benson live zu hören, war ein Wendepunkt für mich, diese Erfahrung hat mir wirklich die Augen geöffnet." Er schloss sein Jazz Studium mit dem Bachelor Of Music an der Howard University in Washington, D.C. ab und spielte in der Folge mit Randy Brecker, John Patitucci, Bob Moses und Steve Gadd zusammen.

Steve Smith, der sich bereits als Kind von den 'marching bands' inspirieren liess, begann seine Karriere Mitte der 70'er Jahre. Er studierte an der Berklee College Of Music in Boston. Noch während des Studiums spielte er mit Buddy DeFranco und später mit Jean-Luc Ponty zusammen (auf Enigmatic Ocean). Bis in die 80'er Jahre spielte er in der Band 'Journey' und gründete dann die Band 'Vital Information'. Neben seiner Tätigkeit als Drummer bei dieser Band spielte Smith mit Musikern wie Bryan Adams, Mariah Carey, Zucchero, Steps Ahead, Ahmad Jamal, Zakir Hussein, und Stanley Clarke.

Live: One Great Night

Das Album bietet mitreissende Musik, ganz in der Tradition und Weiterführung des Fusion-Jazz, angereichert um faszinierende musikalische Ideen. Es weis auf voller Länge zu begeistern mit reichlich Funk, Groove & Swing. Eine Veröffentlichung, die beweist, dass der Jazz in all seiner Bandbreite und Farbigkeit nach wie vor präsent ist.

Lassen wir zum Ende Mr. Smith zu Wort kommen:"In unserer Musik kann sich jeder individuell ausdrücken und neu erfinden. Mittels Swing, Groove und viel Kreativität blühen wir so richtig auf. Wir wollen uns gegenseitig an jedem Abend auf der Bühne mit neuen Ideen überraschen und das Publikum in den Moment des Kreativprozesses mit einbeziehen."

That's Jazz!

Rick Deckard 

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