Silence - Charlie Haden mit Baker, Pieranunzi und Higgins
Charlie Haden begleitet mich immer wieder seit Jahren eher zufällig als gezielt durch den Jazz. Das erste mal wurde ich aufmerksam auf sein Spiel, als ich einen Track (Sail Away) aus dem Album 'Wanton Spirit' hörte, auf dem er zusammen mit Kenny Baron und Roy Haynes zusammen spielt. In der Folgezeit hörte ich Auszüge aus 'Not In Our Name' mit dem 'Liberation Music Orchestra' und sein wunderschönes, sehr stimmiges Album 'Land Of The Sun' mit Gonzalo Rubalcaba. Gestern nun 'Silence' - ich bin beim Jazz eher auf Trompete, Saxophon und Klavier fixiert und höre selten Musik, bei denen Bassisten die Bandleader sind oder im "Vordergrund" stehen. Der Bass ist für mich immer Teil der Rhythmusgruppe und ich konnte auch den Soli bisher wenig Begeisterung abgewinnen. Umso mehr war der Ausschlag gebende Grund dieses Album zu laden weniger Haden, als die anderen Mitstreiter. Wobei ich sagen muss, dass der Schwerpunkt auf diesem Album überhaupt nicht auf Haden und seinem Bass liegt, er ist lediglich der Leader.
Gestern gab es endlich einen warmen Tag, teilweise so angenehm, dass man im T-Shirt der Sonne begegnen konnte. Aus privaten Gründen musste ich den Tag über körperlich arbeiten und am Abend hatte ich den unbedingten Wunsch Musik zu hören. Auf der Suche nach neuen Alben sah ich (mal wieder zufällig) dieses feine Cover mit dem Meer, den Segelbooten und der Weite und meine Wünsche und Assoziationen hatten bildlich ihr Pendant gefunden. Ich habe das Album sehr genossen und in einem durchgehört. Ideal um Abends zu entspannen. Eingängige Stücke, die Stimmungen wechselnder Jazz und schöne Improvisationen über Themen mit eigenen Kompositionen und Standards.
Im ersten Stück 'Visa' von Charlie Parker ist der Swing unüberhörbar, Baker improvisiert und man hat das Gefühl, sowieso wie das ganze Album hindurch, dass die 'Virtuosität' bewusst im Zaum gehalten wird. Haden spielt seinen Bass mit klaren Verweisen auf den Be Bop und Pieranunzi liefert fragmentarischen Klang, der bisweilen an T. Monk erinnert. Das Thema wird von allen Spielern aufgenommen und am Ende an Baker weitergereicht. Ein spielerischer Anfang.
Der Titeltrack komponiert von Charlie Haden beginnt mit dem Klavier in Moll und bereitet die Grundstimmung des Stücks. Die Trompete von Baker nimmt die Töne und Stimmung auf. Man kommt unweigerlich zur Ruhe, auch ein wenig Wehmut kommt auf. Die Ruhe wird sprichwörtlich musikalisch sehr stimmig und harmonisch bebildert und hat am Ende fast meditativen Charakter. Ein Track für einen Whiskey an der Bar am sehr späten Abend.
'Echi' von Pieranunzi steigert das Tempo mit einem sehr einnehmenden Klavierspiel, bei der man jetzt auch mal Läufe der rechten Hand hören kann. Gerade bei diesem Stück ist die Freude am Jazz sehr gross, weil Higgins im Hintergrund ein unglaubliches Drumming hinlegt - unterstützender Charakter ohne Frage, aber doch eigenständig und dezent auf sich aufmerksam machend. Wunderbar. Sowieso wird der Fokus in diesem Stück auf Rhythmus gelegt und das Tempo immer wieder variiert - auch eine Nummer um wunderbar zu entspannen.
Das nun folgende 'My Funny Valentine' ist mal zur Abwechslung eine schnelle Variation des Klassikers und hat mir ausgesprochen gut gefallen, da hier das melancholische Element des Songs ausgeschlossen wurde und das Stück trotzdem perfekt funktioniert. Eine Nummer zum Finger schnippen, nicht zuletzt wegen dem Spiel von Billy Higgins. Grossartig wie Chet Baker hier phrasiert, improvisiert und in mittleren Oktaven singt. Man wünscht sich fast eine Big Band dazu. Ein Song (in dieser Aufmachung) zu dem man in einem Cabrio fahren sollte, der Wind umweht den Kopf, die Sonne schmeichelt der Haut und die rechte Hand wird gegen den Wind gehalten und macht den 'Lomax'schen Flieger'
'Round about Midnight' von Thelonious Monk wird hier in einer 11 min. Version dargeboten. Baker lässt sich überhaupt nicht von dem Klassiker Status beeindrucken und spielt introvertiert sein Ding. Nach 4 min. übernimmt Pieranunzi sehr geschickt die melodische Linie und später nimmt Haden mit seinem Bass auf. Es fällt immer wieder auf, dass das Spiel von Haden insgesamt sehr zurückhaltend und bescheiden ist. Oft nimmt er das Tempo heraus und reduziert alles auf einige wenige Töne.
'Conception' bildet dann einen perfekten Abschluss. Baker und alle anderen sind in Topform und Spiellaune, auch Pieranunzi taut auf und seine rechte Hand erinnert an das perlende Spiel von Oscar Peterson, phasenweise virtuos. Auf diesem Stück hört man das einzige Solo von Higgins.
Ich freue mich auf den Frühling und 'Silence' war der Anfang eines sicherlich interessanten Wegs zum Sommer. Der Himmel ist blau und das warme Gelb der Sonne schmeichelt der Seele. Heute werde ich mich intensiv dem im vorherigen Beitrag vorgestellten Album von Idris Muhammad und seinem 'Power of Soul' widmen.
Einen erstklassigen Tag wünscht,
Rick Deckard
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