Sergei Prokofjew's Sinfonie Nr. 1 D-Dur op. 25 ("Klassische"): Eine nostalgisch-moderne Glanzleistung!

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  28. Dezember 2010, 09:56  -  #Orchestrale Musik

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Immer wieder gibt es Querverweise in den Besprechungen von Filmmusik auf die II. Wiener Schule, Igor Strawinsky und die russischen Komponisten, allen voran Prokofjew. Insbesondere John Williams und James Horner liessen sich Ende des 20. Jahrhunderts sehr häufig von den musikalischen Ideen und Themen dieses Komponisten inspirieren.

In der jüngeren Vergangenheit widmete ich mich Richard Strauss, gerade in den letzten Tagen nachdem ich gelesen hatte, dass sein 'Ein Heldenleben' als Temp Track für 'Clash Of The Titans' diente. Ich hörte mir daraufhin die gesamte Einspielung von Herbert von Karajan mit den Berliner Philharmonikern aus dem Jahr 1974 an, inclusive der Variationen zu Don Quixote. Nach zweimaligem Durchlauf binnen zweier Tage musste ich mich aber geschlagen geben. Zum einen war ich nicht in der Stimmung für diese Art Musik, zum anderen überforderte mich Strauss. Ich konnte mich nicht genügend konzentrieren und ihm folgen. Also liess ich es auf sich beruhen. Die Komplexität und "Schwere" seiner Musik waren "zu hoch" für mich.

Da fiel mir plötzlich ein 4 CD Set der Deutschen Grammophon ein, welches im Regal vor sich hin staubte! Vor fast einem Jahrzehnt hatte ich diese Symphonien zuletzt gehört. Seiji Ozawa hatte sie mit den Berliner Philharmonikern in den Jahren 1991 bis 1993 eingespielt. Also legte ich die erste CD mit der "Klassischen" ein und der Knoten war geplatzt. Genau die richtige Musik zu rechten Zeit.

Um diese Musik zu hören bedarf es keiner Vorkenntnisse, sie erschliesst sich schnell und einfach, was den besonderen Reiz der Symphonie ausmacht. Trotzdem eine kurze Anmerkung dazu: Beim komponieren versuchte sich Prokofjew vorzustellen, wie Joseph Haydn vorgegangen wäre, würde er noch leben. Würde er also seine Art zu schreiben beibehalten und daneben neues einfliessen lassen? Das war seine Motivation und daher rührt auch der Beiname 'Klassische Symphonie'. Auch Hörer, die sich nicht in der klassischen Musik auskennen werden das sofort heraushören. Das Entstehungsjahr war 1916-1917.

Die Musik besteht aus 4 Sätzen:

1. Allegro (04:49)

2. Larghetto (04:57)

3. Gavotta: Non troppo allegro (01:47)

4. Finale: Molto vivace (04:15)

Der Einstieg mit dem ersten Satz ist Euphorie und Freude pur. Eine im höchsten Maße erfrischende und äusserst erheiternde Musik. Ich musste unweigerlich schmunzeln, weil Prokofjew hier einem wirklich Humor mit musikalischen Mitteln vermittelt. Unglaublich wie ihm das gelingt. Leonard Bernstein hat absolut recht wenn er sagt, dass es ein "Musterbeispiel für Humor in der Musik" ist. Was daneben fasziniert ist sein Talent für Melodie und Rhythmus. Besonders letzterer Aspekt ist faszinierend. Man kann nicht anders, als mit dem Bein zu wippen. Es macht Spass zu hören wie er Soloinstrumente einbettet, wie die Streicher in teils furiosen Tempi voranschreiten und das ganze Orchester mit voller Wucht aufbrausend spielt. Jüngere Generationen würde sagen: Das ist 'danceable'. Und in der Tat schwingen immer Erinnerungen an das Ballet mit. Sagenhaft. Eine Musik, die zur Ausschüttung von Glückshormonen führt.

Der zweite Satz beginnt leise schleppend bis die Violinen in den höchsten Registern eine betörend schöne Melodie spielen. Musik die optimistische Resignation suggeriert. Auch hier sind Dynamik und Rhythmus vorherrschend und das erste Mal hat man das Gefühl, insbesondere nach 02:25 min., dass die Moderne Einzug in die klassische Musik gehalten hat. Die alte und neue Welt treffen sich. Musik ist wirklich eine unglaublich mächtige Kunst. Besonders das lyrische Element dieses Satzes beeindruckt immer wieder. Meisterhaft!

Der kurze 3. Satz erinnert an ein Menuett. Ein prickelndes Stück Musik mit einer selbstbewussten Aussage.

Im letzten Satz wird es turbulent und es gibt kein Halten mehr. Ich musste vom Stuhl aufspringen und das Orchester anfeuern und "dirigieren". Das Finale hat einen sehr beschwingten und heiteren Charakter mit klaren Anleihen an die volkstümliche Musik. Man hat das Gefühl auf einem Schlitten durch die verschneite Landschaft zu fahren. Prokofjew greift die Idee der Eröffnung des ersten Satzes auf und treibt die Musik unaufhörlich voran. Auch in diesem Satz ist es absolut fesselnd zu hören, ähnlich wie im 2. Satz, wie neues, "modernes" musikalisches Gedankengut Einzug erhält. Mein Hochgefühl kannte überhaupt keine Grenzen mehr. Insbesondere Menschen die Filmmusik häufiger hören, sollten hier aufpassen: Nicht, dass das Thema des Satzes aus einer Filmmusik bekannt wäre, die Tatsache allein wie die Musik hier komponiert wurde und klingt ist mehr als aufschlussreich. Furioses Tempo und schnelle Streicherfiguren sind massgeblich und auch hier ist das Gefühl von Prokofjew für Rhythmus ungemein beeindruckend.

Die Symphonie Nr. 1 ist eines der beliebtesten orchestralen Werke überhaupt. Das liegt an der sehr schnellen Zugänglichkeit der Musik, aber auch an dem unglaublichen Einfallsreichtum und v.a. an den Melodien sowie der Dynamik und Rhythmik. Regelmässige Zuschauer des Kulturmagazins 'Aspekte' im ZDF werden den ersten Satz als Titelmusik erkennen, daneben wurde er auch, soweit ich mich erinnern kann, in der Werbung benutzt: als Untermalung für ein Mineralwasser!

Wie Sigrid Neef in den Liner Notes schreibt:"Prokofjew gelang mit seiner ersten Symphonie ein zirzensischer Balanceakt zwischen Mechanik und Esprit, zwischen weitläufiger Brillanz und volkstümlicher Burleske, zwischen Parodie und Nostalgie". Besser kann man es nicht umschreiben.

In der jüngeren Zeit wird ein Attribut gerne inflationär verwendet: Genial! Wenn jemand wirklich wissen möchte was das Wort bedeutet, dann soll er sich diese Musik anhören!

Rick Deckard

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