Schuld !?
Soeben habe ich nochmals den deckardschen Eintrag zu dem Film „Das weisse Band“ gelesen: http://lomax.over-blog.de/article-das-weisse-band-emichael-hanek-46307543.html
Der Grund dafür ist nahe liegend. Die freie Zeit hat endlich ihre Schuldigkeit getan. Ich habe Michael Haneke’s Film endlich gesehen. Nun ist es einfach zu bestätigen, nach dem Mund reden. Aber aufgrund unserer geheimnisvollen Seelenverwandtschaft unterschreibe ich gerne alle euphorischen Adjektive am Ende Ihres Artikels. Brilliant, extrem Intelligent, ein Meisterwerk, universell und herausfordernd.
Obwohl ich auch bereits vor dem weißen Band Michael Haneke Fan gewesen bin, gestehe ich: Es ist erst der zweite Film des Regisseurs den ich zu ende gesehen habe. Cache war der erste. Alle anderen Filme von Haneke habe ich frühzeitig abgeschaltet, weil ich die Intensität und offene Brutalität nicht ertragen konnte.
Wenn man Haneke nun so in diversen Dokumentationen, Interviews und Pressekonferenzen sieht, wie er würdevoll, aber hinterlistig, versucht seine Kunst zu erklären, denke ich mir, dass es den Künstler freuen wird, dass es Filmfreunde gibt, die seine Filme abschalten. Und zwar nicht aus dem Grund, dass der Grad der Kunst nicht zu ertragen ist, sondern die gespiegelte Wahrheit!
Bei der aktuellen Parabel habe ich ähnliche Befürchtungen gehabt! Eine Schuld trifft mich diesmal nicht, denn der Film ist zwar starker Tobak, aber eben nachvollziehbar und sogar spannend.
Haneke’s Inszenierung ist alles andere als Mainstream. Die „normalen“ Strukturen hält er nicht ein und überlässt seinen Schauspielern das Feld und seiner Kamera die Kraft der Bilder. Wenn es im Zusammenhang, zu der komplexen, düsteren und streckenweise manischen Geschichte nicht so absurd wäre, könnte (muss) man von der Schönheit des Cinematographen sprechen.
Die schwarzweiß Bilder sind Atem beraubend klar gezeichnet, die Kamera ruht, steht still, bewegt sich kaum und funktioniert als stiller Beobachter. Faszinierend dabei ist, dass die neuen Bilder des Filmes, die im Gehirn abgespeicherten Eindrücke des Zuschauers aus eben dieser Zeit, der Großeltern und Urgroßeltern in Deutschland eins werden lässt.
Interessant ist, dass Deckard in seiner ersten Besprechung die Globalität des Filmes anspricht! Nach langem nächtlichem Nachdenken, bestätige ich das sehr gerne, aber mit Einschränkungen. Dörfliche Gemeinschaften sind eine soziale Struktur, die in vielen Kulturen gleich abgelaufen sind. Die Milieuverteilung leitet sich aus dem sozialen Umfeld ab, in dem Kinder rein geboren werden. Die Kaste steht und ist kaum zerstörbar!
Doch wo ist das Deutsche? Schlummert es in diesem Dorf, in diesen Menschen, die alle voller Schuldgefühle zu sich selbst sind, neidisch auf den Besitz der anderen und ängstlich vor jeglicher Veränderung sind. Dies mit Misstrauen, Habgier und Hass quittieren!
Lässt sich in dieser, vor der Zeit des ersten Weltkrieges angesiedelte Geschichte, bereits ableiten was unsere Ureltern und Großeltern, dazu veranlasst hat, dass zu akzeptieren, was als schlimmste Massenschuld der Menschheitsgeschichte für immer da sein wird?
Dieser Schuldfrage muss man sich als deutsches Kind im Jahre 2010 immer noch stellen und aufmerksam bleiben in seinem Umfeld. Denn, wenn man in diesen schweren Zeiten um sich blickt, sind eben diese Eigenschaften des Deutschen immer da, machen Angst!
Warum hat Haneke den Film nicht z. B. in Tirol angesiedelt. Oder in einem Dorf im ländlichen Indien oder in Südwesten der USA? Ganz einfache Antwort: Weil er das Wesen der Deutschen untersuchen möchte, es uns präsentieren will und vielleicht zeigen möchte, dass diese Geschichte eben überall in der Welt, mit den Regeln des dörflichen Charakters passieren können, aber eben nicht mit der Konsequenz. Mit der Konsequenz des Faschismus, der in uns allen hier schlummert und tagtäglich latent erlebt oder ausgelebt wird.
Dieser Schuld müssen wir uns stellen und ständig darüber nachdenken. Das ist für mich der wesentliche Grund, diesen Film als wichtig darzustellen.
Im Gegensatz zu Edgar Reitz „Heimat“ geht „Das weiße Band“ subtiler mit dieser Fragestellung um und lässt offen, ob wir uns als Zuschauer tatsächlich dieser Fragestellung hingeben wollen. „Heimat“ dokumentiert die tatsächlichen Ereignisse in einem Dorf im Hunsrück, sowie sie überall geschehen sind. Über 100 Jahre kulturelle Umbrüche, zwei Weltkriege. Reitz, dokumentiert, die Antworten ergeben sich von selbst, je nach Intelligenzgrad des Zuschauers, aber die Antworten ergeben sich von selbst. Haneke gibt überhaupt keine Antworten. „Kunst soll Fragen stellen und keine Antworten geben“, sagt er bei einem Interview. Er bezeichnet seinen Film also selbst als Kunst. Heimat ist streckenweise große Fernsehunterhaltung auf aller höchsten Niveau! Beides ist berechtigt und wird von uns immer wieder gepredigt. Beides sollte Pflichtprogramm für die Geschichtsstunde werden. Jeder Mensch hat das Recht passend zu seinem Habitus Zusammenhänge dargestellt zu bekommen.
Haneke macht dies für eine gehobene Bildungsschicht. Er ist elitär und ruft bei seinen Intellektuellen Zuschauern die Antworten ab, in der Hoffnung, die richtigen zu erhalten. Finanzkrise, politische Verdrossenheit, persönliches Eigentum, gesellschaftlicher Umbruch und permanenter Schwachsinn der Medien stellen die heutige Zeit dar. Haneke ermahnt uns, aufzupassen! Aus meiner Sicht, die wichtigste Aufgabe eines Künstlers, insbesondere, weil wir uns wieder mal in einer sehr schwer zu begreifenden Zeit befinden.
Wieder mal liegt Deutschland in der Mitte der Geschehnisse. Von allen Seiten wird dieses Land umzingelt. Und ist es nicht so, dass das deutsche Wesen, deswegen so misstrauisch gegenüber allem Fremden ist? Baut er nicht deswegen so gerne Zäune und bleibt deswegen am liebsten unter den Seinen!?
Stundenlang könnte man seinen Gedanken so freien Lauf lassen. Inspiriert durch diesen wunderbaren Film, den man, einmal gesehen, nie wieder vergessen wird!
Wir sollten uns mehr mit den Biographien der Menschen hinter der Kunst beschäftigen!
Es ist immer wieder schockierend, wie wenig man weiß und noch schockierender, wie wenig inhaltlich die Medien, mit der Kunst von Menschen umgeht!
DVD werden nur noch nach Menge der Extras und Bildqualität besprochen. Überhaupt spricht man von einer DVD-Besprechung und nicht von einer Filmkritik. Schriftsteller werden darauf reduziert wo sie her kommen, aber nicht was sie denken und was der Grund ihrer Kunst ist, die sich vielleicht aus der Biographie ableiten lässt. Musik ist etwas schnelles, kurzes geworden. Alben sind nicht mehr wichtig, Singles und einzelnen Downloads werden als schnelle Kunst missverstanden. Schauspieler werden nicht mehr aufgrund ihrer Darstellungskunst und Leinwandpräsenz bewertet, sondern nach ihrem Boulevardpotenzial. Siehe z. B. den unsäglichen Robert Pattinson. Einem Schauspieler der keiner ist, sondern nur ein Popstar!
Das war doch früher genauso! Höre ich die Kritiker verächtlich rufen! Und ich stehe hier und rufe Euch entgegen, so war es eben nicht! Es war schöner, Schauspieler waren etwas magisches, etwas Mythologisches, nicht greifbares und wir haben es zerstört. Auch mit dem Internet und dem unfassbaren Informationsverlust, der dieses Medium, jeden Tag realisiert!
Worauf will ich hinaus? Robert Pattinson gegoogelt: 19.600.000 Einträge! Filmografie: 12 Filme. Keinen von Qualität. Die meisten nicht mal auf DVD veröffentlicht.
John Forsythe gegoogelt: 4.380.000 Einträge! Filmografie: 25 Filme. 2 epochale Fernsehserien. Fast alle gesehen, alle dokumentiert und auf DVD veröffentlicht. Eine Hollywoodlegende. Forsythe starb vor einigen Tagen mit 92 Tagen. Bekannt wurde er als „Denver Clan“ Star, so dokumentieren es die Medien. Von seiner Würde und seiner Anmut als Hollywood-Schauspieler berichtet kaum jemand! Es wird regelrecht vergessen, in welchen tollen Filmen von Hitchcock Forsythe mitgespielt hat. Interessiert es die Menschen nicht und trifft die Medien die Schuld!?
Stellt Euch folgendes vor: Es klingelt an der Tür, ihr seht ein wegfahrendes Auto, auf dem Boden steht eine kleine Box! Etwas später bekommt ihr folgenden Hinweis: Wenn Du den Knopf in der Box drückst, stirbt irgendwo ein Mensch den Du/ihr nicht kennt! ....aber nur für das bestätigen des Knopfes gibt es 1.000.000 Dollar.
„Ich konnte es nicht fassen, aber diese Geschichte, obwohl so nah liegend, hat noch nie jemand niedergeschrieben!“, sagt Richard Matheson. Matheson ist Schriftsteller und hat unter anderem das Drehbuch zu dem Film „The Box“ geschrieben. Ausgehend von diesem Plot, wird ein spannender Thriller gezeigt, der allerdings nicht ganz die Erwartungen erfüllt, die ich Aufgrund des Faktors Matheson (der auch die literarischen Vorlagen zu „The Last Man On Earth“ und „Der Omega-Mann“ geschrieben hat) und dem Faktor Richard Kelly (Donnie Darko) gehabt habe. Das Sujet; ...Virginia, 1976, NASA, Mittelschicht, Cameron Diaz, Frank Langella und die an Donnie Darko erinnernden Wasserportale sind sehenswert. Absolute Topunterhaltung. Leider verliert sich der Film ab der sechzigsten Minuten in komplizierte Verstrickungen, die zu konstruiert und ideenlos sind. Aber die Atmosphäre des Films ist beängstigend und mitreißend. Und die Schuldfrage bleibt zu diskutieren, auch bei langweiligen Partys ein schöner Gedankenschwerpunkt, der das Wesen der Menschen gut durchleuchtet.
Ob ein Mensch ein guter oder schlechter ist, kann man auch am Gefallen oder Nichtgefallen des neusten Animationsfilm aus den Dreamworksstudios „Drachenzähmen leicht gemacht“ ableiten. Das ist keinesfalls elitär gemeint, sondern wirklich sehr ernst. Den dieser Film schafft etwas wunderbares: Er unterhält, ohne Antworten zu geben oder Fragen zustellen. Trotzdem fühlt man sich nicht schuldig, sonder kommt entspannt aus dem Kino und ist euphorisiert von soviel schöner 3D-Welt, Pokulturanspielungen, Doppeldeutigkeiten und unfassbar animierten Landschaften und Flugsequenzen. Unmöglich diesen Film nicht zu mögen. Auch wenn das Schuldmotiv hier eigentlich unnötig ist, aber offensichtlich zeitgemäß für Animationsfilme. Auch hier wird ein Vater-Sohn-Konflikt thematisiert, bei der, der junge Held Hicks und sein Wikingervater die Schuld am Anfang nicht nur bei sich selbst suchen.
„Is there nothing we could do?“ fragt Badly Drawn Boy seit einiger Zeit, mit seiner Filmmusik zu dem englischen Film „The Fattest Man in Britain“. Erst jetzt fällt mir auf, dass auch diese Frage, des genialen und geliebten Popmusikers, eine Schuldfrage ist.
Wie ein Prediger, der seinen Gottesdienst schreibt, komme ich mir inzwischen vor. Denn so läuft es doch. Der Pfarrer nimmt sich ein starkes Wort und umgarnt es mit seinen christlichen Zitaten und theologischen Weißheiten. Ich gestehe, ich hab es genau so gemacht. Und ehrlich gesagt, auch aus einer Verantwortlichkeit heraus. Nämlich der, der Motivation. Der Motivation meine Gedanken zu konfigurieren und zu archivieren. Dem Motiv von diesem blog, auch wenn das für den Leser, oftmals schwer nachzuvollziehen ist. Insbesondere was die Qualität der geschriebenen Sprache angeht.
Diese Schuld sollten wir auf uns nehmen, aber es sei noch mal darauf hingewiesen, dass dies hier den Charakter einer Tagebuchnotiz haben soll und keinen journalistischen oder literarischen Ansprüchen unterliegt.
Aber dies soll keine Gleichgültig erklären, sondern die Motivation, sich mit dem erlebten auseinander zusetzen. Ich kann dies immer nur Wiederholen...
Alan Lomax