Nikolai Medtner: Stimmungsbilder Op.1, Vergessene Weisen Op. 39, Sonatentriade Op. 11 - Ekaterina Derzhavina

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  12. April 2012, 21:54  -  #Orchestrale Musik

Medtner.jpg

Denke ich an Russland und die Musik, so fallen mir in erster Linie Prokofiev (siehe Bericht auf dieser Seite) und Rimsky-Korsakov (Scheherazade) oder Rachmaninov (Sinfonische Tänze) und Schostakovich (The Jazz Album) ein. Die Werke in Klammern habe ich deswegen aufgeführt, weil Menschen die sinfonische Filmmusik hören, häufiger auf diese Referenzen verweisen. Das 'Jazz Album' von Schostakovich habe ich unabhängig davon erst vor kurzem entdeckt (Masseurs/ Chailly/ Brautigam).

Bei solch gewichtigen Namen in der allgemeinen Rezeption russischer Musik gehen Komponisten wie Medtner zwar nicht unter, aber doch verloren und es ist wie in der PoP-Musik auch: neben den populären gilt es auch die "weniger populären" zu entdecken, wobei mit der Unterscheidung keine Wertigkeit vorgenommen werden soll.

Als ich diese CD hörte empfand ich Medtner's Musik als sehr komplex und ausdrucksstark. Sie versprüht eine bitter-süße Romantik, ist geprägt von lyrischen Inhalten und ich meine auch folkloristische Elemente herausgehört zu haben. Nur gehen die Beschreibungen der einzelnen Titel hier und dort selten mit dem Inhalt konform, was keineswegs einen negativen Beiklang haben soll. Wer etwa hinter Meditazione (Titel 1) eine Stimmung und Klangfarben im Stile eines Satie und seiner Gymnopedie Nr. 1 erwartet, der wird sich, um es einmal salopp zu formulieren, umhören müssen. Worauf ich hinaus will: es erfordert Hörarbeit um den musikalischen Kosmos eines Medtner zu erkunden. Ähnlich verhält es sich mit der 'Sonata tragica' (Titel 5): es ist die Tragik im musikalischen Verständnis eines Nikolai Medtner und sollte nicht umgangssprachlich verstanden werden.

Diese beiden Beispiele sollen nur exemplarisch für die gesamte CD stehen. Es gilt Musik im Kontext zu verstehen. Dafür sind die hier aufgenommenen Werke eines eher nicht ganz so bekannten Komponisten ideal - es schwirren keine Stereotypien im Kopf herum!

Der russische Komponist Nikolai Karlowitsch Medtner wurde 1880 in Moskau geboren und verstarb 1951 in London. Er studierte am Moskauer Konservatorium und war fortan als Komponist tätig. Als entschiedener Gegner der Oktoberrevolution emigrierte er 1921 aus Russland. Über Aufenthalte in Berlin, Paris, den USA kam er schließlich nach England und traf dort erst auf ein Publikum, welches sich für seine Werke besonders interessierte. Beeinflusst sind seine Arbeiten von der Romantik sowie den deutschen und russischen Traditionen.

Die Pianistin Ekaterina Derzhavina erhielt im Alter von 6 Jahren Klavierunterricht, wurde mit 14 Schülerin an der Gnessins Spezial-Musikschule in Moskau und studierte ab 1986 an der Gnessins-Musikakademie. Sie gab Konzerte in Russland, Europa, Kanada und den USA und nahm an diversen renommierten Festspielen teil.

Ihr Spiel auf dieser CD ist meisterlich und streckenweise artistisch. Die Stücke sind mit Sicherheit nicht leicht zu spielen und erfordern ein hohes Maß an Konzentration. Die linke Hand ist häufig nicht nur ein untergeordneter Partner, sondern dominant und eigenständig in der Gestaltung der Töne, Melodien und Rhythmen. In Verbund mit der führenden (perlenden) rechten Hand ergeben sich so sehr vielschichtige Klanggebilde, die sich erst nach mehrmaligem Hören erschliessen.

Benjamin Ivry schreibt (zusammengefasst):

Die Stimmungsbilder Op. 1 werden eröffnet mit dem "Prolog", ein Stück geschrieben im Alter von 18 Jahren. Es handelt sich hierbei um eine lyrische Melodie russischen Stils. Das zweite Stimmungsbild "Allegro" erinnert an Schumann. "Maestoso freddo" hat sakralen Charakter, "Andantino con moto" kehrt zurück zur Tonmalerei Russlands. Die letzten drei Bilder ("Allegro con humore", "Allegro con ira" und "Allegro con grazia") sind abwechslungsreiche Stücke aus denen man Spott, Prahlerei, Wut und Expressivität heraushören kann.

Die Sonata Triad Op. 11 wirkt als Vergleich dazu eher abstrakt und improvisiert.

Die Vergessenen Melodien wurden von Medtner als Ausgleich zu den Qualen des Krieges und der Revolution geschrieben. Bei der Uraufführung 1920 in Moskau wurden sie nicht unbedingt positiv aufgenommen.

Diese Veröffentlichung bietet die Möglichkeit die Musik eines Komponisten zu entdecken, der nicht in einem Zug mit den oben genannten aufgezählt wird, wenn klassische Musik und Russland in Einklang stehen. Ekaterina Derzhavina gibt wahrlich ihr bestes um ihn uns näher zu bringen.

Etwas pathetisch: Geben Sie beiden eine Chance!

Unter der Rubrik Piano Rarities erscheint das Album bei Crystal Classics am 13.04.2012.

Rick Deckard

Um über die neuesten Artikel informiert zu werden, abonnieren: