Nick Drake - Bryter Layter

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  5. Juni 2010, 10:36  -  #Populäre Musik

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Was für ein fantastisches Album!

Endlich habe ich mir ein Nick Drake Album in ganzer Länge angehört und Zugang zu diesem Musiker gefunden. Schlimm, dass, zumindest in meiner Rezeption, immer seine Depressionen im Vordergrund standen und von dem eigentlichen, nämlich seiner Musik abgelenkt haben. Merkwürdig, wie sehr diese zwar nicht wegzudenkende, aber letztendlich für die Person und seine Musik in der allgemeinen Annahme dieses Künstlers bedeutende Erkrankung, so gewichtige und überragende Bedeutung erfährt. Das sollte nicht das Vermächtnis dieses Musikers bleiben. Schade, dass eine solche Voreingenommenheit vom wesentlichen ablenkt. 

Das Album beginnt mit einer instrumentalen Einführung, einer klaren und sogleich einnehmenden akustischen Gitarre, sowie Streichern, die die Stimmung vorgeben. Eine interessante Idee.

Was dann folgt beamt einen gleich in die Stratosphäre: 'Hazey Jane II'. Trompete, Gitarre und ein leicht treibender Rhythmus betören die Sinne. Drake's Stimme ist weich, angelehnt an einen Sprechgesang und distanziert. Das Arrangement dieses Stückes ist perfekt. Bläser und Akustik-Instrumente gehen eine wunderbare Harmonie ein. Enorm, welchen Einfluss Drake's Stimme und Stimmung auf diesen Song haben.

'At The Chime Of A City Clock'. Wieder beginnt eine Gitarre mit Moll Akkorden. Drake singt in der gleichen Stimmung weiter. Auch hier ein treibender Rhythmus. Nach einer Minute gesellen sich Streicher hinzu, die unglaublich schwelgerisch schön im Hintergrund spielen. Was aber den Reiz dieses Songs ausmacht ist das Saxophon, welches durch das ganze Stück hindurch Drake und seinen Gesang konterkariert. In Zusammenhang mit den Lyrics, der Gitarre und den Streichern hat das einen unglaublichen Sog. Ein Meisterwerk von einer Komposition, sagenhaft schöne Musik! Das ist wirklich überwältigend.

'One Of These Things First' perlt dahin mit einem Piano und Drake sinniert darüber was man alles im Leben sein könnte oder kann. Fantastisch auch hier wie autark das Klavier ist, sich aber trotzdem in den Song einfügt. Unglaublich! 

Es fällt mir schwer jetzt nach den ersten Songs diese Musik einzuordnen, was wiederum ihren Reiz ausmacht. Sie enthält Elemente aus PoP, Country, Folk und Jazz. Der Klang ist exzellent und die Produktion ebenfalls. Sehr viele interessante Ideen und Ansätze.

'Hazey Jane I' beginnt mit einer akustischen Gitarre und Streichern. Nebenbei: diese Arrangements für die Saiteninstrumente sind sehr ausgefeilt und komplex komponiert. Sie wirken nie störend. Das ist einfach nur ein Traum, gerade für jemanden wie mich. Auch bei diesem Song zieht sich eine bestimmte Grundstimmung hindurch, die mit Worten nur sehr ungenügend zu beschreiben ist.

Das titelgebende Stück ist ein Instrumentalstück, bei der die Querflöte die menschliche Stimme zu ersetzen scheint. Aber diese Aufgabe übernehmen wechselweise die Streicher und die Flöte. Das ganze wirkt fast wie eine Intermission-Musik, bevor die 2. Hälfte des Albums beginnt.

'Fly' ist eine kleine Ode, die fast wie mittelalterlich-barocke Musik klingt. Eine Geige begleitet Drake bei seiner kleinen Exkursion.

'Poor Boy' ist wieder ein Höhepunkt und eine brillante Komposition, die einen Bossa Nova ähnlichen Rhythmus hat und sagenhafte Harmonien. Plötzlich taucht ein Background-Chor auf, der beinahe dezent "gospelartige" Akzente setzt. Auch hier mischt sich das Saxophon in das Gefüge und macht solistische kontrapunktische Ausflüge. Grandios! Was für überragende PoP-Musik!!! Wie die Instrumente sich wechselweise in den Vordergrund spielen, das Klavier "improvisiert", der Chor im Hintergrund treibt, punktuell das Saxophon dazu kommt. Sagenhaft und wahrscheinlich seiner Zeit damals weit voraus. Eine exzellente Mischung aus PoP und Jazz.

'Northern Sky' nimmt sich wieder etwas zurück, ist aber musikalisch keineswegs ein Rückschritt, sondern hält das Niveau des Albums locker. Zu dem Song kann man wirklich den berühmten 'Lomax-Flieger' mit der Hand aus dem Auto heraus machen. Was für eine wunderbare, klare, sonnige Stimmung. Auch hier wieder ein perfektes Arrangement, auch wenn ich mich wiederhole, aber es lässt sich einfach nicht leugnen. Orgel, als auch ein Glockenspiel sind das i-Tüpfelchen. In jedem Song stecken solche kleinen, aber feinen Ideen.

Der Abschluss des Albums ist wie zu Anfang ein Instrumentalstück. Akustische Gitarre, Querflöte und Streicher beenden mit 'Sunday' dieses grossartige Album. Aber diese Non-Vocal Tracks sind keine billigen Beigaben. Im Gegenteil, man muss gut zuhören. Das klingt fast wie Filmmusik, kein Scherz! Atemberaubende Musik ist das: wechselnde Tempi, Harmonien und Stimmungen.

Eigentlich ist dieses Album überhaupt nicht für den Sommer geeignet. Ich glaube, dass der Herbst mit seinen berauschenden Farben, kalten, aber milden Temperaturen und eine gewisse "äussere Ruhe" die idealen Voraussetzungen sind um eine solche Musik zu hören. Das Album hat mich komplett in seiner Gänze absolut beeindruckt.

Das ist das, was ich mir unter grosser PoP Musik vorstelle.

Es enthält viele Ideen, ist sophisticated, glänzt durch eine Vielzahl an ausgeklügelten Arrangements und schafft es ein durchgehend hohes Niveau zu halten. Drake ist faszinierend mit seiner dünnen, aber trotzdem beeindruckenden Stimme und bei jedem Song hat man das Gefühl, dass er mit seinen Gedanken ganz woanders ist. 

Ein Meisterwerk.

Rick Deckard


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