Mingus Moves - Wilder, freier und farbenfroher Jazz!
Das neue Jahr beginnt musikalisch mit Jazz und kommt einem Fausthieb in die Magengrube gleich.
Mr. und Mrs. Lomax liessen mir zum Ende des Jahres ein Album als Geschenk zukommen, welches ich weder kannte, noch hatte ich die Musik je gehört. Mingus ist mir schon ein Begriff und von daher wusste ich was auf mich zukam, nur wurde die Erwartung vom Ergebnis übertroffen.
Von der Besetzung höchst interessant, fast ungewöhnlich, kommt dieses Album daher. Neben der Rhythmus-Sektion, spielen als Leadinstrumente die Trompete und das Saxophon, aber auch die Flöte, die hier übrigens den gleichen Stellenwert besitzt wie alle übrigen. Mingus selbst hält sich mit ausschweifenden Soli, nein überhaupt im Hintergrund und überlässt das Feld den anderen.
Die Platte ist lupenreiner, heisser Jazz. Nichts für Einsteiger. Sie ist sehr fordernd und absolut rücksichtslos. Anklänge zum Bebop sind hörbar aber auch Free Jazz Elemente. Die Prämisse ist von der ersten Sekunde an klar: lass Dich darauf ein oder lass es bleiben!
1. CANON: Das Album beginnt mit einem aufsteigenden 'Drei Noten Motiv': Saxophon, Trompete, asiatisch anmutende Percussion (Blech) beginnen, beide Instrumente spielen im Kanon, Klavier und weitere Percussions kommen hinzu. Genau in der Mitte des Stückes bilden sich so etwas wie Form und Rhythmus heraus, das Saxophon improvisiert, die Rhythmus Sektion gibt die Basis, die Trompete spielt im Hintergrund weiter das 3 Ton Thema. Am Ende spielen beide Instrumente im Canon und der Bass wuchert wild gestikulierend im Hintergrund.
-> sehr komplexer, klassischer Mingus Jazz. Hier erfolgt eine ganz klare Ansage an den Hörer!
2. OPUS 4: Völlig anderer Gestus. Alle Instrumente spielen fröhlich beschwingt dahin. Es wirkt hölzern-fragmentarisch. Einzig das Klavier bringt so etwas wie eine Linie hinein. Vollkommen losgelöst sprudelt das Piano in höchsten Oktaven bis das Saxophon übernimmt und leicht gebremst weitermacht. Extrem variable Rhythmenwechsel und ständige Verlagerungen von Melodie und Rhythmus zeichnen dieses Stück aus. Ein Stück weit bitterer Humor fliesst mit hinein.
-> eigenwilliger, wilder, keinen Regeln folgender Jazz!
3. MOVES: Ruhiges Fahrwasser, gedämpfte Trompete und plötzlich ... Gesang. Vollkommen unvermutet mutet Mingus hier einem etwas zu. Neben der weiblichen Stimme kommt plötzlich eine männliche hinzu, die Trompete begleitet, Flöte kommt hinzu. Mingus zeigt hier einem die Mittelfinger beide Hände. Der hat Mumm! Ich muss lachen! Sehr verzwickte Musik. Später spielt das Klavier besänftigend vor sich in, bis das Duett sich gegen Ende fortsetzt.
-> man bleibt etwas perplex zurück. Was soll das?!
4. WEE: Ein Hauch Lyrik umgarnt das Ohr. Schleppender 3/4 Walzer Takt zur Eröffnung. Vorsicht ist geboten was da wohl noch kommt... . Und so ist es auch: stampfender Beat übernimmt. Harte Akkorde des Pianos. Wechsel zum Bop. Saxophon übernimmt die Leitung und improvisiert was das Zeug hält. Abgehackte, lose verbundene Töne sind das. Wieder Wechsel zu schnelleren Läufen. Meine Herren! Hier wird dem Hörer einiges abverlangt. Plötzlich klart es auf, als das Piano übernimmt. Die Stimmung kocht, es swingt, aber nur leicht. Was für tonale Auswüchse das sind! Sich fast verzettelnde Piano Läufe in irrem Tempo. Am Ende kommt er an den Anfang zurück. Grossartiger Humor!
-> Hochklassiger Jazz in Reinkultur.
5. FLOWERS FOR A LADY: Heisse Latin Rhythmen. Heitere Stimmung. Trompete hat einen grösseren Part in der Improvisation. Sehr tanzbar das ganze. Zwischendurch furioses Tempo der Trompete und man hat den Eindruck das Halbventil-Spiels eines Lee Morgan oder Freddie Hubbard zu hören. Unglaublich wie viel Freiheiten die einzelnen Instrumente geniessen! Die Leidenschaft der Musik lässt sich formlos auf den Titel des Tracks übertragen.
-> so auf diesem Album nicht erwartete Musik. Aber was bedeutet das Wort "Erwartung" bei diesem Album schon? Hebt sich deutlich hervor!
6. NEWCOMER: Tiefe, dunkle Flöte beginnt das Stück mit tollem Spiel des Schlagzeugs auf dem Blech, sehr epische Stimmung zu Anfang aufbauend. Eine kleine Melodie in leicht gedrückter, ja fast schüchterner Stimmung wird von Trompete und Saxophon intoniert. Viel Hoffnung keimt da nicht auf, bis das Piano übernimmt und Läufe / Improvisationen spielt, dem das Ohr folgen kann. Sehr schönes Wechselspiel von Flöte und Klavier. Auch der Bass kommt hier zu seinen Ehren mit erdigem, ruhigem Spiel.
-> Ein Stück was minimal in die Nähe des Mainstream kommt. Das eingängigste Stück auf dem Album.
7. OPUS 3: Prompter Einstieg in einen Abschluss. Wechsel des Tempos und auch des Gestus wie so häufig auf diesem Album. Phasen klarer Linien und Läufe (Piano) wechseln mit wilder Eruption und Improvisation der Leadinstrumente, v.a. das Saxophon. Exzellentes Drumming. Die Musik erscheint immer wie ein Kaleidoskop klanglicher Möglichkeiten. Keine Verschnaufpausen. Man hat das Gefühl die Energie der Spieler kennt überhaupt keine Grenzen. Nur die Ventile der Blasinstrumente dienen als Schutzmechanismus, ansonsten käme die Musik einer Explosion gleich.
-> Hart an die Grenzen des "Zumutbaren" gehender Jazz. Brutal, wild, heftig und ungehemmt.
Das war schon ein wilder Ritt am 02. Januar des neuen Jahres und legt vielleicht auch schon den Pflasterstein für einen neuen Weg in 2011. Mir gefällt die Einladung und ich freue mich darauf zu sehen, ob ich diese Richtung beibehalten werde. Das ist Musik die befreiend auf den Geist wirkt, auch wenn sich das abgedroschen anhören mag, aber es stimmt.
Ein verspäteter Kracher in wirrsten und spektakulären Farben!
Thanks to the Lomax'.
Wünsche allen Lesern auf diesem Weg ein frohes neues Jahr und einen guten Einstieg in die erste Arbeitswoche.
Stay tuned,
Rick Deckard