Maislabyrinth
Erst nachdem ich zuhause angekommen war wurde mir bewusst, dass es diese Labyrinthe in den Maisfeldern über die ganze Republik verstreut gibt und sie eine grosse Attraktion sind. Den Besuchern wird Spass vermittelt gekoppelt mit Informationen über Land, Landwirtschaft und Natur. Eine gute Idee, insbesondere für Städter.
So wie für mich. Da gestern das Wetter halbwegs "sommerlich" war, sprich es regnete nicht, entschloss ich mich eine Fahrradtour zu machen, nachdem ich in der Zeitung vernommen hatte, dass ein Landwirt in der Nähe ein solches Maislabyrinth anbot. Gesagt, getan, gefahren.
Ich wurde von einem gut gelaunten Menschen am Eingang mit den Worten empfangen "Na, Sie wollen sich auch verlaufen was?".
Also rein in das Maisfeld. In der Ebene konnte ich die Grösse des Feldes gar nicht überblicken. Ich nahm einen Zettel mit kleinen Multiple Choice Aufgaben entgegen die es zu lösen galt und begab mich auf den mit Mannshohen und noch größeren Maispflanzen geebneten Weg. Immer wieder kamen mir verwirrte andere Besuchern entgegen, hier und dort Gelächter. Es ging immer tiefer in das Feld.
Warum schreibe ich das hier? Das hat einen einfachen Grund! Es war ein kleines Schlüsselerlebnis. Doch dazu später. Ich lief also zunächst planlos im Feld herum, das Ganze nicht Ernst nehmend. Als ich zum dritten Mal an der gleichen Stelle angekommen war, versuchte ich mit Filmwissen meinen Standpunkt im Feld festzustellen und mich zu orientieren. Angst überkam mich nicht, aber es machte sich Unbehagen breit, weil man anfängt die Kontrolle zu verlieren.
Also erinnerte ich mich an Tony Hopkins und seinen Satz aus 'The Edge' ('Auf Messers Schneide - Rivalen am Abgrund') "... die meisten Menschen gehen in der Natur ausgesetzt zugrunde nicht aus Angst, sondern aus Scham ...", so oder so ähnlich. Also riss ich mich zusammen und blickte zum Himmel: Eintöniges grau. Spitze! Damit war es um diese Orientierung geschehen. Mir kam zu dritten Mal ein älterer Herr mit Bart grinsend entgegen und für einen kurzen Augenblick überkamen mich paranoide Gedanken.
Plötzlich entdeckte ich ein Hausdach in 50 m Entfernung am Rand des Feldes und war froh die Zivilisation wieder entdeckt zu haben. Liebe Leserinnen und Leser: sie werden jetzt vermutlich lachen, aber ich kann Ihnen sagen, dass wenn sie in Stille in einem solchen Maisfeld "gefangen" sind und plötzlich einen gewohnten Anblick erhaschen, dann schöpfen sie wieder Hoffnung.
Trotzdem wusste ich nicht wo ich mich befand. Ich erinnerte mich zu Beginn meiner kleinen Exkursion eine elektrische Hebebühne am Rand des Maisfeldes gesehen zu haben und versuchte diese verzweifelt zu finden. Keine Chance. Menschen der bürgerlichen Mitte kamen mir an der nächsten Weggabelung entgegen und für einen Moment überlegte ich nach dem Weg zu fragen, aber ich gab mich der Blöße nicht hin. Stattdessen erinnerte ich mich an diverse Hollywood Filme mit ähnlichen Situationen und wie sie gelöst wurden. Doch hier gab es keine Drehbuchschreiber, die mir halfen.
Wie zum Teufel sollte ich hier wieder herausfinden wenn ich nicht verrecken wollte. Und jetzt kommt das Mini-Schlüsselerlebnis: Eureka! Ich hab doch mein Smartphone mit google maps in der Tasche ... . Ich hielt inne und überlegte eine Weile. Ist es schon so weit gekommen, dass ich mal nicht mehr mit gesundem Menschenverstand aus einem Feld finde? Der Mais überragte meinen Kopf um einen halben Meter und wurde immer dichter. Ich landete in einer Sackgasse.
Ich merkte wie meine Schritte schneller wurden: Zeichen der Panik.
Immer wieder lockte der Griff zum Telefon, aber ich blieb hart und mir fiel ein, dass Menschen ohne Orientierung immer im Kreis laufen. Richtig! Schon wieder befand ich mich an der gleichen Stelle.
Ich schloss die Augen und versuchte mich mit dem Gehörsinn zu orientieren und lief den immer lauter werdenden Stimmen entgegen, lief und lief .... bis ich wieder am Eingang stand.
Peinlich.
Möglichst schnell verschwand ich um die Ecke.
Ich sah die Hebebühne, zahlte einen Euro und liess mich in die Lüfte befördern um mir alles aus der Höhe anzusehen. Im Hintergrund schwelte in Gedanken eine klassische Filmmusik, die sich wie ein Crescendo steigerte und ausbreitete, als die Hebebühne zum Stillstand kam und ich das ganze Feld überblickte: Das ganze Labyrinth erstreckte sich über zwei Hektar! Von oben sah das beeindruckend aus, die Labyrinth-Figur und die Menschen, die umherirrten. Von oben stellte ich fest, dass ich die ganze Zeit über nur in einem Viertel dieses Irrgartens umhergelaufen war ... . Ich musste lachen.
Der Landwirt, der mit einigen Gästen mit hoch gefahren war erklärte das Konzept und einige Dinge über die Landwirtschaft. Als Städter wollte ich nun besonders klug erscheinen und versuchte meine Performance von eben auszugleichen und landete einen besonders peinlichen Volltreffer:
"Sagen Sie mal Herr Landwirt, wie können Sie denn wenn Sie im Feld unterwegs sind, ein so symmetrisches Muster entwerfen? V.a., woher wissen Sie wo sie sich befinden?"
Der Landwirt verdrehte nur für den Bruchteil einer Sekunde die Augen und antwortete mir höflich:
"Nun ja, der Mais ist zu Anfang noch nicht ganz so gross ..."
Ich beschloss nichts mehr zu sagen.
Unten angekommen trank ich einen Kaffee, aß selbst gemachten 'Opakuchen' und erfreute mich auf diesem Hof zu sein. Es war ein schönes Gefühl mit all dem Stroh, den Feldern und dem alten Haus um mich herum. Sicherlich war der Alltag ein anderer, aber warum nicht ein wenig romantisieren.
Nach diesem Erlebnis habe ich beschlossen nächstes Jahr einen etwas anderen Urlaub zu machen, einen ohne gedeckten Tisch und allen anderen Bequemlichkeiten. Zumindest mal für eine Woche. Diese Mini-"Grenzerfahrung" muss nochmals erlebt werden.
Es kann nicht sein, dass man so abhängig von der Technik geworden ist.
Es gibt diese Maislabyrinthe vieler Orten - probieren Sie es mal aus, möglichst früh am morgen, wenn noch keine bis wenig Besucher da sind!
Einen schönen Sonntag,
Rick Deckard