Lonely Avenue - Ben Folds und Nick Hornby

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  24. März 2011, 15:03  -  #Populäre Musik

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Wie kann ich es in Zukunft schaffen, dass ich mich nicht von den alltäglichen Umständen so verleiten lasse, dass ich die Dinge voller Gram betrachte? Richtig: Weniger arbeiten! Es ist wirklich "furchtbar" in diesen Tagen mit anzusehen, was mir letztes Jahr alles an Musik verloren ging, die mir am Herzen liegt. Aber so war es leider und auch notwendig, daran lässt sich nichts ändern. Ändern jedoch kann man seine "Lethargie" und versuchen alles nachzuholen. Nachdem Frau Depenbusch mich auf den rechten Weg brachte, klickte ich meine itunes Wunschliste an und stöberte in den Platten, die sich schon seit Monaten dort sammelten. Immer wieder hörte ich mir Auszüge aus zwei Alben an, v.a. da mit beiden Erinnerungen gekoppelt waren.

An Ben Folds habe ich ausnahmslos gute Erinnerungen. Ganze 5 CD's und 4 EP's tummeln sich im Regal, ganz zu schweigen von den legendären Musik-Sessions mit Lomax Ende der 90'er Jahre. Dieses 'Auszüge hören' ist ganz nett, sagt aber letztendlich gar nichts über ein Album aus. Ich bin aber der geborene Skeptiker und Pessimist (in solchen Belangen) und daher erfolgte jetzt erst nach 5 Monaten endlich der alles erlösende Klick. Das Album wurde geladen und vorgestern Abend war einer der besten dieses jungen Jahres voller Erinnerungen an gute PoP Musik und ein Feuerwerk an Emotionen beim hören dieses Albums, allen voran ein emotionaler Ausdruck, den ich so nicht erwartet hätte: Lachen! Doch dazu später mehr.

Hier zunächst der Beitrag, den Mr. Lomax im Oktober 2010 geschrieben hatte:

11 Songs by Ben Folds & Nick Hornby – Lonely Avenue

Eine Passage beim nochmaligen lesen ist besonders erwähnenswert:

"Den Kontext und die Synergie werden wir sowieso erst später verstehen, wenn die Platte es geschafft hat den Augenblick zu überleben und sie es sich in unseren Herzen bequem gemacht hat."

Erstklassige Antizipation! Die Platte hat es geschafft den Augenblick zu überleben wie man sieht und (was für ein grossartiger Satz!), ja, sie hat es sich in meinem Herzen bequem (!) gemacht.

Ich bin nahe dran dieses Album als Masterpiece zu bezeichnen, so beeindruckt und erfreut (!) war ich von den Texten und der Musik und das ist keine Bewertung aus dem Augenblick. Ich habe mir 2 Tage Zeit gelassen um die Musik auf mich einwirken zu lassen.

Von aussen nach innen:

Was mir damals schon imponierte war dieses grossartige Cover, über das man immer wieder seine Augen gleiten lassen kann. Strahlend blauer Himmel, Palmen am Wegesrand und Flugzeuge am nahen Horizont. Wir sind auf dem Weg zum Flughafen, Abschied und Aufbruch zugleich. Das alles durch dieses grosse Fenster eines Wohnmobils im Cinemascope-Format mit dieser wunderbaren kleinen Klimaanlage, die in Form eines Ventilators von der Decke hängt. Das Innere ist alles in warmen Braun- und Gelbtönen gehalten. Der Blick schweift weiter und bleibt an den Beinen einer Frau hängen, die zudem noch weisse Stiefel trägt und sofort an die Sixties erinnert, Assoziationen an die Cover einer Nancy Sinatra kommen hoch. Mit der rechten Hand wird lasziv das Lenkrad gesteuert. Doch Vorsicht! Die Haare oben links in der Ecke sind nicht ihre, sondern irgendeines Typen (Folds?), der scheinbar nervös aus dem Fenster blickt. Sonst würde man nicht so stehen. Ich überlege mir dieses Cover auszudrucken. Ich reise für mein Leben gern und dieser Blick hinaus auf einen Flughafen im Sonnenschein ist immer wieder grossartig: Die weite Welt lockt.

Doch wohin nimmt uns dieses Album mit auf die Reise?

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Das oben links ist nicht Dirk Nowitzki!

Fangen wir unsere Reise an. Ach nein, eines noch vorweg! Diese Musik zu hören hat grosse Freude auch deswegen bereitet, da Lyrics beigefügt waren auf klassisch weissem Hintergrund (wie stilvoll!) und die musste ich nebenher lesen, denn nicht irgendwer schrieb sie, sondern Mr. Hornby.

Ben Folds Adds Music And Melody To Nick Hornby's Words: Very stylish!

Als 'A Working Day' beginnt, dachte ich ich sei im falschen Film. Merkwürdige Synthesizer und ein plötzlicher musikalischer Stimmungswechsel beim Refrain. Aber trotzdem ein kleines sympathisches Lied mit Folds der alle Instrumente spielt und Joe Costa zuständig für die Handclaps.

Es folgt mit 'Picture Window' ein Song, der einen herunterzieht, aber auch leise Hoffnung weckt. Folds harmoniert wunderbar mit dem Orchester und das Arrangement von Paul Buckmaster könnte nicht besser sein mit seinem akzentuierten und zurücknehmenden Charakter. Das hinter dem Song keine Geschichte stecken soll wie Hornby in den Liner Notes schreibt, mag man sich angesichts der Zeilen kaum vorstellen. Ein Song, der sehr viele Assoziationen beim lesen und hören hervorruft.

'Levi Johnston's Blues': Ein echter Kracher, das erste von vielen Highlights die da folgen und das Album in Sphären hebt, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Dieser Titel ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert: zum einen ist es die exzellente Instrumentierung, die wunderbaren kommentierenden (!) Streicher im Hintergrund, der sehr kritische Text und eine wirklich sagenhafte Symbiose aus proletarischem und mondänem Gebaren. Der Refrain lädt ein zum grölen. Hier musste ich zum ersten mal lachen, ich weiss aber nicht so Recht, ob diese Kombination aus musikalischem und prosaischem Sarkasmus so gewollt war.

Mit 'Doc Pomus' kommt der definitiv erste Kultsong des Albums zum vorschein. Ich muss bereits bei den ersten Takten herzhaft lachen, weil Folds durchdreht und so schnell Klavier spielt, dass man kaum nachkommt. Was für ein wunderschöner Pop Song, was für grossartige Popmusik! Als dann nach dem ersten Refrain eine akustische Gitarre mit einem Waldhorn erklingt und die background vocals anstimmen, dann möchte man am liebsten in einem der Flugzeuge auf dem Cover sitzen, sich seinen 'Bourbon on the rocks' einschenken, seinen Stetson absetzen, die Stiefel bekleideten Beine übereinander kreuzen und nach unten auf die Stadt blicken. Ganz grosses Kino ist das!!!

Der nächste Song ist Rock n' Roll: 'Your Dogs' ist aus textlicher Sicht interessanter als aus musikalischer, da er das Thema Toleranz auslotet.

Was für eine schöne Ballade! 'Practical Amanda' ist eine einzige Liebeserklärung von Hornby. Sparsam mit wenigen Geigen garniert und mit Folds voller Innbrunst am Klavier. Eine Perle von einem Song.

Jetzt bin ich mitten drin im Fold'schen und Hornby'schen Kosmos. Harmoniegesänge einen weit in vergangene Jahrzehnte beamend trotz einer Thematik, die wenig an Freude gereicht. 'Claire's Ninth' erinnert mich immer wieder an die Beach Boys. Warum bloss? Das besungene Mädchen kann einem wirklich leid tun. Toller Song.

Was jetzt folgt ist absoluter Ultra-Kult! Als ich die ersten Takte hörte glaubte ich meinen Ohren kaum zu trauen... . R&B? Sagenhaft..., s a g e n h a f t! Liest man in den Liner Notes dann auch noch, dass 'Password' eine Hommage an Teddy Pendergrass (!) ist musste ich wieder lachen. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie ich vor Jahrzehnten mit einigen anderen einen Kommilitonen auslachte, der eine Pendergrass Scheibe neben dem Bett (!) liegen hatte in der überzogenen Ansicht, so etwas könne man doch nicht hören! Und nun? Hornby und Folds schreiben einen Song für die Facebook Generation mit den Mitteln des R&B. Wenn das keine PoP-Kultur ist!? Grosser Song, perfekt instrumentiert. Ein absolutes Highlight (schon wieder!)! Und mir v.a. aufzeigend, wie wenig tolerant und dumm man einst doch war!

'From Above' ist dann fast schon wieder philosophisch mit fatalistischen Anklängen. Ein klassischer Ben Folds Song? Hier erinnern die Synthesizer phasenweise das erste mal an Depeche Mode an einer bestimmten Stelle. Ein Song um morgens in das Auto zu steigen um mit shifting gears dem Tag entgegen zu brausen.

Bei 'Saskia Hamilton' dann wieder eine Assoziation an Depeche Mode, bereits in der ersten Strophe an 'Master & Servant'-Zeiten erinnernd. Zufall oder gewollt? Ein recht kruder Song mehr und mehr an die 80'er Jahre erinnernd. Grausam und schön zugleich.

'Belinda' beendet ein formvollendetes Album mit einer grossen emotionalen Geste. Mich erinnert die Melodie und die Machart an irgendeinen anderen Musiker und einen bestimmten Stil. Was für eine atemberaubende Konstruktion, was für schöne musikalische Reminiszenzen! Ein barock-moderner-schmalzig-schöner Abschluss. Zuckrig fein wie die Watte von der Kirmes aber mit einem herrlich sarkastischem Text, der mich wiederholt zum lachen gebracht hat!

Grosse grosse PoP Musik und die Erkenntnis, dass  man im Blumengarten den Weg wieder zurücklaufen sollte, um all die schönen Blüten am Wegesrand nicht zu übersehen! Ich frage mich was noch alles kommen mag in den nächsten Wochen ... .

Ein weiteres Album steht in den Startlöchern nebst einem Klavierkonzert von Ludwig van Beethoven!

Aber genau für diese immer wechselnden Gedanken wurde dieser Blog ja geschaffen: Um sie zu archivieren.

Viva Alan Lomax!

Erlesenste popmusikalische Grüsse,

Rick Deckard

 

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