Laute Tage in Köln
"Vielen Dank für das Reisen mit der Deutschen Bahn!".
Spät am Abend des 20.04.2010 fuhr der Koloss über den Rhein und es gibt in keiner Stadt keinen schöneren Blick, als die funkelnden Lichter einer Grossstadt. Chaplin drehte mal einen Film darüber in einem anderen Kontext. Immer wieder ein berauschender Anblick. Auf dem Weg zum Hotel versuchte ich krampfhaft ein Gespräch mit dem Taxifahrer anzufangen, was aber an allen Themen scheiterte. Von Mittwoch bis Freitag stand ein schweres Programm an und 3 Tage Konzentration war angesagt. In den Pausen spazierte ich vom legendären (mittlerweile wirklich kein überzogener Begriff wie ich hörte) Ebert Place zum Rhein und genoss die Sonne in vollen Zügen bei einem Stück Streusel-Kuchen statt einem erstklassigen Essen im 5. Stock mit einem Maitre de Cuisine. Aber was ist die Freiheit schon Wert? Am Mittwoch Abend ein Essen beim Italiener mit einem vergessenen Krabben-Cocktail im Vorfeld der anstandslos storniert wurde, Angeber Mineralwasser und Saltimbocca alla romana. Später am Abend an der Hotelbar ein Kölsch und gute Unterhaltung mit Geschrei im Hintergrund, welches durch ein Bayern Spiel verursacht wurde. Am Donnerstag wunderbar unhöfliche Bedienung in einem Kölner Brauhaus am Eigelstein mit saftlosem Haxenfleisch und fettigen Bratkartoffeln, Trost spendete nur das Kölsch mit der blauen Marke. Freitag Abend dann vollkommen ausgepumpt in die Koje nach einem einsamen Steak, dem Rolling Stone Magazin und einer Cola mit viel Eis im Hotel-Pub. Die Jumbo Frites waren nicht der Rede wert, das Cole Slaw etwas künstlich im Geschmack.
Am Samstag morgen schien die Sonne und Lomax holte mich in einer guten Laune ab, das Timing hätte besser nicht sein können. Die Menschen vorher am Frühstücksbuffet zu beobachten war wie immer eine reine Freude. Warum essen die ausserhalb immer Berge und Mengen und möglichst alles was angeboten wird, was zuhause nie der Fall wäre? Ich verlor mich in einem inneren Monolog über die fragliche Macht der Gewohnheit. Lomax und ich fuhren zu einem Markt, weil ich Mrs. Lomax Blumen mitnehmen wollte. Das vielleicht beste Bild des Wochenendes bot sich mir bei klarer, kalter und frischer Luft: Sonne über, ein umtriebiges Gewusel neben und dazu ein Akkordeon Spieler vor uns. Die Idylle hätte schöner und ausgelassener nicht sein können. Was für ein wunderbarer Markt! Hätte gerne mehr Zeit dort verbracht.
Bei Lomax angekommen verstrichen die Stunden bei Kaffee, Unterhaltung und später Musik in einem wunderbar gemütlichen Musikkeller mit Telefon-Anbindung an die darüber gelegene Küche. Was für ein Service! Die Entscheidung in der Sonne zu bleiben oder in die Tiefen des Kellers zu gehen fiel uns sichtlich schwer, doch der Ruf der Sirene im Keller war zu betörend. Wir hörten Jazz, schwelgten in zwei Nummern von Chet Baker und im Anschluss hörte ich eine der perfektesten Musik Nummern überhaupt: Street Life von den Crusaders. Grandios und definitiv ein Höhepunkt am Abend. Lomax schmunzelte und freute sich über das 2,5 min Fade Out. Zwischendurch musste die Musik ruhen und der Bundesliga Konferenz weichen mit einer überragenden Sabine Töpperwien in der Hauptrolle. Bundesliga über das Radio ist nach wie vor besser als alles andere. Barrios und Sahin bescherten mir fette Punkte für mein Kicker Team und Hannover steht am Rand der Klippe. Schalke und die Bayern zogen gleich. Spektakulärer Spieltag.
Der "Musik-Abend" stand an und innerlich war ich im Gegenteil zu sonst ruhig, ich freute mich auf die standardisierten Rituale und natürlich auch die Musik. Am Anfang so stellten alle humorig fest würde sich keiner trauen und am Ende sich wiederum alle um einen Platz an der Anlage "prügeln". Es gab an diesem Abend 3 Typen: die sportlich-disziplinierten, die still, leise und anständig ihre Tracks auflegten wenn sie an der Reihe waren, die innerlich zerwühlten mit der Suche nach Aufmerksamkeit und die Beobachter, denen die Musik weniger wichtig war, als viel mehr das gesellige Beisammensein. Ich erwischte mich in der Reproduktion von Floskeln und Lob allen Ortes im Versuch mitzuhalten sowie eine Konversation über Musik zu starten, stellte aber schnell fest, dass ich im Anspruch verlor. Jeder legte reih herum auf, einige hatten sehr stylische Taschen mit Platten dabei, wieder andere einen Stapel CD'S Freestyle auf den Boden platziert und dann unsereins mit einem schwarzen Stick in der Hand, der schnell im USB Port des Rechners landete, nachdem die vormals geladenen Stücke auf Grund einer fehlerhaften Software nicht vom Rechner direkt spielten. Nach meinem ersten Stück wurde ich gelobt was mich beruhigte und freute als auch zeitgleich mit folgendem Satz deklassiert: "Das Album war irgendwo 'Album des Monats'!" Später kamen auch "Beleidigungen" hinzu wie "Hast Du Das aus einem Asia Massage Salon?" Aber eben solche Kommentare sorgten für eine trashig-heitere Stimmung. Interessant war, wie schnell die LP's und CD'S akkurat nach dem Spielen in die Hände der Besitzer zurück gelangten. Da waren die Sammler dann doch etwas vorsichtig und die häufig gespielte Lässigkeit fand ihren ebenbürtigen Partner in der Neurose. Das beobachtete ich mit zunehmenden Staunen.
Nachdem wir um 00:00 Uhr "Hoch soll er leben" mit Innbrunst und Alkohol-geschwängert intoniert hatten ereigneten sich eine Reihe mysteriöser und denkwürdiger Vorkommnisse. "Protein-Ralle" ermahnte uns die Musik leiser zu stellen, da neben an eine ältere Band ihr schnarchen probte und sich darin gestört fühlte. Er hörte das Klingeln an der Tür rein zufällig auf dem Gang zu den sanitären Anlagen. Keiner von uns war Zeuge. Fort an war die Unterhaltung lauter als die Musik. Dann beobachtete ich für einen Moment eine Szene die mich im Innern äusserst belustigte und mir zeigte, dass irgendwann die Kinder so sein werden wie ihre Eltern. Die Rollen (die für manche in diesem Raum immens anstrengend sein müssen, die sie im Alltag spielen müssen) wurden für kurze Zeit abgelegt und alle zeigten ein hohes Mass an Erleichterung. Das war wirklich 'Irresistible'! Höchst interessant, auch wenn alle Anwesenden diese zwischenzeitlich gespielte Musik im Grunde nicht mögen, wie Sie den abfallenden Schutz mit Argumenten und bürgerlichem Lächeln zu kompensieren suchten. Soviel aus der Sparte 'Psychologie für Arme'.
Der Abend klang mit einem Meisterwerk der Popmusik aus, was manche dazu bewog es zu kritisieren ohne es zu kennen auf Grund Absolutismus-Ansprüche anderer. Als Rauswurf Musik wurde irgendein erbärmliches Jazz Konzert aufgelegt, das keiner kannte. Es war ein wunderbarer, lustiger und musikalisch-kölscher Abend. Danke an Mr. und Mrs. Lomax und allen anderen Beteiligten. Der Sonntag kam für alle wie er sein muss nach einer solchen Nacht.
'It might get loud' hätte Lomax seinen Nachbarn vor dem Abend androhen sollen! So sorgten besorgte und schlaflose Rentner für einen Bruch eines ansonsten perfekten Abends.
Die Fahrt zurück im Zug am Sonntag endete mit wunderbarsten Beobachtungen der Mitmenschen.
"Thank you for travelling wis se Deutsche Bahn!"
Ich kann nur an die Worte meiner alten Englisch Lehrerin Frau F. gemahnen:
"MIND YOUR 'TH'!"
Rick Deckard