Lanzarote – Eine Utopie
Wenn ich so in den Urlaub fahre, habe ich harte Ansprüche an den Ort der Erholung. Desweiteren muss ich einfach andere Menschen erleben und benötige keine Landsmänner und –frauen um mich herum.
Genau diese Attribute versprach die Insel Lanzarote. Zwar ist auf dieser Kanareninsel auch der Massentourismus eingezogen, allerdings kann man diesen tatsächlich komplett umgehen, wenn man sich von den 3 Touristenzentren der Insel fern hält. Man hat dann die Chance eine spezielle Landschaft zu entdecken und zudem die unglaubliche Vision und das unglaubliche Konzept des lanzarotischen Künstlers César Manriques. Der Architekt und Künstler wollte „seiner Insel“ bereits in den sechziger Jahren, das Grauen der Nachbarinseln ersparen und hatte die Utopie die landschaftliche Schönheit Lanzarotes zu erhalten. Und zwar mit den sanften Mitteln seiner Fähigkeit Visionen und Träume in ein großes Naturmuseum umzusetzen.
Doch wie ist so etwas möglich und ist der Gedanke und der Traum eines einzelnen Mannes tatsächlich auch der Gedanke und der Traum der Menschen, die dort seit Jahrhunderten leben und ist es auch der gleiche Traum der Menschen, die dort zu Besuch hinkommen?
Ich habe mich in den letzten 2 Wochen auf Lanzarote intensiv mit dieser Fragestellung beschäftigt. Bei den unzähligen Besuchen von Manriques „Einrichtungen“ und künstlerischen Meisterleistungen, kam mir jedoch immer wieder der Gedanke der „Gleichmacherei“ in den Sinn. Wer war dieser Manrique, der es tatsächlich geschafft hat dieser wunderbaren Insel seinen Stempel aufzudrücken und hat seine Kunst, seine Architektur bis heute eine Bedeutung?
Der normale Pauschalurlauber wird von Manrique kaum etwas mitbekommen. Die Betonburgen der Insel liegen wie alle Touristenkerker am Meer. Normalerweise kommt dieser Reisende am Flughafen an, wird in sein Feriendomizl gebracht und verbingt dort seine Zeit. Vielleicht macht er einen Tagesausflug, allerdings wird er kaum durch Orte wie Haria, Tequise oder Nazareth kommen. Auch die kleinen Fischerorte wird er nicht wahrnehmen. Falls doch, wird ihm auffallen, dass die Architektur der Häuser gleich ist. Kleine weiße Kästen, mit grünen Türen. Das wars. Alles eingebettet in die karge, komplett baumlose Landschaft der Vulkaninsel.
Selbst wenn man den Inselhauptort Arrecife mit seinen 60.000 Einwohner von den Bergen aus betrachtet, stört kaum eine vermeinliche Skyline. Die ganze Stadt ist im Sinne der Gleichmachung erbaut. Die ganze Stadt, außer dem einzigen Hochhaus der Insel! Dabei handelt sich um das 17-stöckige Gran Hotel, welches von schlauen Bauherren innerhalb von 4 Wochen hochgezogen wurde, als Manrique die Insel mal für die gleiche Zeit verlies. Als er wiederkam und den Betonriesen sah, muss Manrique kurzzeitig seinen Verstand verloren haben. Merkwürdiger Weise ist der Bau dann aber erst 2 Jahre später in Flammen aufgegangen. Bis heute konnten die Ursachen dafür nicht geklärt werden. Ebenso merkwürdig sind die Informationen zu Manriques Tod. Er ist unter dubiosen Umständen bei einem Autounfall auf der Insel gestorben! Hört sich alles interessant und letzendlich ist und hat alles auch wieder mit dem Kino und dem von uns geliebten Film zu tun.
Doch dazu gleich mehr. Erstmal ist noch wichtig zu verstehen, wer Charlie (nach dem ich Cesar immer noch falsch ausspreche, habe ich mich für einen Spitznamen entschieden) Manrique eigentlich?
Der Sohn eines Vertreters wurde 1919 in Arrecife geboren. Beeinflusst von Picasso und Miro hatte er bereits mit 23 Jahren seine erste eigene Kunstausstellung.
Nach wichtigen Besuchen und Lehrjahren in Madrid und New York kehrte er 1968 nach Lanzarote zurück und beschloss seinen Traum vom „Paradies der wenigen“ auf seiner Heimatinsel, einem der schönsten Orte der Welt, umzusetzen.
Zum Glück machte sein frührer Schulfreund José Cerdá unter Franco Karriere und stieg zum Präsidenten der Inselregierung auf. Cerdá hat Manriques Plan, nur die traditionelle Bauweise zuzulassen, auf mehr als zweistöckige Bauwerke zu verzichten und alle Werbeplakate von den Straßen der Insel zu entfernen gefallen und stimmte auch dem Konzept des „elitären“ Tourismus zu. Geld bekam er von seinem Mentor und Multitalent Jesús Soto und seinen zahlreichen Kontakten zu bekannten Zeitgenossen, wie Rockeller, Rita Hayworth, Andy Warhol.
Beschäftigt man sich anfänglich mit Manrique ist man sofort von seiner Idee gefangen. Seine harmonischen Verbindungen zwischen Mensch und Natur, sein Minimalismus, die architektonische Kunst der Integration von Felsen und Stein, sowie erstarrter Lavaströme in Wohnwelten einzusetzen ist ein Designtraum. Zwar verstand sich Manrique zuerst als Maler, allerdings wird einem beim Betrachten der zahlreichen Gebäude und Räume der Insel schnell bewusst, dass dieser Mann einen gewaltigen Einfluss auf unsere heutige Astethik hat.
„Mit absoluter Freiheit zu schöpfen, ohne ängste und Rezepte, tröstet die Seele und öffnet einen Weg für die Freude, zu leben.“ Diese Zitat steht wohl am besten dafür, was dieser Mann dachte.
Nun muss man natürlich fragen, ob diese ganze Utopie bis heute Bestand hat und was denn nun wirklich so beeindruckend an seiner Kunst war? Zum Glück habe ich hierfür das perfekte Fotomotiv gefunden:
Ein alter Tennisplatz, Lomax, toll! Das ist alles?
Dieser Tennisplatz steht für das Ende einer großen Zeit und gehört zum Anwesen Lagomar. Dieses Anwesen gehörte einst dem unvergesslichen Schauspieler Omar Sharif. Für etwas Eintrittsgeld kann man diesen Traum aus Tausendundeiner Nacht besichtigen.
Bei meinen Reisen steht meine Filmliebe immer im kulturellen Fokus. Bereits Wochen vorher bereite ich mich genau vor und studiere welche Orte für welche Filmsequenzen genutzt wurden.
Lanzarote ist natürlich für Filme eine dankbare Landschaft. So wurde zum Beispiel der von Manrique geschaffene Mirador Del Rio für das Anwesen des verrückten Horst Frank in der unvergessenen Fernsehserie Timm Thaler genutzt und die Mondlandschaft für die Außenaufnahmen für Franklin J. Schaffners "Planet der Affen" (1968) - somit werden Charlton Heston und Kim Hunter wohl auch noch auf diesem legendärden Tennisplatz verbracht haben;-)
So ein Anwesen, von einer Hollywoodlegende, in der man (fast) alle Räumlichkeiten betreten darf, bis hin zu Küche, Klo und Wohnzimmer, ist da wirklich ein ElDorado, für Romantiker wie mich. Somit gebe ich auch gerne zu, dass ich Tränen der Freude in den Augen hatte, als ich dieses Anwesen betreten habe und die furiosen Räumlichkeiten besichtigen durfte.
Die arabisch anmutenden Türmchen, Kuppeln, die runden Mauern, die Pools und die labirinthischen Gänge sind einfach wunderschön. Das alte kaputte Netz auf dem Tennisplatz faszinierte mich aber viel mehr. Für wenige Milisekunden sah ich Peter O’ Toole, Sir David Lean, Omar Sharif und Maurice Jarre auf dem Platz bei einem nachmittäglichen Doppel stehen. Im Hintergrund lief gerade „Lara’s Theme“, eine Off-Stimme erklärte, warum Sharif das Haus bei einem Bridgespiel verlor. Das Bridgespielzimmer besichtige anschließend, dieses Bild hängt dort und sagt alles:
Später als ich im Partykeller von Sharif sitze und darüber nachdenke, welchen Drink ich nun zu mir nehme, fällt mir der Tennisplatz wieder ein:
Auch Kunst ist vergänglich. Eine Insel als Kunstwerk ist tatsächlich eine Utopie. Genauso wie daran zu glauben, dass die gute alte Zeit des Kinos, der großen Stars zurückkommt. Genauso wie daran zu glauben, dass schöne Zeiten wiederkehren, man an ihnen festhalten kann. Was bleibt ist die Lebenszeit. Das Jetzt und das Bewahren, was wir mit dieser Seite ja auch immer versuchen! Und wirklich, auch wenn ich mir vorgenommen habe, keinen Computer zu nutzen (was ich auch geschafft habe), diesen blog habe ich vermisst!
Zurück zu Manrique, zurück zu Lanzarote! Noch kann man, wenn man möchte, erleben, wie ein Weltwunder aussieht. Endlich mal eine Insel, wo man den touristischen Wildwuchs erfolgreich auf drei Ferienzentren an der Küste beschränkt hat (…schreibt Dieter Schulze in seinem Lanzarotebuch; sehr zu empfehlen). Weiter: „…man erlebt Dörfer, die sich harmonisch in die Vulkanlandschaft einfügen, symmetrisch angelegte Felder, Weinhügel und Salzgärten. Die Häuser sind in den Farben Weiß und Grün gehalten, nirgendwo schaut man auf Werbetafeln, Neongeflimmer oder hässliche Stromleitungen.
Das Lanzarote so aussieht, ist Charlie Manrique, zu danken! Taucht man tiefer in seine Welt, darf man so was sehen:
Doch das Böse lauert hinter jeder Ecke:
Obwohl ich Optimist bin und an das Schöne der Welt glaube, so bin ich doch auch zu sehr Realist, um nicht genau an Manriques letzte Worte zu glauben:
„Wir hatten es fast geschafft, und jetzt kommen diese Geister, diese Spekulanten ohne jede Moral…Das ist eine außergewöhnlich bunte Sammlung von Spitzbuben, Spekulanten aus Spanien, von den Kanarischen Inseln, aus dem Ausland. Doch die Schlimmsten, die letztendlich verantwortlich sind die für die barbarischen Tourismusprojekte der jüngsten Zeit, sind einige Lokalpolitiker, Leute in der Provinzregierung von Las Palmas und er Zentralregierung in Madrid.“
Kunst in die Praxis umzusetzten, ist das was ich von Lanzarote mitnehme und auch wieder zurückbringen werde! Es gibt zwei Kleinode, von denen ich nicht berichten werde und die ich mir für die „Flucht“ bewahren werde: Ein Geheimnis, meine Utopie und ehrlich, es ist besser eine eigene Utopie zu haben, als von Gleichmacherei zu sprechen!
Alan Lomax