Kraftwerk 3-D Konzertreihe „Der Katalog – 12345678 – Live in Düsseldorf 11.01.2013

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  12. Januar 2013, 12:24  -  #Konzerte

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Seit Tagen war ich aufgeregt. Zum Glück hatte ich eins der unglaublich raren und kompliziert zu bestellenden Tickets für die Heimkehr von Kraftwerk nach Düsseldorf erstanden. Zwar hatte ich Kraftwerk am 27.03.2004 in Köln bereits live gesehen, jedoch hat die jetzige Konzertreihe in der Kunstsammlung Nordrhein Westfallen einen anderen Stellenwert: Die Auftritte der einzigen wichtigen Deutschen Band überhaupt sind noch rarer geworden, die gleiche Konzertreihe die im April 2012 im New Yorker Museum of Modern Art gespielt wurde, hat einen pop-historischen Stellenwert erreicht und letztendlich kehrt das Projekt Kraftwerk auch an den Ort der eigenen Geschichte zurück.

Abgesehen von diesen drei ausreichenden Gründen aufgeregt zu sein, habe ich in den letzten Jahren die Zeit gehabt zu verstehen, dass Pioniere wie Kraftwerk oder Hans-Joachim Roedelius (den ich gerne in diesem Zusammenhang nenne) nicht nur elektronische Vorreiter der heutigen Musik gewesen sind, sondern durchkomponierte, mit einer kaum vergleichbaren Patina und einzigartigen versehen künstlerisch vergrabenen Musik komponiert haben.

Die Faszination dieser Kunst liegt eben nicht nur im Nachspiel von irgendwelchen Melodien mit irgendwelchen elektronischen Instrumenten, sondern auch in dem frühen Verständnis der Klangerzeugung mit nicht konventionellen Instrumenten und Geräuschen. Wobei das Wort Klangerzeugung eben nicht reiner Zufall ist, sondern als „Klang“ und „Erzeugung“ zu verstehen ist.

Und das Kraftwerk eben nicht nur wegen der Klangerzeugung mittels elektronischer Instrument und ihrer Bedeutung für die heutige Musikwelt durch Methoden und Innovationen wie z. B. das vorweggenommen Homerecording sind, sondern durch ein perfektes Image und einer genialen Vermarktungsstrategie auch ein Gesamtkunstwerk geworden sind beweisen die aktuellen Audio Operator Fritz Hilpert, Henning Schmitz, der Video Operator Stefan Pfaffe und natürlich Chef-Roboter Ralf Hütter nun an diesem ersten Abend in Düsseldorf, an der richtigen und logischen Stelle eines musealen Umfelds.

Autobahn zählt zu den kommerziell erfolgreichsten Alben des Düsseldorfer Kollektivs. Schneider und Hütter waren die damaligen Chef-Operatoren, Karl Bartos und Wolfgang Flür wurden als Schlagwerkerzeuger angeheuert. Natürlich überstrahlt der bekannteste Hit die gesamte Platte und die A-Seite, letztendlich auch das Konzert! Die gekürzte Singleversion stieg in den US-Charts 1974/75 auf Platz 5. Ein wichtiges Ereignis. Denn durch die Plattendollars konnte damals Equipment gekauft werden, ohne den die Sounds auf den Nachfolgern „Radioaktivität“ und „Trans Europa Express“  wohl weniger perfekt geworden wären.

Überraschender Weise beginnen die Vier diesen Abend mit „Die Roboter“. Eine Art Introducing! Erst dann folgen die fünf Stücke des "Autobahn"-Albums. Alleine "Autobahn" hätte den Abend tausendfach gerechtfertigt. Gerechtfertigt als Kunst! Denn das gesamte Konzert ist Kunst. Mit einem normalen Rockkonzert hat diese Aufführung überhaupt nichts zu tun. Die B-Seite des Albums ist recht schnell abgehandelt, bevor mit Geigerzähler eine Hit-Retrospektive beginnt, wobei die Themen Maschine, Fortbewegung und Computer natürlich im Mittelpunkt stehen. 

radioaktivität IVWährend die vier gewohnt statisch und sehr beeindruckend an ihren Arbeitstischen stehen, läuft im Hintergrund das Albumgemälde, das einst der Kraftwerk-Hausgrafiker Emil Schult entworfen hat ab. Es wird dreidimensional animiert und offensichtlich auch ständig fortentwickelt. So wurde bei einem der Höhepunkte (Radioaktivität) Fukushima berücksichtigt. Hütter singt die wenigen Textzeilen sogar auf Japanisch. Bedeutungsvoll, beeindruckend. 

Es folgt ein Durchlauf  der Höhepunkte des späteren Kraftwerk-Schaffens, eine Art Best-Of, von "Trans Europa Express" bis "Musique Non-Stop" – alles chronologisch auch hier, meist in den deutschsprachigen Remix Versionen vorgetragen (siehe Setlist). Und alles exakt und auf den Punkt vorbereitet. Um Punkt 20:00 Uhr fiel der Vorhang, das Konzert dauert genau 2 h, deutsche Gründlichkeit! Klang und Sound waren übrigens ein Traum! Der komplette Raum wurde auch mit einem 3D-Hörkonzept ausgestattet. Endlich mal tatsächlicher Kreissound. Dabei bis in die letzte Frequenz ab gemischt und getunt. Die 3D Animationen funktionieren gut, noch nicht ganz perfekt. Was aber überhaupt nicht auffällt, da die weniger guten Animationen mit Humor und Patina ausgestattet sind. So freut man sich als Kölner bei Neonlicht z. B. über die 4711 und Klosterfrau Reklame der 1960er Jahre...   

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Wie wäre es wohl vor 30 Jahren in diesem Museum mit dieser Band gewesen? Gestandene Musikjournalisten hätten die Platte als profane Pop-Platte abgetan und Kraftwerk vorgeworfen, dass sie die Kunst und die Avantgarde von „Kraftwerk“ (1970), „Kraftwerk 2 Technik – Musik (1971)“ und „Ralf und Florian“ (1973) verraten hätten. Vielleicht wäre ein Streit entstanden. Intellektuelle der 1970er Jahre machten ja noch den Mund auf. Vielleicht hätte es eine offene Diskussion über „Übergange von musikalischen Schaffensperioden“ oder muss „Musik im Museum“ stattfinden, gegeben. Am schlimmsten wären wohl die Verfechter aus dem Tangerine Dream oder Walter(Wendy) Carlos Lager gewesen, die Synthesizer damals als pseudoklassisches Instrument verstanden hätten.

Heut zu Tage ist dies anders. Das betagte Düsseldorfer Publikum bleibt bemüht gelassen, ist aber bist zum äußersten Pegel bewegt. Ich habe gesehen, wie sich erwachsene Männer unter Tränen umarmt haben!. So geht es auch hier nicht um „Eingeweihte“. Mit den großen Museen, kommt auch die große Kunst und damit der Mainstream. Aber wie viel Mainstream verträgt ein Museum?

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(Wo sind die Roboterkollegen?)

Es ergeben sich viele Fragen an diesem Abend! Denn es paassierte viel besonderes und interessantes. An zurücklehnen um Bild und Klang im Kopf nachhaltig zu genießen ist nicht zu denken. Hier passierte etwas größeres, etwas was es gilt zu rekapitulieren, in Frage zu stellen, zu diskutieren, zu feiern und immer wieder leidenschaftlich aufzuzählen. Es geht eben um Kunst!

Ein sehr aufregender, spektakulärer und unvergesslicher Abend! Und irgendwie eines der coolsten Konzerte der Welt!

 Träumend von 2345678, vom Tate Museum, aber ohne weitere Karte im Katalog

Alan Lomax

(Fotos by J.B. und A.L.F)

Setlist

Die Roboter
Autobahn
Kometenmelodie 1
Kometenmelodie 2
Mitternacht
Morgenspaziergang
Geigerzähler
Radioaktivität 
Trans Europa Express
Spacelab
Das Modell
Neonlicht
Mensch-Maschine
Nummern
Computerwelt
Computerliebe
Heimcomputer
Tour de France Etappe 1 und 2
Vitamin
Planet der Visionen
Boing Boom Tschak
Technopop
Music Non Stop

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