Kelis - Food

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  8. Mai 2014, 17:33  -  #Populäre Musik

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Zugegebener Weise: Es  hört sich nicht sonderlich kreativ an eine Schallplatte über gesunde Ernährung zu machen. In mehreren Interviews kann man dann nachlesen, dass die Sängerin über die afroamerikanische Geschichte, über das Soulfood, zur Identitätsfindung beim Rhythm & Blues ankommt.

Es ist schon komisch, und in Wirklichkeit gibt es auch keinen wahrhaftigen Grund, sich nicht ein paar unernste Gedanken darüber zu machen, insbesondere wenn man bedenkt, dass ich mir noch vor ein paar Tagen den Kopf über die Bedeutung von deutschem Rock gemacht habe. Was fällt mir dazu ein: „Currywurst“ von Grönemeyer, „Käsebrot“ von Helge Schneider, „Ich ess‘ Blumen“ von den Ärzten und natürlich Tocotronics „Ich habe geträumt ich wär Pizzaessen mit Mark E. Smith“, …aber ob das alles eine gesellschafts-kulturelle Bedeutung hat, weiß ich gar nicht.

Aber KELIS sagt auch, dass die Musik ein Privileg ihrer Begabung ist und kein Volkseigentum. Die Hörer sollen aus den Songs machen, was sie wollen. „Mich gibt’s nur einmal, das ist meine größte Fähigkeit, und mit ihr komponiere ich tolle Songs.“ Okay? Weiter: „Deshalb ergreift die Waffenrüstung Gottes,  damit ihr an dem bösen Tag Widerstand leisten und alles überwinden und das Feld behalten könnt.“ (Interview www.taz.de und Epheser 6.13).

Frau Rogers ist halt etwas, milde gesagt, „durchgeknallt“, aber es ist ja genau das, was man heutzutage häufig vermisst. Dieser Star-Appeal, den Unterhaltungsmoment, die Show, die Diva. Und das ist KELIS zweifelsohne. Nicht der ganz große Superstar, nicht die ewige Dance- und R&B-Größe, sondern ehr unbequem, etwas vorlaut und im alternativen Bereich verhaftet. Der ganz große Hit blieb immer aus und somit auch der ganz große Knall- bzw. Abdrift-Effekt.

Musikalisch sind all‘ ihre sechs Alben ungewöhnlich, vielleicht sogar einzigartig. Und KELIS? ..sie klingt besser, als sie je geklungen hat. Mit dem exzessiven „Caught Out There“ (1999) oder dem nervösen Album „Flesh Tone“ hat die Retro-Soul-Platte „Food“ wenig gemeinsam. Langweilig sind diese ewigen Gegenüberstellung ja eh‘, aber da sich auch die New Yorkerin Joan As Policewoman www.lomax-deckard.de mit dem Album „The Classic“ auf die Soulwurzeln beruft, macht es Sinn beide Scheiben hintereinander zu hören. Die Interpretationen sind unterschiedlich, facettenreich und interessant. Denn die Sicht einer weißen Künstlerin auf ihre Doo Wop Heldinnen ist viel rockiger, verruchter, als der cleane, saubere, aber rätselhaftere Ansatz von KELIS.

Zuerst war ich überrascht, wie langweilig und stumpf die Arrangements auf „Food“ sind. Konnte kaum glauben, dass diese verkrampfte Musik, eben Phil Spector verliebt sein soll?

Nach weiteren konsequenten Durchläufen und ständigem Kopfschütteln, klickte es dann auf einmal bei dem Song „Floyd“. Zusammengefasste, eine scheinbar überloopte, inhaltslose Nummer („I want to be blown away, Blow me away, I want to be blown away usw.), aber in Wirklichkeit eine minimalistische Bacharach-Hymne und zugleich wundervolle Entdeckung.

Die nachfolgenden Nummern „Runnin‘“, „Hooch“ und insbesondere „Cobbler“ haben Wärme und Tiefe, benötigen keine Vorstellung. Überraschend und extraordinär dann „Bless The Telephone“ eine klare Country(Cover-)nummer mit Widerspruch, gefolgt von den Highlights des Albums, die man sich erarbeiten muss.

Vielleicht hat man bis dahin auch die merkwürdige archaische Themenwelt „Essen“ vergessen, denn letztendlich kann man sich der brüchigen, feinen Stimme von KELIS nicht entziehen.

 

Oftmals schrieb ich hier von meinem unvergesslichen KELIS  Konzerterlebnis auf dem Haldern Pop Festival. Im August, spielt die New Yorkerin im Rahmen der c/o Pop im Alten Wartesaal in Köln. Besser hätte es nach über 10 Jahren nicht kommen können. Ich bin gespannt auf die Zusammensetzung der Band und auf die Fisimatenten von KELIS, die nebenbei gesagt immer noch sowas wie die Soulprinzessin ist und weiterhin Unbeständig wirkt. Gut für uns!

Alan Lomax

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