Joanna Newsom 19.05.2010 im Düsseldorfer Savoy Theater

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  20. Mai 2010, 08:15  -  #Konzerte

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Pink Floyd, Fleetwood Mac oder die Eagles haben einst eine ganze Musikrichtung zu Grunde gerichtet. Hippie- und Folkrock wurde zum fest gelegten Geschmack gemacht.

 

Es folgte eine Generation von Rebellen, die es eben nicht so machen wollten! Heute sind wir in einer Zeit der Replikation angekommen. Gerne sagt man auch Wiederholen, im Falle von Joanna Newsom, möchte man aber von Erwidern sprechen.

 

„Jede Musik, über die man erst groß nachdenken muss, ist akademischer Müll“, hat der Komponist Steve Reich einmal gesagt!

 

Nun kann man über Joanna Newsom sicherlich ganze Bände schreiben und Wochen nachdenken. Sie bringt sehr vieles Zusammen/Repliziert, ist dabei innovativ und einzigartig, antwortet aber auch und sucht interessanter Weise nicht die Rebellion, sondern ehr die Schönheit der Chance, frei nach Thees Uhlmann.

 

Als ich dort gestern im Savoy Theater in Düsseldorf saß, gingen mir verschiedene Dinge durch den Kopf. Ich kann nicht genau sagen warum, aber ich muss zugeben, dass ich mich von der Idee weitere Bands aufzuzählen nicht trennen konnte. Angefangen hatte ich ja bereits, weiter geht es mit Solokünstlern wie Eric Clapton, Johnny Cash, Leonard Cohen. Wichtige Musikanten mit dem großen Anspruch eine erwachsene und gebildete Zielgruppe anzusprechen. Das Formatradio bezeichnet diese Sparte als „Adult Contemporary Music“.

 

Ist es zuviel nachgedacht oder will Joanna Newsom diese Zielgruppe auch erreichen? Natürlich würde von den Besuchern in Düsseldorf niemand zugeben, eine Eric Clapton Platte zu besitzen. Bei Leonard Cohen und Johnny Cash schon ehr, aber so sind sie halt, diese Umhängetaschenträger.

 

Adult Contemporary finde ich gut als Bezeichnung, das gefällt mir und passt wie Deckel auf Eimer. Dabei ein Grinsen im Gesicht, kann ich mir auch ein Vergleich zu unserem Konsensgirlpopstern Lena Meyer-Landrut nicht verkeifen. Selbst ausgewiesene Contemporary Adults aus meinem Kenner-Musik-Freundeskreis, haben sie als neues Rollenverständnis der deutschen Frau bezeichnet. Ist Kate Nash der britische Gegenentwurf, ist vielleicht Joanna Newsom der amerikanische Kontrast?

 

Wir sprechen hier immerhin von Harfenmusik. Und das allein ist überhaupt nicht selbstverständlich. Die Harfe mag zwar das älteste Instrument der Welt sein, unsere unsinnige Verbindung zu den Klängen der Seiten sind doch ehr kryptisch: Sagen, Mythen, Märchen, Feen und verschwommene Landschaften, vielleicht ein Einhorn. Alles Quatsch, sagt Joanna und befeuert uns mit minutenlangen Nummern, die streckenweise zu zerbrechen drohen, aber durch ihren furiosen Gesang einen enormen Spannungsaufbau aufrechterhalten.

 

Im Gegensatz zu ihren weiblichen Kolleginnen ist die Newsom (darf man eine 28-jährige schon wie eine Diva ansprechen?), aber ein unfassbares Genie. Weit entfernt von jeglichen Klischees oder Überlegungen zu pop-kulturellen Diskursen. Bei der Nevaderin oder muss man Nevadenserin sagen (?) gibt es keine Enden. Die Dame steckt voller Ideen die einem zum Zuhören zwingen. Sie ist ein Gesamtpaket von außer ordentlichen Talent und unendlichem musikalischen Umfang.

 

Bei dem Song „Easy“ setzt sie sich ans Klavier. Ein neuer Eindruck im Haus. Unweigerlich muss ich an Kate Bush denken. Auch ein Role Model ihrer Zeit. Auch eine Klavierfrau. Joanna Newsom möchte das nicht sein!

 

Natürlich wird Joanna Newsom immer unbekannt bleiben. Ihre Songstrukturen sind einfach nicht greifbar genug, um sie einem Mainstreampublikum auszusetzen. Ich wage mich mal weiter raus und behaupte, dass auch ein AC-Publikum nach Radioformatjargon nicht mithalten kann. Und zwar einzig und allein aus dem Grund, weil die Ohren zu ungeschult dafür sind. Denn dann macht Joanna Newsom Musik kein Spaß. Und hier gibt es aus meiner Sicht eine zarte Besonderheit:

 

Ausgehend davon, dass ein musikalisch Ohr und dass da hinter liegende Gehirn stufenweise lernt und insbesondere akustische Momenten mehr vertraut, die einfach sind, sind es bei dieser merkwürdigen Musik auch noch die ungewohnten Klänge, das jammern und das flehen der Newsom. Das will man nur hören, wenn man es mag. Wenn man es nicht mag, wird man es nicht hören. So einfach ist es eigentlich.

 

Wenn man wohl komponierte Musik, wie z. b. die von Burt Bacharach, den Beach-Boys, Glen Campbell oder Steely Dan hört, weiß man, wie es aus geht. Man kann ein Ende erblicken. Bei der Musik der 28-jährigen, steht man vorerst vor einem Klang, dann erst kommt die Zugänglichkeit, allerdings auch erst in der Entfaltung ihres eigenen Kosmoses und in totaler Ablehnung gegen herkömmliche Orchesterarrangements und bekannten Kompositionen. Was nicht heißen soll, dass diese polyfonen Arrangements nicht beeindruckt können. Im Gegenteil: Die 2 Streicher, der Posaunist, und der ausgefallene Schlagzeuger Neal Morgan halten die komplexen Passagen zusammen. Mastermind hinter diesen perfiden Strukturen ist Ryan Francesconis. Mit Banjo, einer unglaublichen schönen Fender Telecaster und einer alten akustischen Klampfe steuert Francesconis die unauffälligsten Töne hinzu, erzeugt aber z. B. durch intelligente kurz Einwürfe wie ein paar Ragtime-Akkorden eine zauberhafte Atmosphäre. Der Gitarrist scheint sowieso ein Meister des Minimalismus zu sein. Immerhin hat er die irrsinnigen Orchesterarrangements von Van Dyke Parks auf dieses kleine Ensemble runtergeschrieben.

 

Zauberhaft, entspannt und humorig wirkt Joanna Newsom zwischen den Stücken. Gekleidet ist sie in einem langen sommerlichen Kleid und mit ihren langen, leicht rötlichen Haaren sieht sie aus, als wenn sie vor dem Konzert noch über die Wiese von unserer kleinen Farm gelaufen ist. Man kann nur beeindruckt sein von so viel Natürlichkeit gepaart mit diesem jenseitigen, metaphysischen, übermenschlichen, supernaturalistischen Talent.  

 

Was sich hier in dem vermuften Comedyknast, dem Savoy Theater, an diesem Abend abspielt, ist NEU und es ist triumphal! Es ist nicht vergleichbar, mit gar nichts und keinem (aufgezählte Musiker in diesem Text natürlich eingeschlossen). Es ist kein Folk, keine Wiederbelebung von irgend etwas, keine AC-Musik und Joanna Newsom ist auch keine Wiederverkörperung von einer schon mal da gewesenen Musikform.  Sie ist eine Künstlerin die Musik macht, die nicht zu Vergleichen ist, keinem popkulturellen Kontext entspricht und in der Tat zum nachdenken anregt und zum konzentrierten Zuhören verpflichtet.

 

Ich betrachte es als persönlichen Triumph endlich mal bei der Erfindung und Erschaffung eines neuen musikalischen Universums dabei gewesen sein zu dürfen.

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