Janelle Monáe – The Arch Android – Live Gloria Köln 13.12.2010
Die folgenden Zeilen habe ich mir sehr gut überlegt! Wenn man so in einer kleinen Öffentlichkeit über Musik schreibt, hat man schließlich auch eine Verantwortung. Im Sinne dieses blog's erstmal sich selbst gegenüber, aber irgendwann muss man ja auch für seine Eindrücke und Behauptungen gerade stehen.
Retrospektiv gesehen, muss man sicherlich einiges revidieren, was man so los gelassen hat. Klar, in erster Linie neige ich hier auch zu Übertreibungen, zur übersteigerten Empathie, zu großen Worten und zu Impulsen des Augenblicks. Die ewige Gefahr der Inflation der großen Worte! Zugegebener Weise finden natürlich auch unreflektierte Behauptungen statt. Das ist auch gut so, denn so bleibt das Spontane erhalten.
Zurück zur Musik. Diese ist wichtig für mich! Auf der ewigen Suche nach dem perfekten Popsong, dem tollen symphonischen Moment, für die Ewigkeit.
Was macht also eine Weltbewegende Musik im Jahre 2010 aus? Die besten Referenzen der letzten 50 Jahre, mit dem Mut zur Neuinterpretation inkl. dem Können und Wissen von philosophischem, prophetischem und handwerklich perfektem Können. Nebenbei noch die unfassbare Coolness zu haben, dass alles richtig und zeitgerecht darstellen zu können, vielleicht?!
Meine Damen und Herren, ich spreche hier von Janelle Monáe und ihrem Album The Arch Android. Diese Platte ist die erste wirklich wichtige und bleibende Platte des elf Jahre alten neuen Jahrtausends für mich! Eine Platte die in die Galaxien geschickt wird, um fremden Welten und Lebensformen zu zeigen, wozu der künstlerisch, kreative und schlaue Mensch im Jahre 2010 fähig ist.
Doch nun mal langsam, sortiert und von Anfang an!
Großes braucht große Taten und wahrscheinlich eine zarte Herangehensweise! Heut zu Tage glaubt kein Mensch mehr daran, dass auf einmal eine Frau aus dem nirgendwo kommt und die erste Welt bewegende Musik der letzten, sagen wir mal 20 Jahre macht. Nicht mehr in diesen Zeiten, scheinbar.
Hier also ein paar Anhaltspunkte für Skeptiker: Der Spiegel (sonst nicht wirklich mit Euphorie verhaftet) schreibt völlig richtig, von dem verdichteten expressionistischen Schmelztiegel aus jeder Form von farbiger Musik vom Big Band Jazz über Soul, Funk, Rare Groove, HipHop und modernen R’n’B und von der „Neuerfindung des Funks“. Eine amerikanische Zeitung postiert, dass „James Brown eine Frau ist.“ Selbst die sonst skeptische FAZ lässt sich zu einem „diese Frau ist visionärer als Prince“ hinreißen. Weiter geht’s mit den Großen! Quincy Jones und Prince sind extra für den Auftritt der Dame zum Montreux Jazz Festival gekommen!
Mehr Lob geht nicht? Doch! Hier ein paar Zeilen aus einer Konzertvorankündigung: „ ...denn JANELLE MONÁE definiert mit ihrem Konzept-Album „The ArchAndroid“ eine neue Ebene des Urban Soul, musikalisch wie inhaltlich. Eine solche Melange aus Musik-Stilen, Mode-Styles und Zitaten von Filmklassikern wie „Metropolis“ bis zum „Zauberer von Oz“, verpackt in eine schillernde Geschichte der Welt im Jahre 2719, hat man noch nicht gesehen. Und eine derart mutige, eigensinnige und aufregende junge Künstlerin erst Recht nicht. "Statt mit klassischen Herzschmerz-Schmachterinnen und Pseudo-Badgirls, muss man dieses androgyne Allroundtalent schon jetzt eher in die nähe von Pop-Giganten wie Prince oder Michael Jackson rücken“, lobt Spiegel Online. „A star is born“, bescheinigt die FAZ. Der Erfolg ist vorprogrammiert. Und selten war das so notwendig und angebracht wie hier.
Denkwürdige Zeilen, die ich gerne bestätige und nur zu Rate ziehe, weil mir im Rahmen der inflationären Empathie sowie keiner mehr alleine glaubt!
Wie bereits erwähnt handelt es sich bei „The Arch Android“ um ein Konzeptalbum. Was nur bestätigt, dass der Eindruck richtig ist, dass die Zeit der kurzen 30 Sekunden-Anhörstücken von itunes vorbei ist. Die volle Genialität der Platte entfaltet sich in ihrer Gesamtheit. Es gibt zwar jede Menge einzelner, nach dem ersten Hören, unvergessliche Hits, aber die Größe des hier entstandenen, kapiert man erst nach der gesamten Laufzeit und der damit vollendeten in sich entwickelten Kraft dieser Musik.
Wer ist diese Frau eigentlich? Tochter von ziemlich armen Eltern in Kansas City geboren. Entdeckt von Sean „Diddy“ Combs und auch vom gleichen Mentor genial vermarktet und von der Band Outcast vorangetrieben. Eine Unterstützung die in diesen Zeiten wichtiger ist als jemals zuvor. Künstlerisch und im Kontext der schwarzen Musik auch völlig richtig und nachvollziehbar das Konzept des Konzeptes zu gehen. Denn Frau Monáe titt als Cindi Mayweather in Erscheinung. Eine Erlöserrolle aus der erfundenen Erzählung die in der Androidenstadt Metropolis spielt, eine Hommage an Fritz Langs „Metropolis“.
Kritiker und Unwissende voran, voran! Die Herren des P-Funks Ende der Sechziger Jahre, Anfang der siebziger Jahre haben nichts anders gemacht. Gesamt gesehen, ist das der Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins. Wieder einmal, aber in diesen trüben Tagen der musikalischen Inflation ein richtiges Attribut.
Diese Platte ist unglaublich genial. Nach mehrmaligen hören, ist man bereits süchtig, nach den unglaublichen Einfällen, nach den bebenden Grooves, den unfassbaren Melodien, der fetten und breiten Instrumentierung, der Verschmelzung aller besten amerikanischen musikalischen Ideen aller Zeiten, nach den glücklich machenden einzelnen Momenten und nach dem dann in sich auflösenden Selbstverständnis der Darbietung.
Eine Schande einzelne Songs hervorzuheben, aber Zweifler müssen überzeugt werden. „Thightrope“ eignet sich hervorragend um zu verstehen, was hier in der Gänze passiert! Das Arrangement ist nicht sensationell, es ist überbordend und überfrachtend (fast) unerträglich. Es gibt Big-Band-Passagen, Funk und große sinnvolle musikalische Momente.
Wenn ich mich irre werde ich mich melden! Ich werde so schnell nicht mehr von einer anderen Platte sprechen! Ich werde weiterhin Janelle Monáe hören, mich freuen, stolz darauf sein zu der Generation von Menschen dazuzugehören, die diese Platte als Meilenstein identifiziert hat und selbstverständlich nachträglich mit mir selbst ins Gericht gehen, falls ich mich nachhaltig getäuscht haben sollte.
Es gibt nicht viele Platten die ich von Anfang an, nach mehrmaligen hören und reflektieren sofort in meine Kathedrale der wichtigsten musikalischen Momente aufgenommen habe. Zuletzt ist dies 1998 mit Burt Bacharach’s und Elvis Costello’s „Painted from Memorys“ passiert. Jetzt gehört dieser Meilenstein dazu, natürlich habe ich den Trumpf in der Hand, diese Aussage zu widerlegen, zumindest innerhalb der nächsten 12 Jahre. Soviel Zeit muss sein.
Bleiben wir also vorerst auf dem Teppich! The ArchAndroid ist ein vorläufiger Meilenstein. Die Zukunft kenne ich nicht, aber rückwärts gedacht, fällt mir nichts vielfältigeres, wahrhaftigeres und komplexeres ein.
Ich hatte das Vergnügen George Clinton, Bootsy Collins, Maceo Parker, James Brown, Bernie Worrell, Pee Wee Ellis und die Parliament-Funkadelic-P.Funk All Stars zu sehen. Jedes Mal hatte ich den Eindruck im musikalischen Zentrum des Universums zu sein. Am 14. Dezember 1991 also genau vor 19 Jahren habe ich das Sun Ra Arkestra im Kuppelsaal zu Hannover gesehen! Als 21-jähriger eine Erfahrung die dem Urknall im herkömmlichen Sinne gleich kam. Nämlich dem wegschleudern von Musik von einem Zentrum künstlerischen Zentrum aus. Ohne, dass ich damals wirklich verstanden hätte, was passiert ist. Experimentelle Musik einerseits, aber vorgetragen von einer Ansammlung von Musikern, die definitiv nicht von diesem Planeten waren.
Sun Ra’s Musik hat immer wieder Revials erfahren. Auch in Deutschland! So wurde Mitte der neunziger Jahre vom Musikmagazin Spex ein Versuch gestartet, seine Musik im aufbrechenden rockmusikalischem Umfeld zu verstehen. Nach dem Erscheinen der entsprechenden Spex-Ausgabe, waren alle Sun Ra Scheiben im Fachhandel ausverkauft. Die Menschen glaubten sogar an etwas Besonderes in dieser Musik. Aber Sun Ra war ein Musikclown. Ein Selbstdarsteller der verstanden hatte, dass es eben nicht nur die Musik ist, die den Horizont der Menschen erweitert. Es ist auch die Geschichte, der Verve, die Darstellung, die einen interessant macht.
Janelle Monae hat dies aufgesogen und den Kreis musikalisch geschlossen. Ebenso wie die ganze Performance und den längst vergessenen darstellerischen Kosmos des Space bzw. Pure & Uncut Funks. Ihre expressive Darstellung ist famos.
Zu Beginn des Konzertes sehen wir 3 Personen, die als Mönche verkleidet sind und so „Dance or Die“ rappen. Nachdem die ersten Funkriffs gespielt sind, entkostümiert sich Frau Monae und sofort ist klar, dass hier das Besondere passiert. Die Band ist klassisch besetzt. Gitarre, Schlagwerk, Bass, Keyboards und zusätzlich eine Trompete und Posaune, sowie zwei Tänzerinnen. Das reicht! Im Gegensatz zur Platte, wird hier auf geschlossene groovende Momente gesetzt. Der Feinsinnigkeit tut das nicht Weh. Mit dem fließenden Übergang zum Überhit "Faster", wird auch dieser „Angst“ direkt entgegengewirkt. Es entwickelt sich ein denkwürdiges Konzert, welches in die Konzertgeschichte der Stadt Köln eingehen wird.
Die beiden restlichen Mönche, sind Tänzerinnen, die den visuellen Kreis schließen und verdichten. Räume, Tages-, Jahreszeiten zerfließen. Was übrig bleibt ist die Musik, die Energie, die Genialität und der Wunsch nicht zu gehen, weil man eben immer weiter tanzen will.
Energetischer Höhepunkt ist natürlich die Single „Tightrope“. Eine Nummer die jeder Anwesende des ausverkauften Publikums in den nächsten Jahren auf jede, aber auch jede Party schleppen wird um das Haus zu rocken.
Die Band ist phantastisch. Die Typen sehen genauso aus, wie man sich gute Studiomusiker aus Amerika im Jahre 2010/2715 vorstellt. Das Timing, der musikalische Dialog und die zulassende Interpretationsmöglichkeit werden bis an den Rand des Möglichen getrieben. Es würde noch besser mit einem kompletten Bläsersatz sein. Keine Frage, aber für eine erste Möglichkeit ist das ausreichend. Frau Monae ist jederzeit das Zentrum des Universums. Dass, sie der weibliche James Brown der Neuzeit ist, beweist mit unfassbaren Moves, Gespringe und einer Kraft, die definitiv nichts Menschliches mehr in sich verbirgt.
Ein absoluter Höhepunkt ist die Interpretation von Charlie Chaplins „Smile“. Es ist der Song mit dem Michael Jackson bekannter geworden ist, aber von der melancholischen Würde des Komikers in der Partitur der Melodie getragen wird. Alleine und nur von einer völlig absurden Gitarrenbegleitung zeigt Janelle Monáe in welcher Gesangsklasse sie spielt. In Zeiten wo Chinesen, Amerikaner und Argentinier aus globalen Castingshows als sog. Gesangstalente vorgeführt werden, zeigt diese Frau, was Darbietung mit einer Stimme wirklich ausmacht: Variation, Einfühlungsvermögen, Überraschung, Haltung und die Fähigkeit sich über einige Oktaven sicher zu halten und sein innerstes nach außen zu kehren.
„We want your Heart, we want your Mind, we want your Soul”!
Dieses Universum hat viele Monde, viele Möglichkeiten und bringt viele Lebewesen hervor. Alleine bringt es auch kein Künstler weiter, ganz besonders nicht im Umfeld dieser Musik. Das Kölner Publikum wird zum Ende euphorischer, elektrisierter. Keiner, keiner bleibt unbeeindruckt. Alle Menschen in diesem Saal, an diesem Montagabend wissen, dass sie bei einem unvergesslichen Konzert waren. Sie zeigen es mit hinreißender Euphorie und teilen das zwischen den Zeilen stehende Grundverständnis der Musik. Der Gedanke der Freiheit, der Gleichheit und des Friedens und der Party. Das alles werden sie mal ihren Kindern und Urenkeln erzählen. Sie werden sagen, damals vor 21 Jahren habe ich Janelle Monáe gesehen, die bis dahin, Prince, Michael Jackson und die Kollegen vom P-Funk, vom Experimenten Spielplatz und der Jazzpolizei überlebt haben.
Kein Universum für eine Nacht sondern für die Ewigkeit. Es sind diese Momente, es ist diese Musik, die ich immer suche und gerne für Weg weisend, einzigartig, wichtig und heilend erkläre.
Dance or Die
Alan Lomax