Islands in the Stream - Jerry Goldsmith
Ich bedauere es zutiefst, dass ich so wenig Zeit habe oder finde zu lesen. Das letzte Buch welches ich auf eine Empfehlung hin in den Händen hielt und las war 'Der Fremde' von Albert Camus. Als jemand, der fast jede Verfilmung basierend auf den Büchern von Ernest Hemingway gesehen hat, aber keines davon gelesen hat ist es fast schon peinlich. Jedes mal wenn ich 'Wem die Stunde schlägt' oder 'Der alte Mann und das Meer' sah nahm ich mir vor einen seiner Romane oder Erzählungen zu lesen, aber es scheiterte wie immer an dem nötigen Willen.
Der Film von Franklin J. Schaffner zu dem Jerry Goldsmith die Musik schrieb beruht auf der gleichnamigen Novelle von Hemingway in dem (sein Alter Ego könnte man sagen) der Charakter des Thomas Hudson die Titelrolle spielt und von George C. Scott verkörpert wird. Letzterer hatte bereits sehr erfolgreich mit Schaffner an 'Patton' zusammengearbeitet, zu dem ebenfalls Goldsmith eine seiner markantesten und berühmtesten Filmmusiken schrieb. Sowieso war die Kollaboration zwischen Schaffner und Goldsmith enorm fruchtbar, sei es die Musik zu dem Film 'The Stripper', den genannten 'Patton' mit der feinen musikalischen Charakterisierung eines durch und durch martialischen Menschen oder auch 'Planet der Affen' zu dem Goldsmith eine der besten Filmmusiken aller Zeiten schrieb und mit Sicherheit als Meilenstein gewertet werden darf, 'Papillon', 'Boys from Brazil' mit seinem düsteren aber auch vom Wiener Walzer geprägten Score oder 'Lionheart'.
Der Film war wie man im detaillierten Booklet lesen kann nicht einfach zu realisieren. Es geht in ihm um den Charakter des Thomas Hudson, der sich in die Karibik zurückgezogen hat, nachdem zwei Ehen gescheitert sind, als Bildhauer arbeitet und eines Tages mit seiner Ex-Frau und seinen Söhnen konfrontiert wird, als diese ihn auf seiner Insel besuchen. Seine Unfähigkeit seinen Söhnen die Liebe zu gestehen und die komplizierte Beziehungen zu seinen Ex-Frauen sind die Hauptsäulen des Filmes, der zu Beginn des Ausbruchs des II. Weltkriegs spielt. Die Produktionskosten waren auf Grund der Aussenaufnahmen auf See für damalige Verhältnisse enorm hoch. Paramount Pictures wollte kein Risiko eingehen und man versuchte einen Superstar zu engagieren und über Steve McQueen und Paul Newman fiel die Wahl auf dessen Empfehlung hin auf Scott, selbst John Wayne (!) hatte man befragt. Nach Beendigung der Dreharbeiten landete der Film für 2 Jahre im Archiv (!) bevor der neue Präsident von Paramount David Picker, der Schaffner und seine Arbeit schätzte, ihn 1977 veröffentlichte. Der Film wurde sehr unterschiedlich rezensiert, war kein grosser Erfolg und bescherte der grandiosen Fotografie von Fred J. Koenekamp dem Film seine einzige Oscar Nominierung.
Goldsmith zählt den Score für 'Islands in the Stream' zu seinen persönlichen Lieblingsmusiken und war sowohl von dem Film als auch der Handlung sehr bewegt und angetan. Ich liebe diese Musik auch und freue mich, dass sie nun in einer vollständigen Fassung vorliegt mit dem wunderschönen Artwork von Bob Peak (link zu seiner Homepage) und einem sehr aufschlussreichen Booklet. Ich höre Filmmusik deswegen so gerne, weil sie wie kein anderes musikalisches Medium Emotionen so direkt transportiert und v.a. Assoziationen hervorrufen kann, die sehr schwierig in Worte zu fassen sind. Filmmusik schafft es viele Erinnerungen und vergangene Momente an die Oberfläche zu holen und versetzt mich jedes mal in einem Zustand der Trance oder Entrückung.
Die Qualität oder Bedeutung eines Goldsmith nebst vielen anderen wie Herrmann, Williams oder Barry liegt darin begründet, dass ihre Musiken es schaffen auch für sich alleine zu stehen, entkoppelt von den Bildern und somit zur eigenständigen Kunst werden. Beachtlich wenn man bedenkt, dass diese Art Musik rein funktionalen und unterstützenden Charakter hat. Das 'Main Theme' mit seinem von einer Klarinette gespielten auf- und absteigenden und von einem Flügelhorn weitergeführten Thema ist so ein Beispiel. Harfe, Glockenspiel und Flöte vermitteln einem unmittelbar, dass hier das Meer gemeint ist. Diese Musik ist so schön, so romantisch aber auch zeitgleich fremd und "bedrohlich", dass einem keine Wahl bleibt als sich den "Bildern" hinzugeben. Der Komponist verwebt so grandios den "Calypso-Charakter" (intoniert durch Gitarre, Streicher und Percussion) der Karibik mit Streichern, dass man nur staunen kann. Klassik-Hörer werden sicherlich Parallelen zu Claude Debussy's 'La Mer' erkennen, aber Goldsmith kopiert hier keineswegs, sondern lehnt höchstens an die Idee an.
Einer der nachhaltig beeindruckendsten Cues ist der fast 12 min lange Track 'The Marlin'. Im Film versucht einer der Söhne einen riesigen Marlin auf hoher See zu angeln und damit auch seinen Vater zu beeindrucken. Hier werden die verschiedenen Themen des Films miteinander verflochten und so der Action und Handlung auf der Leinwand ein funkelnder Rahmen verliehen. Sowohl musikalisch als auch filmisch ein Höhepunkt. Dramatisch und sehr spannend. Grandios auch der Track 'Is Ten too Old', in dem virtuose Streicher imponieren.
Wenn man überlegt welche emotionalen Vorgaben Jerry Goldsmith erfüllen musste (Familie, Liebe, Verlust, Sterblichkeit, Vater-Sohn Beziehung), dann hat er diese kongenial in Musik umgesetzt und eine komplexe, melodische und wunderschöne Partitur geschrieben. Wenn ich die Augen schliesse und diese Musik höre, dann rieche ich die Gischt, das Meer, die Wellen und sehe in die Ferne auf das Wasser hinaus.
Rick Deckard
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