Interpol – Dortmund Westfalenhalle
"Klar, es gibt viele Menschen, die auf iTunes 30 Sekunden eines Songs hören und dann entscheiden, ob sie ihn kaufen. Verrückt. Wir sind nicht Teil dieser Kultur", sagt Daniel Kessler. Kessler ist Gitarrist der New Yorker Band Interpol.
Interpol sind für mich seit Jahren eine schwer zu greifende Band gewesen. Eigentlich müssten sie jedoch einen ganz anderen Status haben. Zum einen ist das unspektakuläre Auftreten und Vermarkten der Band in meinem Sinne, zum anderen ist ihre breite, fast epische, immer faszinierend kompakte und hymnische Musik so logisch, dass man immer die bedeutungsschwangere, aber treffsichere Bezeichnung „Albumband“ raus kramen muss.
Angefangen Interpol zu hören habe ich erst sehr spät. Mein Herz schwingt erst seit der Single „The Heinrich Maneuver“ mit. Das war 2007. Immerhin 5 Jahre nach dem Debüt „Turn on the Bright Lights“.
Lange habe ich also gebraucht. Ich bin immer skeptisch, wenn da eine neue Band so dermaßen in den Himmel gelobt wir und was noch viel schlimmer ist als Achtziger Jahre Epigonen gefeiert wird.
Interpol wirken an diesem Montagabend in Dortmund auch angekommen. Und zwar im Touralltag eines gut funktionierenden Tourunternehmens, dass auch vor atmosphärisch fragwürdigen Mehrzweckhallen nicht halt macht. Das merkwürdige Booking, vorläufig einziges Konzert in Mitteldeutschland (spätere folgen in ein paar Wochen) ausgerechnet in Dortmunds Westfalenhalle 2. In der Halle riecht es nach jahrzehntelangen „Holiday on Ice“ und „Schlagerfestival der Liebe“ Aufführungen. Gerade hatte ich noch über die überwältigenden und sehr hässlichen Kristallleuchter in der Halle nachgedacht, da viel mir auch schon wieder ein das Montag ist. Der denkbar schlechteste Termin für ein Hallenkonzert. Dann noch im Herbst. Eigentlich völlig undenkbar, dass eine Band dieses gefühlte Desaster auflösen könnte.
Nicht selten ist es ein Gewinn, wenn etwas fehlt, schreibt dann auch Welt online sehr richtig über Interpol und fasst so auch meinem Gemütszustand an diesem Abend zusammen.
In der Dortmunder Mehrzweckhalle hören wir dann eine der wohl kompaktesten, rundesten und dichtesten Bands der Erdkugel. Bereits beim dritten Song „Narc“ ist auch der Sound ausgepegelt. Das hört sich nach üblichen Konzertgerede an, ist bei einer Band wie Interpol aber wirklich wichtig. Denn musikalisch funktioniert die Band aus New York, gerade wegen ihres kompakten, klagenden und oftmals überraschend kompakten Klangs.
Das gesamt Programm dürfte einen ewigen Interpol-Fan wohl ehr enttäuscht haben. Die New Yorker haben weitestgehend auf ihre sehr bekannten Hits verzichtet und auf eine dramaturgisch ausgelegtes Set gesetzt. Die mittlere Phase des Set von „Rest my Chemeistry“ bis zu der unglaublich schönen Nummer „Handy away“ im Mittelteil hat mir dann auch am besten gefallen.
Was die Band wirklich auszeichnet, ist die eindrucksvolle musikalische Präzision. Das Schlagzeug ist eine druckvolle, wuchtige und detailverliebte Maschine, Kesslers Gitarrensounds sind perfekt abgestimmt, der Bass wuchtet in den schönsten und tiefsten erdigen Grundtönen und Banks kühle, aber betont coole und unaufregender Gesang erinnert entfernt an Ermahnung, bittet aber körperlich zum Nachdenken, zum Leiden und zum zu hören. Ein großartiger Kosmos, der ausschließlich in Nebelschwaden und gedämpften Licht stattfindet. Größtenteils sieht man nur die Konturen und Schattenrisse der Musiker, die sich ziemlich unaufgeregt und wenig selbstdarstellerisch aufführen, dafür aber bewusst einen ziemlich coolen visuellen Eindruck hinterlassen.
Und dann gibt es noch etwas was Interpol mehr beherrschen als andere Bands: sie können Spannung aufbauen. Nicht nur innerhalb des gesamten Konzertes, sondern auch zerstückelt in jedem einzelnen Song. Die Songstrukturen sind ungewöhnlich kompliziert und haben oftmals eine Tendenz zur offenen Form.
Mit jeder Sekunde nach dem Konzert von Interpol an diesem Montagabend komme ich zu der Überzeugung, dass das so was wie eine perfekte Performance war, mit dem Hinweis, dass Interpol wohl so etwas wie ein Vorbild ist. Ein Vorbild für alle derzeitigen Bands dieses Clusters. Interpol ist führend und wohlwollend ergebnisorientiert und extrem süchtig machend.
Wie schön ein Montagabend sein kann, zeigte mir dann auch die Rückfahrt nach Köln. Zutiefst bewegt und bestens gelaunt habe ich mir auf dem Rückweg die atemberaubende neue Interpol Platte in ganzer Schönheit angehört.
Im Geiste haben wir an diesem Abend unabhängige Musik, von unabhängigen Musikern gehört! Und das in der coolsten und reinsten Form.
Alan Lomax