Haldern Pop Festival – Klima im Wandel der Zeit Part II
Foto von Stefan Reichmann Quelle: Foto: Andreas Endermann RP Online
Es wie bei allen Dingen. Der Blick auf eine Sache kann mehrere Ansätze haben. Insbesondere bei einem solch komplexen Sachverhalt wie einem Rockfestival.
Die Ansprüche sind bei allen Zuschauern eines Festivals unterschiedlich und kaum zusammenfassbar. Der Versuch: ...man kann es nicht jedem Recht machen und jeder ist sich seines Glückes Schmied.
Somit gibt es zum Glück unterschiedliche Menschen, die mit unterschiedlichen Erwartungshaltungen zum Haldern Pop fahren. Der eine will sich auf die Musik konzentrieren, die andere mag die Atmosphäre, wieder ein anderer will Feiern und eine noch ganz andere lieber Leute kennenlernen.
Das Festival selbst hat aber einen anderen Plan. Es versucht über einen sehr vertrackten konzeptionellen Ansatz eine eigene, blumige in sich geschlossene Welt zu verkaufen. Eine Welt der Popmusik in der alles stimmt: Hoher Anspruch an die Qualität der Künstler und ihrem Status in der derzeitigen populären Kultur, Perfektion im Ablauf, geringes kommerzielles Gedankengut und der Versuch durch den besonderen geografischen Platz ein Alleinstellungsmerkmal zu haben, welches charmant ländlich ist.
Das Festival ist 1984 das erste Mal durchgeführt worden. Die Geschichte der Gründung und des weiteren Verlaufes dürfte jedem Interessierten weites gehend bekannt sein. Ansonsten gibt es hierzu eine lange Abhandlung auf der Internetseite unter „Geschichte“ www.haldern-pop.de
Man selbst wird als Besucher im elften Jahr immer ge- und verstörter. Man könnte auch sagen, dass der analytischen Blick sich verschärft und zwischen Anspruch- und Wirklichkeit surft.
Zu mir selbst komme ich später noch einmal zurück!
Erstmal das wesentliche: Die Haldernmachern scheitern immer ein wenig mehr an ihren eigenen Ansprüchen und an ihrer eigenen liebevoll aufgebauten Marke. Eine klassische und oft erlebte Problematik aus der Wirtschaft. Denn nichts anderes ist ein Popfestival, eine Marke im Markt, welches ein klares und griffiges Profil haben muss und das mit der Positionierung des Unternehmens, welches dahinter steckt übereinstimmen muss. Beide Grundregeln der Marketingkommunikation hat Haldern-Pop bewusst oder unbewusst eingehalten. Die Unverwechselbarkeit des Festivals ist weiter vorhanden. Was fehlt ist die Weiterentwicklung des Markenmodells. Auch wenn man mit Produktdiversifikationen (Haldern Label, Haldern TV, Haldern Pop Bar) verstanden hat die Marke weiter auszubauen, so fehlt die Nachhaltigkeit der Inhalte, also der auch in ein paar Jahren wichtigen, bleibenden Musik!
Eine einsame Feststellung die man auf den persönlichen Geschmack von Festivalchef Stefan Reichmann zurückführen kann. Reichmann ist ein gewiefter Taktiker, der sich und sein Festival sehr gut verkaufen kann. Eine der schwersten Aufgaben der Welt. Es gelingt ihm immer wieder in Interviews den Charme eines Provinzlers mit den Ansprüchen eines urbanen Geschäftsmannes zu verbinden. Dabei spielt er lieber den Kauz, als die schöne Elster.
Reichmann ist ungefähr so alt wie ich und wird eine ähnliche Musiksozialisierung durchgemacht haben. Zumindest kann ich seit vielen Jahren seine musikalischen Interessen und Vorlieben verstehen. Natürlich nach Abzug der Kompromisse des Bookings (Zeitpläne, Geld, Organisation), die so ein Festival eben mit sich bringt.
Festivalmacher sind Kuratoren. Somit haben sie eine Aufgabe zwischen Kunst und Kommerz. Eine ewige Gradwanderung. Trotzdem ein eigenes Image zu kreieren, dieses Aufrecht zu erhalten, weiterzuentwickeln und nebenbei noch die ewig gestrigen an der Stange zu halten ist eine enorme Herausforderung. Ein Lebensinhalt!
Pop ist ein unerklärliches Phänomen und wenn man es erörtern will, muss man es wissenschaftlich abhandeln. Siehe auch: http://lomax.over-blog.de/article-eine-theoretische-uberlegung-zum-thema-popmusik-53615760.html oder darüber reden.
Somit kann man Stefan Reichmann auch keinen eigentlichen Vorwurf an sein Booking machen, sondern nur hoffen, dass derzeit eine kleiner Stillstand vorhanden ist oder es sich ganz einfach -bei mir- um einen anderen musikalischen Geschmack handelt. Der Hinweis sich beraten lassen zu lassen sollte erlaubt sein. Denn sonst wird es in den nächsten sehr schwer werden, die hohen Ansprüche und die Marke Haldern weiterleben zu lassen.
Ich gehöre seit Jahren zu den Menschen die sich auf Haldern ganzjährig freuen und alle Begleiterscheinungen beobachten!
Wenn man nun jemand von dem Festival erzählt, stellt man schnell -bei sich selbst fest-, dass sich nicht so viel geändert hat. Noch immer kann man mühelos saubere Toiletten und Duschen benutzen. Noch immer muss man nicht anstehen (ganz ehrlich: ...es gibt keine Schlangen, nur welche in der man unnötig ansteht), noch immer kann man Mitternachts schlafen gehen, ohne von all zu viel Lärm gestört zu werden. Noch immer gibt es diese „kleinen“ aber schönen Ereignisse, wie belegte Brötchen und einem Kaffee vom Bauern nebenan für 2,50 EUR und einem Trecker der die Besucher auf dem Zeltplatz mit Wasser versorgt.
Aber leider gibt es auch ein Spiegelzelt, in das man am Donnerstag nicht reinkommt, wenn man zu spät dran ist, weil eben alle rein wollen. Leider gibt es auch bleichgesichtige Mitarbeiter auf den Toilettenanlagen, die offensichtlich 72 h durcharbeiten müssen und vor Müdigkeit fast umfallen. Zumindest habe ich keinen Personalwechsel gesehen. Leider gibt es Sicherheitspersonal, dass unfreundlich, unflexibel und schlecht uniformiert ist und leider gibt es zu viel Beliebigkeit im Musikprogramm.
Und es gibt einen Generationenwechsel im Publikum! In den verschiedenen vorhandenen Lebensphasen, gibt es eine erhebliche Lücke zwischen 25-jährigen und 40-jährigen. Eben der Generation die für Nachwuchs im popkulturellen Leben mit Leidenschaftsübertragung sorgt und Musik nicht als Begleiterscheinung, sondern als Lebensmittelpunkt versteht. Daher ist innerhalb der kritischen Betrachtung der vorhandenen Marketingkommunikation auch eine Zielgruppenanalyse von großer Wichtigkeit, die Anspruch und Wirklichkeit faktisch und grundgenau erklären könnte.
Ein jeder selbst hat bei so einem Festival unterschiedliche Ansprüche. Diese können auch von Jahr zu Jahr variieren. Bei mir ist es so, dass die Ansprüche und die Wirklich sich im Musikprogramm vermengen und sich daraus die Zeitplanung ergibt. Ein Grund dafür, dass ich wenig Bands gesehen habe und wenig in Erinnerung bleiben wird:
Cymbals Eat Guitar
Ein gelunges Pavement Plagiat. Welches hohe Ansprüche hat, diese auch verfolgt, allerdings an der Qualität der eigenen Fähigkeiten zu scheitern droht.
Detroit Social Club
Live sehr treibend und gar nicht so langweilig. Ein schöner Einstieg in einen tollen Popsommertag. Auf Platte habe ich die Band mit Chorgesängen und Pianos in Erinnerung. Davon hört man auf der mit vielen technischen Problemen verhafteter Bühne leider gar nichts.
Delphic
Eine Band die ihrem guten Ruf entspricht und noch sehr viel mehr verspricht. Allerdings ist der Name nicht Programm. Den „rätselhaft“ ist Band aus Manchester eben nicht. Sondern bewusst zitierend, aber mit eigenem Verve und Vision. Die Entdeckung in diesem Jahr.
Philipp Poisel
Für mich leider nicht akzeptable Musik und eine völlig unwichtige Idee eines Überraschungsgastes. Ich kann nur hoffen, dass die Plattenfirma für diesen Auftritt etwas bezahlt hat, welches dann in menschenwürdige Personalpolitik bei Toilettenangestellten umgesetzt wird.
Mumford & Sons
Die Haldernband der Stunde, mit jeder Menge nachweisbaren Erfolgen. Ich kann nur darauf hinweisen, dass es auf dem Reitplatz einen wesentlichen Unterschied gibt. Vorne vor der Bühne zu stehen oder von weiter hinten etwas mitkriegen zu wollen. Konzerte –von hinten– in Haldern bewerte ich nicht mehr.
Esben & the Witch
Um die Band Beirut von Beginn anzusehen, leider frühzeitig verlassen. Wirkte auf mich sehr charmant und atmosphärisch. Würde/werde ich weiter beobachten.
Beirut
Haben mir einige Momente der tatsächlichen und echten Haldern-Musik-Freude geschenkt. Ich habe jetzt häufiger gelesen, dass sie keine Lust auf den Auftritt hatten, sich häufig verspielt haben und unkonzentriert wirkten. Kann ich nicht nachvollziehen. Der treibende Polkabeat und der sympathisch, verwirrte Zach Condon, waren für mich das nachhaltigste Erlebnis.
The Young Rebel Set
Ein riesiger Spaß, der alle Zuhörer für kurze Zeit in eine seeligere Zeit versetzt hat. Zu dieser Band gibt es mehr zu sagen, daher demnächst hier eine Plattenbesprechung!
Everything Eyerything
Eine sehr ambitionierte Band, die sich musikalisch vielleicht etwas zuviel vorgenommen hat. Allerdings waren während des Konzertes gefühlte 60 Grad in dem Zelt. Daher hat mein Verstand auch kurzweilig aus gesetzt. Zumindest konnte ich die Frequenz der Stimme des Sängers nicht folgen.
The Low Anthem
Leider waren in dem Zelt immer noch 60 Grad, somit habe ich die Anfänge des Konzertes auf der Leinwand des Biergartens beobachtet und mich darüber geärgert, dass es mein Kreislauf nicht in der Lage war, dieser scheinbar interessanten und Band zu folgen. Mitreisende erzählten, dass das einer der wichtigsten Haldernkonzerte überhaupt war!
Frightened Rabbit, The Tallest Man on Earth, Yeasayer
Ein gutes Beispiel für die Beliebigkeit des diesjährigen Festivalprogramms und meine Befürchtungen um die Bildungen eines visionären Konzeptes für die Zukunft. Hier muss dringend etwas passieren und Inhalte überdacht werden. TTMOE ist bestimmt gut, aber leider auch nichts besonderes. Frightened Rabbit haben ein hervorragendes, leicht wirkendes Album, welches wirklich Spaß macht zu hören, enttäuschten live aber sehr. Allerdings habe ich beides –von hinten- gesehen. Yeasayer wirkten kraftlos, überhaupt nicht tanzbar und auch überhaupt nicht an die Talking Heads erinnernd. Unnötig!
Haldern ich bleibe Dir weiter hörig. Selbstverständlich, denn es ist immer wieder schön bei Dir. Die guten Momente überwiegen und es ist einfach nur angenehm, die Tage so leicht und schwerelos zu verbringen. Aber ich bin ein denkender Mensch und sehe Gewitterwolken aufziehen. Zum Glück folgt, danach ja immer wieder Sonnenschein und auch ein bärtiger Neon-Folk-Hype hört irgendwann wieder auf.
Trotz allem wundervollen und kritischen ich wünsche mir weniger Wiederholungen im Programm, zumindest eine große Produktion und die Weitsicht nicht nur Haldern-Label-Kompatible-Bands zu buchen, sondern über den bewährten Tellerrand zu gucken, um auch weiterhin Kirschen zu pflücken. So steht es zumindest auf einem der diesjährigen T-Shirts, die aus Sicht der Mitreisenden übrigens auch beliebig geworden sind.
Alan Lomax