Great Expectations – David Lean
Sich von Zeit zu Zeit mal wieder einen schwarz-weißen Film der englischen Meister anzusehen kann nicht schaden. Insbesondere nicht, wenn man sich selbst -bei den Beurteilungen von aktuellen Kinofilmen- weit aus dem Fenster legt, was Dramaturgie und (Un-)Geschick der zeitgemäßen Kinoregisseure angeht.
Es sind natürlich die Wurzeln und die Basis der modernen Erzählformen und Inszenierungsstile die man dort bewundern kann und nicht immer sofort ablehnen sollte. Denn es ist durchaus bemerkenswert, mit welcher Chupze sich die alten Meister den konservativen und damalig nerv tötenden Theaterinszenierungsstilen wiedersetzt haben, zumindest wenn es sich um Meisterregisseure wie David Lean handelt.
Spricht man heute von Sir David Lean, spricht man natürlich immer über die Filme „Bridge Over The River Kwai und von „Lawrence of Arabia“. Warum das so ist, kann man in einem Eintrag von Rick Deckard nachlesen (klicken Sie auch den Link am Ende des Artikels). Ähnlich wie bei seinem Lands- und Zeitgenossen Alfred Hitchcock, geraten aber seine frühen englischen Meisterwerke mehr und mehr in Vergessenheit.
Unter anderem liegt das auch an der Programmgestaltung der Fernseh- und Kinowelt, die solch alten schwarz-weiß Produktionen nicht mehr im Programm haben. Ob das nun an mangelnder Nachfrage oder an der Boniertheit liegt kann ich nicht sagen. An der Qualität und Unterhaltsamkeit dieser Filme liegt es aber auf gar keinen Fall.
Bei dem Film „Geheimnisvolle Erbschaft“ handelt es sich um die Verfilmung des Charles Dickens Romans „Große Erwartung“ der die Geschichte des Waisenjungen Pips erzählt. Der Film wird in zwei Teilen erzählt: Im ersten Teil erleben wir wie der kleine Junge dem Gefängnisausbrecher Abel Magwitch begegnet und hilft. Außerdem verliebt sich Pip in die junge Estella (wunderschön in ihrer ersten Rolle Jean Simmons) die bei der Jungfer Miss Havisham lebt. Pip freundet sich mich mit beiden an, beginnt eine Lehre als Schmied bei seinem Ziehvater Joe (wahrscheinlich eine der nettesten Filmcharaktere überhaupt) und wird langsam erwachsen.
Im zweiten Teil erleben wir den erwachsenen Pip, der von einem geheimnisvollen Gönner sehr viel Geld bekommt, nach London zieht und mit seinem Kumpel Herbert Pocket (Alec Guiness in einer seiner ersten Sprechrollen) ein ziemliches frivoles Leben führt. Er trifft Estella wieder, dann taucht sein Gönner auf und die Verkettung der Ereignisse beginnt.
Leider auch die Unlogik und die mühsame Adaption des Dickens Klassikers. Wahrscheinlich liegt das aber auch an der Schwierigkeit, dass sich Lean für die reine Erzählstruktur entschieden hat und nicht für eine Interpretation der Geschichte. Denn der erste Teil ist meisterlich unterhaltsam und cineastisch gesehen ein träumerisches Kleinod.
Unterhaltsam weil Lean es gekonnt versteht den Figuren einen glanzvollen Charakter zu geben und die gesellschaftlichen Umstände einer düsteren Zeit, heiter und stimmungsvoll umsetzt. Cineastisch und für das Schützenfest der Augen ist Guy Green zuständig gewesen. Der Kameramann hat 1948 auch den Oscar für diese schwarz-weiß Kunst erhalten, als der Kameraoscar noch in zwei Kategorien vergeben wurde. Interessanter Weise hat Jack Cardiff in diesem Jahr den Kameroscar für Farbe bekommen. In dem Film „Die schwarze Narzisse“ spielt ebenfalls die wunderschöne Jean Simmons mit, so dass man sich zu recht fragen muss, ob es nur an der Kamerakunst oder auch an dem Motiv gelegen hat.
Wer jetzt keine Lust auf den ganzen Film verspürt, sich aber für sensationelle Filmästhetik im Sinne des deutschen Expressionismus interessiert, sollte sich zumindest die Zeit für die erste Stunde des Filmes nehmen. Die suggestiven Lichteffekte erzeugen eine unfassbar beklemmende und verängstigende Atmosphäre.
Wenn man bedenkt, dass heutzutage freche Adaptionen wie „The Artist“ für nicht einmal annähernd so sensationellen Bild und Filmwerken einen Oscar erhalten, muss man sich eigentlich schief lachen oder sich zum Runterkommen „ The Night Of The Hunter“ von Charles Laughton ansehen, der sich in seinem Albtraum haften Märchen, ebenso wie David Lean an den Stilmitteln des Stummfilms bedient!
LOVE and HATE
Alan Lomax
Lesen Sie auch: http://www.lomax-deckard.de/article-29131064.html