Fussball als Wissenschaft: Der Romantiker trifft auf den Video-Analysten und Statistiker
Der Fußball-Romantiker freut sich: Samstag Nachmittag 15:30 Anpfiff. Endlich geht es los, hoffentlich wird das ein gutes Spiel! Fanschal um den Hals, ein kaltes Bier in der rechten Hand. Der Analytiker sitzt mit Kamera, Video-Ausrüstung und Notebook im Stadion und wird in den nächsten 90 Minuten alles analysieren.
Fussball war früher einfach: Torhüter, Abwehr, Mittelfeld und Angriff.
Heute: 4'er Kette, 3'er Kette, Doppel-Sechs, Sechser, falsche Neun, sogar einen Angriff ohne Angreifer.
Die Fußball-Welt ändert sich. Die Technik macht auch vor dem Lieblingssport nicht Halt. In allen Medien gibt es am Montag die gewohnten Berichte, aber auch Analysen en masse mit Werten und Zahlen zum Zweikampf-Verhalten, gespielten und angekommenen Pässen, Sprints, Laufwege, Laufdistanz etc.
In Köln wird demnächst sogar ein Master-Studiengang für Video-Analyse (!) angeboten werden. Kein Trainer, der was auf sich hält, verzichtet auf diese Daten. Ein grosses Turnier steht nächstes Jahr bevor und die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren (man erinnere sich an den berühmten Zettel von Lehmann, den er von Andreas Köpcke zugesteckt bekam!). Jedes Team bereitet sich akribisch in Zusammenarbeit mit Sportwissenschaftlern auf die Weltmeisterschaft vor.
Doch nicht nur international, auch national in der geliebten Bundesliga sind diese Mittel unverzichtbar geworden, selbst die nachrangigen Klassen bedienen sich ihrer in der Nachwuchsarbeit.
Der Fußball-Romantiker runzelt ein wenig befremdlich die Stirn, wenn er im aktuellen Sportstudio und anderen Sendungen die kurzen Analysen sieht mit Spielern, um die sich Kreise drehen und Pfeile, die die Laufwege einzeichnen (wohlgemerkt: Hinterher, wenn man eh alles besser weiß). Lustig mutet das an. Ihn freut es wenn sein Team gewonnen hat, es ärgert ihn, wenn eine Niederlage der Fall war. Der Romantiker geht seines Weges und freut sich auf nächsten Samstag.
Der Ball ist rund, wäre er eckig, wäre er ein Würfel. Ist schon klar. Auch, dass das Runde in das Eckige muss usw. Nur frage ich mich (als Romantiker), was diese Analysen bewirken sollen, wozu sie gut sind und und warum sie überhaupt gemacht werden?
Was ist das Ziel?
Der Sieg, der Gewinn des Spiels.
Ist es nur das?
Prestige.
Vielleicht noch mehr?
Geld.
Vielleicht könnte man die Reihenfolge chronologisch so stehen lassen?!
Man darf nicht vergessen: Es geht im modernen Sport nicht nur um das faire und sportliche Messen mit einem Gegner. Aktionäre sitzen einem im Nacken, Sponsoren wollen Gewinne erwirtschaften. Da kommen wir der Sache doch schon näher. Natürlich ist es im Wettkampf von grosser Bedeutung zu wissen, wie der Gegner spielt, wo die eigene Mannschaft steht. Aber sind dazu diese Unmengen an Daten erforderlich? Für den Trainer und seinen Stab sicherlich wichtig um im Nachhinein Fehler zu erkennen, zu analysieren und sich zu verbessern.
Die Kernfrage ist doch, und das steckt ja hinter all dem: Ist eine Prognose, eine Antizipation, eine Vorhersage möglich, um das mögliche Risiko einer Niederlage zu minimieren und die Chancen auf einen Sieg zu erhöhen. Alle Eventualitäten und Ungewissheiten zu entfernen? Sicherheit zu erlangen?
Das ist anscheinend das, was hinter der Technik im Sport steht.
Doch was ist mit Intuition? Mit Erfahrung? Mit Menschenkenntnis?
Wie bereitet sich ein moderner Trainer auf ein Spiel vor?
Man weiss: Der Mensch als solches ist unberechenbar, so sehr man auch versucht ihm auf die Schliche zu kommen. Der Mensch ist kompliziert. Soweit mir bekannt sind Fußballer auch Menschen. Daher: Wie verlässlich werden diese Daten sein, die man erhält? Sind sie eine Stütze, ein Puzzelteil, um der Wahrheit näher zu kommen. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Daten zuverlässig sind und auch verwertbar? Reproduzierbar?
Ich möchte mit einem Trainer der Neuzeit nicht tauschen. Was für eine Last, was für eine Verantwortung.
Was nützt es zu wissen, wer die Ecken von welcher Seite schlägt und wer die meisten Laufwege und Zweikämpfe beschreitet, wenn eben in einem Spiel ein anderer die Ecke kickt, als der prognostizierte und der, der am meisten läuft und Zweikampfstark ist, plötzlich wegen Durchfall doch nicht spielen kann?
Es heisst immer Statistiken muss man lesen können. Mal angenommen, es gäbe solche Menschen mit Talent und Sachverstand und Wissen, dann könnte doch rein theoretisch (!) auch eine Mannschaft in der ersten Bundesliga, die nicht über einen horrenden Etat verfügt und irgendwo im Mittelfeld vor sich hindümpelt mit einem solchen Berater fast jedes Spiel gewinnen, oder zumindest nicht verlieren.
Was Prognosen betrifft: Das ist Scharlatanerei. Kein Mensch ist in der Lage, irgendwelche Prognosen zu treffen und die meisten treffen eh nie zu. Jüngstes Beispiel aus der Wirtschaftswelt: Trotz einer immensen Datenflut konnte KEINER die Finanzkrise vorhersagen!
Warum diese ausführlichen Zeilen als Brainstorming?
Weil ich meinen geliebten Sport mehr und mehr akademisiert sehe, was er aber nicht sein sollte. Auch wenn es dumm klingen mag: Es ist und bliebt Fußball. Keine Frage, dass man die Möglichkeiten der Technik nutzen sollte, aber Überhand gewinnen sollte sie auch nicht, was aber momentan medial und wohl auch in der Fußballwelt der Fall zu sein scheint.
Ich bin ein aufgeschlossener Mensch, aber was den Fußball betrifft, bleibe ich lieber Romatiker (habe ja auch keine Millionen zu verlieren).
Und Sie?
"Wenn zwei Leute über die Zukunft unterschiedlicher Meinung sind, kann theoretisch jeder Recht behalten. Da empfiehlt sich der Abschluss einer Wette."
Otto Schlecht, Dt. Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium.
Mit einem Bier in der rechten und Vorfreude auf Italien gegen Deutschland, die Bundesliga und die WM 2014.
Rick Deckard
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