Erinnerungen

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  12. November 2009, 12:56  -  #Kommunikation



Salvadore Dali hat mit seinem Bild 'Die Beständigkeit der Erinnerung' zeigen wollen, dass Zeit keine Masseinheit oder Größe ist, sondern dass die Empfindung derselben durch jeden Menschen anders ist. Insbesondere in der Erinnerung lässt sie sich dehnen, anhalten oder verkürzen. 

Diese Interpretation die ich im Web gefunden habe verdeutlicht im Grunde genau meine Empfindungen die ich gestern im Rahmen eines leider zu kurzen Aufenthaltes in Hannover gehabt habe. Hannover ist mehr oder minder meine "Heimatstadt" gewesen wenn man so will, da ich einen Grossteil meiner Jugend dort verbracht habe. Keine andere Stadt hat mich bisher so in ein Wechselbad der Gefühle gestürzt wie die Landeshauptstadt Niedersachens, weil sie immer mehr will als sie ist. Ich bin gestern aus einer Laune heraus all die Stationen abgefahren, die in meiner Biografie eine Bedeutung haben, vornehmlich Schulen und Wohnorte. Ich weiss nicht wie es anderen Menschen ergeht wenn sie die Stätten ihrer Kindheit besuchen, aber mir fiel es schwer meine Erinnerungen mit dem aktuell gesehenem in Einklang zu bringen, was mich wiederum zur Frage führte, was Erinnerungen überhaupt Wert sind, ausser dass man sie hat und es gute und schlechte gibt. Fast fühlte ich mich an die Romane eines Philipp K. Dick erinnert, der virtuos und auf metaphysischer Ebene genau mit diesen Fragen jonglierte. Grandios in diesem Zusammenhang übrigens der Monolog von Rutger Hauer in 'Blade Runner' am Ende des Films!

Ich glaube man sucht v.a. nach einer Bestätigung der gespeicherten Bilder im Kopf. Die grausame Erkenntnis war aber auch, dass Zeit ein unglaublich mächtiger und erbarmungsloser Faktor ist und einem bewusst wird, wie letztendlich bedeutungslos diese Erinnerungen sind. In einer Stadt wird das insbesondere spürbar, da bauliche Massnahmen allein das optische Bild so verfremden können, dass man sich nicht sicher ist, schon einmal da gewesen zu sein. Wie schnell Zeit verrinnen kann und wie sie v.a. architektonisch ein urbanes Bild aushöhlen und verändern kann, das wurde mir bewusst als ich später durch die Innenstadt lief.

Hannover muss ich als einzige und wahre Hassliebe in meinem Leben deklarieren. Keine andere Stadt vermag dermassen hin und her zu polarisieren wie diese Stadt. Das betrifft die Atmosphäre, die Architektur, das Stadtbild, die Menschen, im Grunde alles, was eben Urbanität auszeichnet oder hergibt. Als ich an einer Flaniermeile entlang lief, wunderte ich mich wie sich binnen weniger Jahre die Schaufenster dieser Strasse vollständig geändert hatten. Ein grosses Kaufhaus mitten im Zentrum wurde soeben von Baggern dem Erdboden gleich gemacht. Einige Eckpfeiler wie die Kröpcke Uhr standen noch. Die Passerelle, eine Unterführung unter den Strassen, glich auch nicht mehr dem was ich kannte. Ich war zwar in den letzten Jahren immer wieder mal in 'Hangover' (Insider Jargon) gewesen, aber es wird trotzdem deutlich. Selbst dort wo die Kinos meiner Jugendzeit standen prunkten jetzt Theater, Hotels und Cabarets oder Kaufhäuser. Früher waren dort einmal das 'Gloria', 'Die Weltspiele', 'Das Kino am Kröpcke' und 'Kino am Thielenplatz'. Mit jedem dieser Lichtspielhäuser (!) verband ich Erinnerungen der schönen Art. Im 'Gloria' sah ich zum ersten mal Sergio Leone's Meisterwerk und Meilenstein 'Spiel mir das Lied vom Tod', in den 'Weltspielen' 'Superman - The Movie' und 'Moonraker', im 'Kröpcke' 'Angel Heart' und im 'Kino am Thielenplatz' den Trash-Klassiker 'Die Wildgänse kommen'. Selbst das Kino in der Bahnhofsstrasse fiel mir noch ein, wo für Jahrzehnte alle James Bond Filme liefen und man damals (!) ständig genervt war vom dem Gestöhne des benachbarten Porno-Kinos, welches man ständig hören konnte, in Szenen als beispielsweise Auric Goldfinger James Bond mit seinem Goldlaser folterte. Leider gibt es diese Kinos nicht mehr.

Alle diese Bilder und Momente leben noch als Erinnerungen, die immer mehr verblassen.

War ich früher unterwegs in der City, so hatte ich ich eine bestimmte Route die ich verfolgte, da man als musikalisch interessierter Mensch sehen und auch hören wollte was es neues gab. Ganz am Anfang waren das die LP und später CD Abteilung des Kaufhauses Brinkmann, was es seit Jahren auch nicht mehr gibt, später das WOM im Zentrum, was es auch nicht mehr gibt, die Musikabteilung von Karstadt, was jetzt durch ein anderes Geschäft ersetzt wurde. Selbst die CD Abteilung des grössten ansässigen Buchhändlers im Keller ist nicht mehr die, die es einmal war. Daneben gab es am Steintor und am Raschplatz noch 2 andere Läden, die für Special Interest Fans eine Fundgrube waren. Gestern war ich bei '25 Music' und habe ausser CD-Filmmusik-Bootlegs nichts interessantes gefunden und auch nichts gekauft, wobei ich sagen muss, dass die LP Abteilung schon sehr gut ist. Fürchterlich und absolut enttäuschend hingegen '2001'. Was da bei dem Riesenangebot welches die haben in der Auslage zu sehen war, war eine einzige Katastrophe, insbesondere auch die Musik-Abteilung. Fürchterlich sortiert und sehr mässige und geschmacklose Auswahl. Ich muss im digitalen Zeitalter schmerzlich zugeben, dass ich dieses Stöbern in solchen Läden doch sehr vermisst habe und vermissen werde, auch wenn das alles heute von zuhause aus alles komfortabler und einfacher ist. Deswegen freue ich mich bei Zeiten auch über die kleinen Päckchen von meinem Soundtrack Retailer. Auch diese Spaziergänge auf der Suche nach Seltenem, Neuem und Bewährtem sind Geschichte.

Als ich dann just for fun durch den Bahnhof lief musste ich feststellen, dass einige Veränderungen zum guten sind. Das ist schon ein prächtiger Anblick, sowohl innen als auch aussen. Direkt daneben dann eine dieser mehr und mehr in Mode kommenden Malls mit 10 000 von gefühlten Geschäften.

Am frühen Abend dann ging ich dorthin, wo ich mittlerweile gerne hingehe wenn ich in Hannover bin: in's Plümmecke in der List. Eine Kneipe wie aus dem Bilderbuch: immer voll, man wird irgendwo an einen Tisch gesetzt wo auch andere sitzen, es gibt Herrenhäuser Bier und dazu die beste Currywurst mit Pommes der Welt. Herrlich. Auch die Menschen die dort einen umgeben, denn alles was eine Grossstadt so zu "bieten hat" sitzt dort.

Trotzdem Hannover seine Qualitäten hat mit dem viel gepriesenen 'Grün', der Eilenriede, den Herrenhäuser Gärten, der Leine, dem Maschsee usw., trotzdem wirkt diese Stadt auf mich immer wie 'Sim Sity', wie eine Patchwork-Stadt, wofür sie wiederum nichts kann, denn fast die gesamte Stadt wurde im 2. Weltkrieg zerstört und musste neu aufgebaut werden. Leider wurden dann dermassen hässliche städtebauliche Veränderungen im Laufe der Zeit umgesetzt, dass einige Stadtteile grauenvoll und grau sind. 

Und all dies zusammen genommen fahre ich nichts desto trotz in regelmässigen Abständen in diese Stadt, aus vielerlei Gründen und immer verlasse ich Hannover mit diesen gemischten Gefühlen.

Die Zeit nagt unerbittlich und sie tut das auch an den Erinnerungen.

Fast fühle ich mich in diesem Zusammenhang an einen berühmten Yogiism (nach Lawrence Peter 'Yogi' Berra, amerikanischer Baseball Spieler) erinnert:

'The Future ain't what it used to be'.

Yours Urban Cowboy,

Rick Deckard 
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