Er kam nur bis Tecklenburg

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  6. März 2010, 17:10  -  #Kommunikation

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Während Hollywood-Stars und andere es bis nach Cordura schaffen, habe ich es nur bis nach Tecklenburg geschafft. Ich hatte eigentlich vor dieses Wochenende etwas Kultur im Ruhrpott zu erleben, Essen, Dortmund, Bochum und andere Orte aus der Nähe zu sehen. Die Wettervorhersage sagte für Freitag und Samstag Schnee und Unwetter voraus, aber ich wollte pragmatisch sein und den Optimismus-Klassiker "Es wird schon alles gut gehen!" auch mal auf mich anwenden.

Der 'Kaffee zum mitnehmen' stand in der Mittelkonsole und belegte Brötchen auf dem Beifahrersitz. Musik tönte aus dem CD Player und die dunklen Wolken als auch der beginnende Schneefall konnten mich nicht negativ stimmen. Auf der A1 wurde das Schneetreiben immer heftiger und alle Verkehrsteilnehmer fuhren so als wäre es Sommer. Lastwagen überholten mich und klatschten jedes mal Tonnen von Schnee und Wasser gegen die Windschutzscheibe meines Autos, so dass der bereits auf volle Stufe gestellte Scheibenwischer es enorm schwer hatte. Das Radio wurde ausgeschaltet und erste cholerische Anfälle überkamen mich.

Mein Auto ist heckgetrieben und trotz der Winterreifen und langsamer Geschwindigkeit scherte der Wagen immer wieder seitlich leicht aus. Der Schneefall wurde immer heftiger und die ständige Berieselung von vorne durch Schnee versetzte mich in einen Zustand der Trance. Auf der Strasse war nichts mehr zu erkennen, weder Seitenstreifen noch die Fahrbahntrennung. Was tun? Ich fuhr langsam weiter und versuchte optimistisch zu bleiben.

Doch hinter Osnabrück sah ich in roten Neon Lettern die Aufschrift:'Rien ne va plus!' Es war unmöglich weiter zu fahren. Im Grunde bin ich was eine Zielsetzung angeht relativ unflexibel im Hinblick auf notwendige Änderungen, aber der gesunde Menschenverstand siegte. Zwischenzeitlich hatte ich die belegten Brötchen aufgegessen, was sich später als fatal erweisen sollte. Die Ortsschilder waren zugeschneit, so dass man nur einzelne Buchstaben erahnen konnte. In diesem Fall erwies sich die Navigation als Hilfe und nutzloses Instrument zugleich.

Ich tippte auf Übernachtungsmöglichkeiten und bekam auch gleich einige Hotels angezeigt. Im Rahmen der seit 20 Jahren laufenden Studie "Wie funktionierst Du?" entschied ich mich für das 'Parkhotel', weil es mir nach einem Bier, guten Essen und einem komfortablen Zimmer dürstete. Die Landstrassen war dicht zugeschneit und mit Tempo 20 bis 30 km/h fuhr ich vorbei an Häusern und durch unbekannte Orte, Ladberg, Lengerich, dreimal durch den gleichen Kreisel, was die Magensäureausschüttung und den Pulsschlag spürbar erhöhte aber das Parkhotel gab es leider nicht mehr. Jetzt stand da eine Jugendherberge. Wunderbar. Also weiter zum nächsten Hotel in der Innenstadt. Dort angekommen: 'Heute geschlossen'. Ich kam mir vor wie in einem Film.

Durchatmen, auf dem Weg zur nächsten Option zwischendurch Herzstillstand, da kleine Berge sich vor mir auftürmten wie 8000'er und der Wagen es sichtlich schwer hatte bei rutschiger Fahrbahn gegen die Steigung anzukommen. Weiter dichtes Schneetreiben, kein Mensch auf der Strasse. Endlich! Links auf der Seite ausserhalb des Ortes das Schild 'Pension-Zimmer frei!'. Ich kam mir vor wie die männliche Ausgabe von Marion Crane, nur statt Geld, Zeitschriften und mp3 Player im Koffer. Ein schönes hell beleuchtetes, rustikales Haus. Herrlich. An der Rezeption war kein Mensch und ich hörte auch keine Stimmen. Das Fax spuckte eine Nachricht aus. Was mache ich jetzt? Umsehen! Neben der Rezeption ein Minischild mit der Aufschrift 'Bitte klingeln!' Gesagt, getan. Jeden Moment erwartete ich Norman Bates, aber eine Mittsechzigern mit ondulierten Haaren und einer roten Jack Wolfskin Jacke (die momentan im Mittelstand aus unerklärlichen Gründen angesagt ist) kam um die Ecke.

Ich erklärte meine prekäre Situation und erhielt Zimmer Nr. 1 um die Ecke. Anmeldung ausgefüllt. Der Magen knurrte. Man empfahl mir ein 'gutbürgerliches und günstiges Restaurant' als auch einen 'Italiener um die Ecke' und die Dame händigte mir eine schlechte Kopie eines Stadtplans aus. Das Zimmer war o.k., der Fernseher funktionierte nur leidlich. Also raus zum Essen. Draussen sah man die Hand vor Augen nicht und die Pension lag auf einem Hügel an der Landstrasse. Nach einigen Schritten verlor ich mich im Wald und ging schimpfend zurück. Mit dem Auto voran zu kommen war undenkbar, also hinein ins Zimmer. 

Kein Lieferservice in der Nähe. Ein Alptraum. Also völlig übermüdet ins Bett. Die Nacht natürlich eine Katastrophe, da der Magen sich knurrend alle 2h meldete. Heute morgen dann strahlender Sonnenschein und eine prächtige schneebedeckte Landschaft. Um 09:00 Uhr hatte ich Frühstück angemeldet. In einem grossen Raum mit Orchideen, Blumen und Bildern an der Wand sah ich einen Korb voller Brötchen und eine kleine Theke mit allem was das Herz begehrt. Ich war zu meiner Überraschung der einzige Gast. Mrs. Wolfskin stand fröhlich gelaunt an der Theke und fragte mich nach Tee oder Kaffee. Am nächsten morgen sieht immer alles anders aus. Nach einem entspannten Frühstück und einer ordentlichen Rechnung für Pensions-Verhältnisse überkam mich die Müdigkeit.

Die Konzentration, Motivation und der Optimismus waren mit dem gestrigen Schnee davon geweht. Einzig eine Sehnsucht war da: Ruhe! Also zurück an einem sonnendurchfluteten Vormittag. Der Trip in den Ruhrpott wurde erst einmal verschoben. Zu wertvoll die Zeit um sich für die nächste Woche auszuruhen.
Ich habe versucht das Schicksal herauszufordern, bin auf ganzer Linie gescheitert und habe versagt, aber das macht nichts. So habe ich wenigstens die Gegend um Osnabrück gesehen, den Wald, wo vermutlich Varus und seine Legionen bezwungen wurden und bin in den "Genuss" von Pension-Gastlichkeit gekommen.

Mit Woody Allen im Geiste,

Rick Deckard
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