Empty Orchestra Honig – Live im Blue Shell Köln, 22.10.2012 und Plattenbesprechung
Fotos by Gudrun Thäter
Hätte ich sehr viel Geld würde ich Stefan Honig fragen, ob er Lust hätte seine Platte “Empty Orchestra” in einer weiteren, zusätzlichen Version aufzunehmen!
Die Semantik der Platte könnte allerdings nicht besser sein: Erstveröffentlichung bei Haldern Pop Recordings, Mitmusiker von Anna Calvi bis Calexiko, kompositorisch sehr dichte melancholische Songs, die vom -Tellerwäscher zum Popstargeschichte- im Gepäck inkl. Beipackzettel „Ich bin einer von Euch“, Freunde und Booking bei Grand Hotel Van Cleef, Vorband von Kettcar und dazu eine zuckersüßes Artwork passend zu Stefans Nachnamen. Für den er natürlich nichts kann, der aber einen Marketinghintergrund vermuten lässt.
Und hört man dann endlich diese viel gepriesen Schallplatte ist man tatsächlich nicht verwundert.
Alles klingt sehr rund, reduziert, schön und angenehm. Insbesondere Stefan Honigs intonierende Stimme, sein akzentfreier Gesang und die folkloristischen Anleihen ans Americano-Genre geben einem das Gefühl eine sehr gute Platte zu hören.
Nach dem Haldern-Spiegelzeltauftritt und dem Kölner Auftritt am Montag im Blue Shell bestätigt sich zu dem das Gefühl, dass es sich hier um sehr nette und etwas bessere Musiker als dem deutschen Durchschnitt handelt.
Auch live hält sich Honig an das reduzierte musikalische Konzept der Platte. Akustische Instrumente regieren das Bühnenbild. Das ausverkaufte Blue Shell (200 Zuschauer mehr wollten noch kommen, fanden aber kein Platz) hörte andächtig zu, so dass es sogar schwierig wurde ein Bier zu bestellen, da ein weiteres Pssst` von einem der jungen Zuschauer drohte.
Übrigens überhaupt eine interessante Beobachtung, dass sich sehr viele, deutlich unter 25-jährige Menschen zu dieser ruhigen und nachdenklichen Musik hingezogen fühlen.
Auch im Haldern Kontext kann ich diese ganze Lo-Fi Neo-Folk-Akustik-Bartbands mit Glockenspiel und Co. schon lange nicht mehr hören. Klar, es gibt Ausnahmen wie die Bowerbirds und so(!), aber Honig gehört trotz all dem sowie so nicht in dieses Genre (…und haben auch wenig Bärte).
Lesen Sie weiter, warum!
Klammert man einmal den international, bleibenden Überhit „For those lost at sea“ aus, bekommt man scheinbar die übliche bescheidene Lyrik und Musikalität.
Doch irgendwann, spätestens nach dem ich die Songs „Hometowns“, „Hunters“ und insbesondere „Song for Julie“ mehrfach gehört habe, ist mir aufgefallen, dass dort etwas Hintergründiges schlummert.
Und sieht man dann Stefan Honig auf der Bühne, lässt sich von seinen unterdrückten emotionalen Ausbrüchen und seinem Witz überraschen, wird einem klar, dass alles irgendwie anders ist, als es scheint.
Der sympathische Pop-Appeal, der Mythos vom blumenpflückenden Kindergärtner aus Düsseldorf mit Metalvergangenheit (Benevolent) und alles andere was leicht nach Waldorf und Schöngeistigkeit riecht, löst sich auf.
Initial kam mir dieser Gedanke bei dem grandiosen Gesangsausbruch am Ende von „Hometowns“. Dann irgendwann hört ich Gitarrenwände bei „Hunters“ und analoge elektronische Gebilde bei „Song for Julie“, obwohl sie nicht da sind!
Ich kann es schwer beschreiben, aber das gesamt Klangbild der Platte und die musikalische Haptik der Liveshows passen nicht ganz zur gesamten Vermarktung, zu dem was man hört.
Der erste Eindruck „Honig“ ist bei mir zumindest nicht mehr da. Ich höre eine aggressive, fordernde und tiefe Platte, die auf Basis des grandiosen Songwritings mehr könnte und mehr braucht als ein paar akustische Gitarren und Instrumente aus der musikalischen Früherziehungsgruppe.
Und wie gesagt, hätte ich die Kohle, würde ich eine zusätzliche Veröffentlichung unterstützen. Eine die sich aus dem Lo-Fi-Kosmos verabschiedet, mal was Atonales zulässt, etwas progressiver klingt und brachialer ankommt.
Aber im Ernst! Das Potenzial des wohl derzeit besten deutschen Songwriters ist groß. Musikalisches Wissen liegt auch vor und ich bin fest davon überzeugt, dass da noch hoffentlich einige Platten kommen, die uns alle (noch mehr!) überraschen werden…
Und der Slot für die Hauptbühne beim Haldern-Pop 2013 sollte ja wohl schon obligatorisch sein! Oder?
Alan Lomax