Eine theoretische Überlegung zum Thema Popmusik!
Jeder Mensch den ich kenne hat eine ganz bestimmte Vorstellung davon, wie die Popmusik zu sein hat, die ihm gefällt. Dennoch findet man kaum jemand, der eine spezielle Vorstellung hat, wie Pomusik sein muss. Ich kenne zumindest niemanden der das kann. Aber ich kenne jede Menge Leute und Journalisten, die meinen, dass sie einen guten Geschmack und andere einen schlechten Geschmack haben.
Warum ist das so?
Es ist nicht einfach sich einem Thema anzunehmen, von dem jeder meint, dass er etwas dazu sagen kann. „Wer fragt, bekommt auch Antworten“, sagt Rick Deckard gerne. Recht hat er! Erreichen will er mit diesem Satz, dass der Fragende direkt scheitert an Ermangelung eines umfangreichen Wissens.
Die Strömungen der Musik die wir hören, ihrer Kultur und ihren Zusammenhängen in einer Definition zusammenzufassen ist schwer und herausfordernd. Eigentlich sollte man schon gewarnt sein, wenn eine Musikzeitung progressiv berichtet oder jemand eine Band mit einem hässlichen Adjektiv beschreibt, denn das ist sehr weit entfernt von einer objektiven Beschreibung und suggeriert Unwissen.
Ein Hauptproblem was vielfach kulturell interessierte Menschen mit der Popmusik haben ist der sogenannte Kommerz. Künstlerische Qualität vs. Kapitalismus also! Auch ich habe den Eindruck, dass sich insbesondere Menschen in meinem Alter, ehr mit dem Idealbild des Künstlers beschäftigen, was u. a. mit einschließt, dass das selbstsüchtige Streben nach Profit schlecht ist.
„Unser“ Hintergrund und „unsere“ Sozialisierung basiert auf dem späten Punkrock der siebziger Jahre. Die Haltung der Bands muss hier nicht weiter erläutert werden. Kommerziell erfolgreiche Künstler die keinen alternativen oder unabhängigen Hintergrund haben, werden –Ausnahmen bestätigen die Regel– weitestgehend abgelehnt.
Jeder Mensch möchte eine Bestätigung erhalten für das was er tut, für das was ihn interessiert. So ist es auch mit Menschen die sich ernsthaft mit Popmusik auseinandersetzen. Meist sind das Menschen, die selbst keine Musik machen und somit auch keine theoretischen Kenntnisse über Noten, Harmonien oder Strukturen haben. Was bleibt ist zwangsläufig die Frage nach einem ästhetisch künstlerischen Wert. Wobei der „Wert“ ehr das Machen von Atmosphäre, als dann das Machen von qualitativ hochwertiger Musik ist. Popmusik ist daher ehr funktional! Was keines Wegs schlecht ist und niemanden kritisieren soll! Die Frage, ob Popmusik im Vergleich zu opulent orchestraler Filmmusik oder komplexer Jazzmusik, daher weniger wichtig ist, mag ich nicht zu beantworten. In diesem unvermeidlichen direkten Vergleich, muss man aber sagen, dass die Ästhetisierung eines Hörers und Sammlers von Popkultur einfacher ist, als die eines Konsumenten von sogenannter ernster Musik.
Der Grund dafür liegt in der Idealisierung und Sehnsucht einen Helden zu finden, um sich mit diesem selbst darzustellen. Im ersten Augenblick mag dies sehr hart klingen, nach einiger Zeit des Nachdenkens, kann der geneigte Leser vielleicht nachvollziehen, worauf ich hinaus will: Die bis hierher geschriebenen Überlegungen sind vielleicht nicht neu, aber so auch nie ausgesprochen worden. Zumindest kenne ich diese Gesprächsinhalte nicht. Trotzdem glaube ich, dass es jedem klar ist und im Prinzip sehr richtig beschreibt wie die Entwicklung von statten gegangen ist.
Interessant finde ich vor allem, dass jeder Gefangene der sog. Independentmusik in den letzten Jahren aufgerüstet hat. Er hat sich diversifiziert, selbst neu erfunden. Plattenläden haben dazu beigetragen. Seit langer Zeit gibt es neben den Alternativen Regalen auch Jazz, Country und HipHop-Regale. Unterschiedliche Genres. „Stilrichtungen die sich eigentlich widersprechen. Zusammen bilden sie eine Plattensammlung, die vor Jahren noch schizoid erschienen wäre.“ (Renner, Tim: Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm!)
Ab diesem Punkt mache ich mir übrigens Gedanken über meine eigene Plattensammlung. Die genau anders rum aufgebaut wurde. Für die ein oder andere Emerson, Lake & Palmer, Pink Floyd, Genesis, Kurtis BLow Platte, habe ich schon vor Jahren kräftige Kritik geerntet. Für die ein oder andere Feelies, Sonic Youth oder Yo La Tengo Platte massiven Applaus. Seltsam!
„Wir sind nicht nur beschwerter durch das Gestern, wir sind anders; nicht mehr, wie wir waren vor dem Verhängnis des Gestern. (Samuel Beckett)
Über weite zeitliche Entfernungen gibt das Ohr uns Musik zurück, die sich der visuellen und erinnerungswürdigen Kraft der Wahrnehmung verschließt. Somit glauben viele Menschen die sich seit 30 Jahren mit Popkultur beschäftigen bereits vor genau dem gleichem Zeitraum die im Sinne der o. s. Zeilen ästhetisch richtige Musik gehört zu haben. Musik ist zum Glück nicht Vergänglich, bietet aber die Chance zur Flucht in eine falsch wahrgenommene Realität. Dabei konstruiert das Gehirn ein neues Bewusstsein und vermischt tatsächlich Wahrgenommenes mit der Erfüllung von Erwartungen die vielleicht so gar nicht stattgefunden haben.
Beim Erzählen von Musik die wir in der Vergangenheit gehört haben, haben wir es nicht mit der Musik selbst, sondern mit der Vorstellung desselben zu tun. Die zeitliche Abweichung kann dann schon mal 5 – 10 Jahre ausmachen. Selektive Wahrnehmung bezeichnet das oft erlebte Phänomen, bei dem nur bestimmte Aspekte wahrgenommen und andere ausgeblendet werden. Ich persönlich werde immer skeptisch, wenn mir Menschen der Jahrgänge 1968 – 1971 erzählen, dass sie bereits mit Beginn der achtziger Jahre Punk oder Wave gehört haben! Um diese Musik zu verstehen, sie zu hören und zu lieben gehört zum einen eine Vergeistigung und eine Identifizierung. Beides trauen ich einem 9 – 11 jährigem nicht zu.
Aber wo her kommt dieses Phänomen, welches ich in Gesprächen über Musik immer wieder aufschnappe?
In erster Linie könnte man natürlich ein gewisses Angebertum attestieren. Eine einfache Sichtweise die nicht ausreichend erklärt!
Musik hat für den Hörer keine Existenz, sie ist ganz und gar im erfundenen Bereich im Imaginären. In seinem Text „Hören als Wahrnehmung und Vorstellung – Phänomenologische Überlegungen im Angesicht des reduktiven Minimalismus in der Musik“, fasst Volker Strobel, folgende Zeilen und die Gedanken sehr gut Zusammen:
„Nun gilt aber das hier Ausgeführte in dieser Ausschließlichkeit einzig für solche Musik, die vom strukturell hörenden Experten sinnvoll rezipiert werden kann. Solche Musik, die sich den Gesetzen der Musik als Tonkunst widersetzt und die der Hörer aufgrund ihrer statischen Formanlage und/oder zeitlichen Ausdehnung nicht als Ganzes zu realisieren vermag, ist nicht als Vorstellung, sowenig sie als reine Wahrnehmung ist. Die Werke des reduktiven Minimalismus zeichnen sich nun dadurch aus, dass sie das Sein des hörenden Bewusstseins zum Gegenstand ästhetischer Reflexion machen und damit ihr eigenes ontologisches Dilemma als musikalisches Kunstwerk zu überwinden trachten. Wenn es, wie oft intendiert, gelingt, zu Hörendes, Hören und Hörenden in einer Zeitlichkeit zu integrieren, verwischen sich die Grenzen von Erinnerung und Antizipation einerseits und Vorstellung andererseits. Dennoch sind Vergangenheit und Zukunft nie an sich selbst, sondern tauchen erst als Weisen eines Seins auf.“
Alan Lomax