Ein Nachmittag bei Karina um die Ecke in Berlin

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  29. Mai 2011, 09:13  -  #Kommunikation

KindlDet jute alte Berlin. Vor ca. 2 Wochen hielt ich mich mal wieder in der Hauptstadt auf und wie jedesmal war es ein Genuss. Immer ist es eine andere Ecke, stets ein anderes Flair, ein Hauch dieser wunderschönen, grossen weiten Welt. Urbanität im besten Sinne. Ich war auf einer Fortbildung. Im Vorsaal die üblichen Gestalten: Frauen im Kostüm, Männer in Anzügen, alles schwarz und grau. Gruppen, die ihre Rollkoffer hinter sich herzogen und hysterisch durch die Gegend liefen. Kontaktängste und beschnuppern, wie das eben so ist auf solchen Kongressen. Wir kamen uns vor wie in einer "Modeschau" und waren die einzigen die in Jeans und Hemd auf uns aufmerksam machten. Die Vorträge waren, na ja, wie immer eben: Selbstdarstellung mit wenig Information oder 'Take Home Messages' wie man so schön sagt. Also was tun? Schon früh entschloss man sich gegen Nachmittag dieses Treiben zu verlassen. Wohin? Warum nicht in eine klassische Pinte? Gesagt, getan. Mit zwei wunderbaren Zeitgenossen schlenderte ich in unmittelbarer Nähe des Kurfürstendamm durch die Strassen, die Augen stets Ausschau haltend nach einem Schild wie hier links. Wir landeten in einem erstklassigen bürgerlichen Wohnviertel. Auf der Strasse fuhren Busse, es war laut, Mütter mit Kindern zogen vorbei, Briefträger und Tonnen an Autos. 'Karina's Eck' lasen wir. Draussen 3 Holzstühle, eine Kneipe sprichwörtlich um die Ecke. Man beschloss Platz zu nehmen. Wir passten irgendwie nicht in diese Gegend, wenn auch wir äusserlich nicht auffielen. Nach 2 min kam "Karina" um die Ecke: "Ooh. Ich habe Gäste!" Karina war um die Mitte fünfzig, slawischen Ursprungs, sprach langsam mit leichtem Akzent und war ausgesprochen höflich. Wirklich eine Wohltat nach dem Vormittag. Prompt wurden uns frisch gezapfte Biere, Salzstangen und Erdnüsse (!) aufgetischt.

Ganz ehrlich: ich liebe solche Nachmittage und dieser Moment ist mir in Erinnerung geblieben. Gesellig zusammen sitzen, kein Schicki-Micki Gehabe, kein Abtasten, keine Konventionen. Einfach nur dasitzen, atmen, trinken, reden, das Leben und die Zeit geniessen. Für einige Stunden entzweit sein von dieser hektischen Welt. Ich beobachte die Menschen die vorbei zogen. Es kam mir einwenig obszön vor nur da zu sitzen, während um uns herum alle ihren Pflichten nachgingen. Aber nach 2 Bier war dieses Gefühl verflogen, denn wir gingen auch unserer Pflicht nach. Es schmeckte hervorragend, wobei wir kein Kindl bekamen, sondern Köpi, frisch vom Fass versteht sich.

Irgendwann fing es an zu regnen und über uns setzte sich eine Markise in Bewegung, Karina kam heraus und fragte uns ob alles in Ordnung sei. Das nennt man Gastlichkeit. Make yourself comfortable würde Mr. Lomax sagen. Als aus wenigen Tropfen ein Meer wurde, beschlossen wir hineinzugehen. Drinnen die klassischen Gäste an der Theke, wenige zwar, aber dafür alle Klischees erfüllend. Was für ein heimeliger Nachmittag. Gute Gespräche, frisch gezapftes Bier. Wohl denen, die in der Nähe von Karina wohnen! Später gegen Nachmittag wollte Karina einen auf's Haus ausgeben, leider mussten wir wieder weiter und mussten höflich verneinen (obschon im Innern alle Anwesenden gerne einen getrunken hätten, das konnte ich an den Gesichtern ablesen).

Kneipen sind und bleiben ein Stück Lebenskultur. Das wurde mir erst später gegen Abend bewusst. Auf dem Weg zur Abendveranstaltung machten wir eine abenteuerliche Fahrt mit dem Taxi. Die Fahrerin, so ca. Mitte 50, hatte es schwer, es war ihr 2. Einsatz. Erst fuhr sie zum falschen Hotel, entschuldigte sich 20x und fuhr dann hektisch zum Zielort mit Navigation. Die Scheiben beschlugen, wir sahen nichts mehr und mussten schliesslich an einem Hotel halten um nach dem Eingang zu fragen. Es war ihr sehr peinlich. Der 'Get Together' Abend war wie immer. Danach einigte man sich auf den Besuch einer Cocktailbar irgendwo am Ku'Damm. Die Gruppe mit den Rollkoffern, den Anzügen und der hysterischen Schrittfrequenz hatte sich doch tatsächlich im 'Hollywood Hotel' eingenistet. Ich atmete tief durch. Das ist schon ein Anblick auf dem Ku'Damm zu stehen und in alle Richtungen zu blicken. Irgendwie konnte ich erahnen, wie es zu Beginn des letzten Jahrhunderts gewesen sein muss. Es glitzerte über all, Menschen aus aller Welt, ständiger Verkehr und überall Gastronomen, Hotels und Kneipiers, die um die Gäste buhlten. Just als wir Platz genommen hatten, kam die Hollywood-Gruppe wieder aus ihrem Hotel und man nötigte uns zu der Cocktail-Bar zu gehen.

Die gab es tatsächlich, von draussen unscheinbar. Gemäss dem Motto 'Die ganze Welt ist ein Strand' war alles mit Sand ausgelegt. Innen das Trash-TV Publikum. Wir tranken Bier weiter und ich fragte mich bei all dem Geschminkten und sehr wichtigem Mittelstand um mich herum, was jetzt wohl bei Karina los sein könnte. Wir fragten den Kellner nach einem Cognac, der musste insgesamt 4x zur Auslage und wieder zurück, um uns die Namen vorzulesen. Die Hollywood Gruppe entschloss sich irgendwo in Richtung Adlon zu verschwinden, da war für uns Schluss.

Ich genoss gegen Mitternacht eine fantastische Original Berliner C-Wurst mit Pommes, beobachtete die Nighthawks um mich herum und fiel selig in mein Hotel-Bett.

Gäbe es eine Kneipe hier um die Ecke, ich wäre Stammgast.

Einen auf Karina: Prost!

Rick Deckard

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