Duende - Avishai Cohen with Nitai Hershkovits

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  17. Mai 2012, 13:15  -  #Jazz

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Cohen und Hershkovits. Bass und Klavier. Ist das nicht langweilig? Funktioniert das überhaupt?

Alle Zweifel waren bereits nach den ersten Takten des ersten Stückes in windeseile verflogen. Nein, es ist nicht langweilig, sondern berückend, exquisit und es funktioniert glänzend!

Ohne Superlative inflationär gebrauchen zu wollen: Duende ist ein makelloses, meisterhaftes Kleinod des Jazz und eine der gewinnendsten und zauberhaftesten Platten des Jahres 2012.

Das liegt an der Ruhe, die das Album verströmt. Das liegt an der Art, wie beide musizieren, uns an ihren Gedanken und ihren Klangwelten teilhaben lassen. Das liegt am Spielverständnis der beiden Protagonisten und an ihrem empfindsamen und z.T. auch sehr romantisch-introvertiertem Stil.

"Die Verbindung zwischen Nitai und mir war so stark, dass ich befürchtete, ein weiteres Instrument würde sie vielleicht gefährden. Ich wollte diese kostbare Nähe nicht verlieren."

A. Cohen

Die Zusammenstellung der Titel mit einer Kollaboration, drei Fremdkompositionen sowie fünf eigenen Kompositionen ist perfekt und das Album mit etwas über 33 min vom Timing auf den Punkt genau.

Duende lebt vom kammermusikalischen Charakter und es ist ein Album, welches uneingeschränkt empfehlenswert ist, weil es auch den Menschen gefallen dürfte, die Jazz nur selten oder nie hören. Es ist eine Platte für die stillen und zurückgezogenen Momente am Tag oder im Leben. Es stimmt harmonisch und gibt dem Hörer die Möglichkeit die stark assoziative und abstrakte Wirkung von Musik für sich zu nutzen.

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Das Album beginnt mit Signature (Cohen) mit einem weichen, lyrischen, fast klassisch anmutenden Beginn am Piano. Der Titel zeugt von grosser Spielfreude und Verständnis.

Zu Beginn von Criss Cross (Thelonius Monk) hört man ein galoppierendes Klavier. Der Swing macht sich breit. Unterstützt von Cohen spielt Hershkovits mit der rechten Hand eine klare und saubere Linie, mit Pausen zwischen den einzelnen Noten, wobei das fragmentarische Element eines Thelonius Monk unüberhörbar ist. Der Track mutet an wie die musikalische Unterlegung eines französischen Kriminalfilms.

Bei Four Verses/ Continuation (Hayman/ Cohen) fühlt man sich weit in die Historie zurückversetzt, in Zeiten, in den Lieder, das Liedgut populär waren. Ein wunderbarer Dialog, der sich zwischen den beiden Musikern entfaltet. Schön anzuhören wie Klavier und Bass in Balance stehen und Cohen vollkommen losgelöst und frei spielt.

Soof (Cohen) beginnt mit einem sehr selbstbewusst aufspielenden Hershkovits und hat einen leicht barocken Beiklang. Ein wunderschöner Titel um sich in Gedanken zu verlieren. Sehr melodisch, sehr einnehmend mit einem enormen Gespür beider für Rhythmus. Auch hier hört man eine höchst belebende Konversationen beider mit grosser Freude am Jazz.

All Of You (Cole Porter) lebt einzig und allein vom Swing und schreitet unbeirrt voran. Das Stück macht aber interessanterweise in der zweiten Hälfte eine Wandlung durch, die schwer zu umschreiben ist: der Swing lässt ein wenig nach und eine komplexe Konvergenz macht sich breit. Hörenswert!

Central Park West (John Coltrane) beginnt mit äusserst beruhigenden Akkorden, die einen tief durchatmen lassen, weil sie meditative Ruhe verströmen. Was für schöne Musik, so gefühlvoll gespielt, voll nostalgischer Gefühle und durchsetzt von einem zarten Schleier Melancholie. Ein Titel mit der Fähigkeit in hohem Maße Erinnerungen zu wecken. Eines der bewegendsten Stücke, die ich in letzter Zeit gehört habe, hier sowohl von Hershkovits als auch von Cohen mit einer berührenden Sensibilität dargeboten. Ich musste nach diesem Stück erstmal eine kleine Pause einlegen. Ein kleines Meisterwerk!

Ann's Tune (Cohen) klingt ein wenig gedankenverloren und naiv. Ein harter aber willkommener Kontrast zum vorherigen Stück. Ohne Cohen in seiner Leistung schmälern zu wollen, aber ein ums andere Mal fällt das bestechende und höchst einfühlsame Spiel Hershkovits' auf.

Calm (Cohen): Nomen est omen. Nirgends kommt der kammermusikalische Charakter dieser Platte so sehr zum Ausdruck wie hier. Spätestens bei diesem Stück schloss ich das Album in mein Herz. Fesselnd, wie beide hier spielen, wie sie sich die nötigen Freiräume geben und trotzdem gedanklich und musikalisch im Einklang miteinander stehen. Fabelhaft!

Ballad For An Unborn (Cohen) ist ein höchst würdevoller Abschluss. Der Titel ist geprägt von einer sehr zarten melodischen Ästhetik und einer leichten Schwere. Das widerspricht sich, ich kann es aber nicht besser beschreiben.

"Je älter man wird, umso besser begreift man, worum es geht, das gilt ganz besonders auch im Jazz. Man spielt weniger Noten und verdichtet die eigene Stimme. Dieses Duo illustriert all das perfekt. Wir haben einfach nur das aufgenommen, was wir ausdrücken wollten, ohne irgendwelche Artefakte, ohne den Virtuosen rauszukehren. Wir haben mit unseren Herzen gesprochen, nicht mit unseren Fingern."

A. Cohen

Das ist in jeder Sekunde zu hören.

Wunderschönes Album!

Rick Deckard

 

Bildquellen/ Copyright: Blue Note, fragil.org 

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