Distinktionsgewinn Boulevardtheater

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  23. Oktober 2011, 11:43

21182_33126_Ansichtfrei_DSC_2864Kopie-1-.jpg

 

"99 Prozent der Künstler haben sich dazu verführen lassen, ein System zu akzeptieren, das auf einer künstlichen Verknappung, sowie einer Propaganda basiert, die das individuelle Genie im Dienst des monetären Gewinns über die Rechte anderer Menschen stellt." Das schreibt der New Yorker blogger Paddy Johnson, der auch dazu aufgerufen hat die New Yorker Museen zu besetzen. Weiterhin spricht der Mann, der im Dunst der Occupy-Bewegung agiert, gegen den "Elitarismus" der Kunsteinrichtungen.

  

Als kleiner, unbedeutender Kulturblogger sollte man sich doch nun die Frage stellen, wie man selbst eigentlich zu diesem Thema steht, was man von einer Debatte im Kunstbetrieb so hält und warum Museen und Konzertbühnen, tatsächlich die "Altäre für den Glamour der großen Künstlernamen" sind und warum sich das so entwickelt hat oder ob das nicht immer schon so war.

  

Aus aktuellem Anlass aber habe ich ganz andere Sachen und Namen im Kopf, als zum Beispiel die radikale Kritik der Umtriebigen Bewegung gegen das Museum of Modern Art.

  

Ich denke an Schauspieler wie Volker Brandt, Jochen Busse, Günther Pfitzmann, Grit Böttcher, Thomas Fritsch und Herbert Herrmann. All diese längst vergessenen Ikonen der deutschen Fernsehunterhaltung, sind im Kölner Theater am Dom schon aufgetreten und hängen nun in schönen schwarz-weiß Fotografien an den Wänden des Foyers, das eine Anmutung wie eine Kegelbahn hat.

 

Ich bin an diesem Abend hier um mir das Stück "Sei lieb zu meiner Frau" von René Heinersdorff mit Hugo Egon Balder, Maike Bollow, Dorkas Kiefer und Sebastian Goder anzusehen. Das Stück steht in bester Tradition der klassichen Boulevardkomödie. Beziehungswirrwarr, auftretende und abtretende Schauspieler, schnelle Dialog, pointierte Sätze. Unterhaltsam! 

 

Leider ist diese Spielform, trotz mehrfach ausverkauften Haus, bestimmt zum Ende verurteilt. In erster Linie könnte man meinen, dass das an der Übernahme des Fernsehns liegt. Das glaube ich aber nicht, denn Boulevard hat ja gerade von der klein Prominenz der Schauspieler gelebt. Und so ist es ja immer noch, wenn man sich das Cast des Spielplans ansieht. Der Grund für das Aussterben liege zum größten prozentuallen Anteil an der Kleinbürgerlichkeit, des gesamten Paketes. Die Zuschauer an diesem Abend (!) waren im Durchschnitt 60 Jahre alt. Was nicht schlimm ist, liebe Nörgler, aber durchaus zeigt, dass es kein Nachwuchspublikum gibt. Dabei ist die Kernzielgruppe des Boulevardtheatergehers doch so leicht zu erfassen, weil es sich doch um ein bestimmtes soziales Milieu handelt, aus der die Kernzielgruppe kommt: Mittler bis gehobene Bildung, mittlere bis gehobene Kaufkraft, keine Akademiker, Urlaub: Spanien, Deutschland, Österreich, wenig Fernreise, Auto gehobene Mittelklasse (wichtig als sozialer Status), Gaderobe CundA, maximal ein Anzug die Herren, 2 Abendkleider die Damen und etwas zum kombinieren. Früher hat man auch von der klassischen Bertelsmann Buchclub Zielgruppe gesprochen. Kein klassisches Leitmilieu, sondern ehr bürgerliche Mitte. 

 

Also, die Menschen, die hart arbeiten, sich vieles, aber nicht alles leisten können und sich gerne unterhalten lassen. Ich habe davor jede Menge Respekt und bin daher auch ein Befürworter des klassischen Boulevardtheaters. Denn was macht die Nachfolgegeneration, die Kinder! Die gehen nämlich ins Musical (was wirklich schlimm ist) oder sehen sich debile RS-Dokus auf RTL an.

 

Nun ist es so, dass ich ein großer Fernsehfan bin. Das habe ich nie verneint und ich erfreue mich sogar daran, einen Hugo Egon Balder, mit einer wirklich komischen und auf den Punkt gespielten Leistung zu sehen. Weil das eben auch wiederlegt, dass man nicht immer auf den Schultern von Giganten stehen muss oder Altare anbeten soll, um sich geistreich unterhalten zu lassen. 

 

Eine Bewegung wie Occupy hat sich gegründet, damit jeder Interessierte sich individualistisch zu wort melden kann. Um sich dann weiter zu individualisieren und weiter zu individualisieren. Ein themathischer Trend ist die Verbündung gegen die Elitarisierung des Kunstbetriebs. Natülich wird so eine Bewegung auch von etwas angetrieben, nämlich von Hervorherbung! Würde ein Paddy Johnson sich nicht hervorheben, hätte er keine Zuhörer. Und wenn man sich etwas mit den Herren und dem Ursprung beschäftigt, stellt man schnell fest, dass es sich um frustrierte Teilnehmer des kruden Kunstbetriebes handelt.

 

Auch Deckard und ich zweifeln oft am Kunstbetrieb. Insbesondere bei der Musik wird häufig nach der entscheidenen Erstaftigkeit gefragt, im Kino oft nach der verschwundenen Wahrhaftigkeit. Auch eine Unterscheidung (lesen Sie dazu auch meinen letzten Eintrag aus der Serie "Die Welt des Clutchy Hopkins"). Wenn man sowas hier macht unterscheidet man sich automatisch. Wenn man eine Kusntwelt kritisiert, tritt man automatisch hervor! Geht man aber in diesen Zeiten völlig anachronistisch ins Boulevardtheater, so ist das ein echter Distinktionsgewinn und eine Ablehnung gegen den ganzen Kunstbetrieb und schöngeistigen Unverständnissen, die einem, eine Stadt wie Köln an einem Samstagabend so zu bieten hat.

 

Meine Bewegung heißt: Geht ins Boulevardtheater!

Lehnt Euch auf...

 

Alan Lomax

Um über die neuesten Artikel informiert zu werden, abonnieren: