Die Michael Cimino Retrospektive, Teil II: Im Jahr des Drachen
Eines kann man mit Gewissheit feststellen: Cimino wurde mit fast all seinen Filmen missverstanden. Als 1985 'Im Jahr des Drachen' erschien war die Empörung in Amerika riesig und es wurde an allen Fronten gegen den Film gewettert. Der Hauptvorwurf war der des Rassismus, amerikanisch-stämmige Chinesen waren entsetzt über die Darstellung ihrer Kultur und Lebensweise. Sieht man sich den Film aber genau an und achtet auf die Dialoge, hat diese Kritik keinen Bestand wie ich finde. Es ist wie immer mit Filmen die die Gemüter erregen, die meisten Menschen machen sich keine Mühe den Film zu sehen.
Michael Cimino's Filme haben für mich deswegen einen besonderen Stellenwert, da sie sich mit einer Meinung und häufig auch Provokation an den Zuschauer wagen. Entgegengesetzt vorherrschender Ansichten geht Cimino stets einen unbequemen Weg und hinter der Provokation steckt mehr als blosses Verärgern. 'Im Jahr des Drachen' habe ich jetzt bereits zum vierten mal gesehen und der Film hat nichts von seiner Intensität diesbezüglich verloren. Es ist ein ungemein kraftvoller, leidenschaftlicher und pathetischer Film, der auch noch in 20 Jahren wirken wird.
Die Gründe hierfür sind vielfältig. Bei diesem Film fanden zwei der emotional energetischsten Regisseure zusammen. Oliver Stone schrieb das Drehbuch welches von Cimino in Bilder umgesetzt wurde und wer die Filme von Stone kennt weiss, dass man es sich in seinem Sessel nicht bequem machen kann. Kaum ein Regisseur der vergangenen Jahrzehnte hat so aufgewühlt wie er. Und wenn der Name Stone fällt ist auch eines Gewiss: das amerikanische Trauma um Vietnam, womit wir zum zentralen Charakter des Filmes kämen, den von Mickey Rourke brillant gespielten hoch dekorierten und erfolgreichen New Yorker Polizisten Stanley White.
Es gibt eine Szene im Film, die ohne Worte sehr viel aussagt und an die sich in meinem Gehirn festgesetzt hat: während einer Unterredung mit seinen Vorgesetzten schweift der Blick von Rourke nach draussen und er sieht die amerikanische Flagge im Wind wehen. Erinnerungen an seinen Vietnam Einsatz kommen hoch und der Blick von Rourke ist alles sagend. Wer genau hinsieht bemerkt, dass auch in 'Thunderbolt & Lightfoot' diese Einstellung auf die Flagge ein immer wieder kehrendes Symbol ist.
Cimino wagt sich mit Stone auf die andere Seite des amerikanischen Traums. White ist Pole von seiner Herkunft und ändert seinen Namen von Wyzcinski auf White (!), was selbsterklärend für den Charakter ist und auf den Umstand seiner Herkunft macht er im Film immer wieder aufmerksam. Er bezeichnet sich als polnischen Bauern, als Pollack, in den Momenten, in den er mit der chinesischen Kultur konfrontiert wird. Das sind zweifelsohne die interessantesten Momente des Films, da White im Gegensatz zu seinen Kontrahenten, den Chinesen, seine Herkunft leugnet.
Der Film kreist bis zum symbolträchtigen und grandiosen Finale um die zwei wesentlichen Protagonisten des Films. Stanley White und sein Widersache Joey Tai, ein junger aufstrebender Chinese, der die Macht in dem Kartell mit Gewalt und Skrupellosigkeit an sich reissen will, höchst charismatisch und genauso intensiv verkörpert von John Lone. Cimino und Stone spielen um diese Spirale, die sich im Finale endgültig entlädt viele Themen an. Tai ist ein Einwanderer, der es in Amerika, auch eine Seite des 'Amerikanischen Traums', zu Wohlstand gebracht hat. Einst aufgewachsen in den Slums von Kowloon, einem Teil von Hong Kong, kommt er in die Staaten und macht die klassische Karriere vom Tellerwäscher zum Millionär, allerdings auf der illegalen Seite. Genauso wie White ist Tai ein ambivalenter Charakter: einerseits wird er porträtiert als jemand, der seinen Landleuten hilft, auf der anderen Seite verfolgt er ohne Skrupel sein Ziel. Merkwürdigerweise gewinnt er das Buhlen um die Gunst des Zuschauers, obwohl er in der Geschichte eigentlich der "Bösewicht" ist. Faszinierender Schachzug. Selbst als er in das Goldene Dreieck aufbricht um eine Drogenlieferung und seine Geschäfte zu sichern, ist man als Zuschauer besorgt, dass ihm nichts zustösst!
Der Charakter des Stanley White ist dagegen einer der unsympathischsten der jüngeren Filmgeschichte: arrogant, obsessiv, machtgierig und rigoros. Um sein Ziel zu verfolgen geht er sprichwörtlich über Leichen. Ein Verdienst des superb agierenden Mickey Rourke! Der Zuschauer kann sich mit diesem Charakter in keiner Facette arrangieren, geschweige den sympathisieren und hier kommt auch die Stärke von Cimino und die o.g. Provokation zum Zuge. Wie ein Kritiker zurecht schrieb: der Zuschauer braucht eine Identifikationsfigur, die Cimino hier nicht liefert, was vermutlich viele verstört hat als sie den Film sahen. Zurecht schreibt er weiter: selbst extrem reaktionäre Charaktere wie 'Rambo' oder 'Dirty Harry', die moralisch keineswegs integer sind werden ohne kritische Reflexion wohlwollend goutiert, wohingegen einen Charakter wie White angefeindet wird. Richtiger und interessanter Vergleich!
Die Ablehnung von White den Chinesen gegenüber kommt aufgrund seiner traumatischen Erlebnisse in Vietnam und den Krieg den Amerika verlor (nach Ansicht von White auf Grund des Versagens der Politiker) will er jetzt in Chinatown, New York gewinnen. Von diesem Umstand lässt er sich von niemandem abbringen, weder von seinem Freund und Vorgesetzten, mit dem er aufgewachsen ist, noch von seinen Kollegen. Unbeirrt folgt er seinem Ziel und er kann dabei nicht gewinnen oder wie es jemand im Film profaner ausdrückt:"Du pisst gegen den Wind Stanley!"
Die grosse und überwältigende Kraft in den Filmen Ciminos liegt darin, dass er stets private Schicksale in seine Handlungen einfliessen lässt, hier die gescheiterte Beziehung von White zu seiner Frau, mit der er in Brooklyn aufwuchs. Diese Szenen verleihen dem Film die intensivsten und emotionalsten Momente ohne zu viel zu verraten. In solchen Sequenzen ist Cimino einfach unübertroffen. Bei einem Begräbnis und auch später im Film verwendet er z.B. eine Symphonie von Gustav Mahler um den Bildern noch mehr Ausdruck zu verleihen. Grossartige Momente!
Sicherlich gibt es Dialoge im Film, denen man Rassismus vorwerfen kann, aber ich sehe das nicht so und v.a. nicht plakativ. Es gibt auch genügend Momente, in denen genau das Gegenteil der Fall ist und diese Szenen werden komischerweise von den sog. Kritikern nicht zur Kenntnis genommen. Beispielsweise die Herkunft und Karriere des Vaters der Reporterin mit der White ein Verhältnis beginnt, ein Chinese, der in den Kellern New Yorks Soja Pflanzen züchtet oder auch der Verweis auf die vielen Chinesen, die einen grossen, wenn nicht riesigen Teil dazu beitrugen, dass Amerika industrialisiert und erschlossen wurde.
'Im Jahr des Drachen' (der Drachen ist im übrigen das einzige Fabelwesen in der chinesischen Astrologie und interessant ist, dass laut der Geschichte ein chinesischer Kaiser auf der Flucht in die Gegend des heutigen Hong Kong kam und auf die Berge sehend sagte:"Ich sehe 8 Drachen!". Der Name Kowloon stammt von diesem letzten Kaiser der Song Dynastie und Joey Tai wächst in den Slums von Kowloon auf) ist ein grossartiger, überwältigender, provokanter und zwiespältiger Film, der auch 25 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung überaus sehenswert ist. Die schauspielerischen Leistungen sind, wie immer bei Cimino, exzellent, wie auch die Optik. Fotografiert wurde der Film vom britischen Kameramann Alex Thomson, der auch 'Der Sizilaner' von Cimino verfilmte, sowie 'Excalibur', den Fantasy Film 'Legende' von Ridley Scott und 'Alien 3' von David Fincher. Ihm gelangen sehr atmosphärische Bilder und New York ist nicht so eingefangen, wie man es als Tourist kennt. Wunderschöne Totalen in der Nacht von der Skyline im Hintergrund, Neon, Licht und Dunkel, Düsternis und prächtige Aufnahmen in den Dialogen, nah bei den Charakteren. Die Musik schrieb David Mansfield und auch hier nutzen Cimino und der Komponist ein Saiteninstrument und Orchester (nebst traditioneller Musik) um vielen Szenen Tiefe zu verleihen.
In meiner persönlichen Archivierung und Liste geniesst dieser Film ein hohes Ansehen und bestärkt mich von Zeit zu Zeit immer wieder mit diesem Regisseur auseinander zu setzen. Ein Ausnahmetalent. In den folgenden Wochen werde ich mir die Zeit nehmen um zwei der vielleicht gefühlsträchtigsten Filme überhaupt anzusehen: 'The Deer Hunter' (Die durch die Hölle gehen) und zum Abschluss den 209 min (!) langen 'Heaven's Gate'. Beides Filme, die im Lomax/ Deckard'schen Kinouniversum einen astronomisch hohen Stellenwert geniessen und zu den sog. "Angstfilmen" gehören, weil nach Betrachtung dieser Filme lange Zeit nichts mehr geht.
Warum, erfahren Sie demnächst im Teil III.
Rick Deckard