Danny Boyle - Slumdog Millionaire

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  26. Oktober 2009, 20:27  -  #Filme




Zunächst einmal: Der Film ist kraftvoll, energiegeladen, optimistisch, sehr spannend und: äusserst unterhaltsam. Ich möchte den Film auf 2 Ebenen betrachten als das was er ist und das worüber er berichtet, was er zeigt.

Als reine Unterhaltung funktioniert der Film bestens, wenn auch Fernando Meirelles 'City of God' was eben diese Unterhaltung betrifft um Längen besser war und ist als 'Slumdog Millionaire'. Thema und Art der Präsentation sind sich nicht unähnlich. 'City of God' war ungemein wuchtiger und erzählerisch raffinierter. Aber nur soviel zum Vergleich. Ich stimme Mr. Lomax zu: Das Drehbuch und die Geschichte sind zu sehr konstruiert und leider auch in gewissen Teilen vorhersehbar. Man ahnt bereits am Anfang die Konstruktion der Geschichte und das ist ein unnötiges negatives Element wenn man so will. Dadurch wird dem Zuschauer schnell ersichtlich wie die weitere Handlung voran schreiten wird. Das nimmt den Zauber. Keine Geschichte darf den Zuhörer oder Zuschauer zu schnell in ihre Geheimnisse einweihen. Nicht, dass es falsch verstanden wird, aber sowohl der Drehbuchautor Simon Beaufoy als auch Regisseur Danny Boyle erliegen der Verführung dem Zuschauer wenig Komplexität zuzumuten.

Aber das muss ein Film auch nicht immer, immerhin will man sich in 90 min oder 2h einfach in einer anderen Welt verlieren und seine Welt vergessen. Ich denke immer wieder an den Satz von David Lean was seine Auffassung vom Kino anbelangt: "Wir handeln mit Träumen". Was das betrifft, gelingt es dem 'Slumdog-Team' makellos. Wer würde sich denn nicht wünschen in 'Wer wird Millionär' den Hauptgewinn zu erspielen und zeitgleich die grosse Liebe seines Lebens für sich zu gewinnen? Das ist wie es Mr. Lomax richtig geschrieben hat 'Ganz grosses Kino'. Gänsehaut. Grosse Emotionen. In dieser Hinsicht ist 'S.M.' Kino in Perfektion: Ein Junge aus ärmlichsten Verhältnissen hat ein einem Spiel die Chance soviel Geld zu gewinnen wie noch nie, tut dies aber nicht primär des Geldes wegen, sondern um auf diesem Weg seine grosse Liebe wieder zu finden. Er hat Hoffnung und verliert diese den ganzen Film über nicht. Er verspürt grenzenlose Leidenschaft, eine Eigenschaft die nicht viele Menschen besitzen. Beides ist wie geschaffen für einen Film und Boyle hält diese Fäden virtuos bis zum Finale in seinen Händen und dirigiert sein Ensemble souverän. 

Wie alle seine Vorgänger-Filme ist auch 'Slumdog Millionaire' technisch überragend, sowohl den Schnitt als auch insbesondere die Kamera betreffend. Fast ruhelos hasten wir mit dem Protagonisten durch seine Welt bis er erwachsen wird und auch da wird das Tempo nicht langsamer. Die Farben, die Ausleuchtung, die Perspektiven, die Einstellungen alles beeindruckend und streckenweise atemberaubend. 

Aber ein Film lebt hauptsächlich durch seine Handlung und seine Geschichte die er erzählt und da liegt, um es bourgeois zu formulieren, "der Hund begraben". Ich nehme eine solche Gesichte niemanden ab, auch nicht und gerade im Kino. Da fehlen zu viele Bezüge und Querverweise, insbesondere die Erklärungen zu vielen Motivationen; Handlungs- und Beweggründe bleiben meines Erachtens dem Zuschauer verborgen. Ein Film, das ist für mich ein riesiges Manko, sollte den Zuschauer gerade bei einem solchen Sujet niemals fragend zurück lassen. Ich kann auf Grund von zu vielen Inhalten die ich hier verraten würde nicht konkret genug werden, da ich potentiellen Zuschauern auch den Film nicht vermiesen möchte, denn er ist ohne Zweifel sehenswert und über dem Durchschnitt. 

Es regt mich innerlich nur auf, weil Danny Boyle einer der wenigen zeitgenössischen brillanten und ausserordentlich talentierten Regisseure ist. Sein letzter Film 'Sunshine' ist für mich einer der besten Science Fiction Filme die jemals gedreht wurden und ich will auch soweit gehen zu behaupten, dass er visuell und inhaltlich sehr nahe an Stanley Kubricks '2001- A Space Odyssey' herankommt. Für mich ist dieser Film, wenn man so will eine Endzeitvision', optisch und inhaltlich unfassbar überragendes Kino. Ebenso seine Alex Garland Verfilmung 'The Beach' den ich mir alle Jahre wieder ansehe. Allein diese beiden Filme zeigen wie vielseitig Boyle und was für ein visionärer Künstler er ist.

In diesem Zusammenhang gesehen war ich umso mehr enttäuscht, dass er sich einer solchen 'Banalität' hingibt.

Kommen wir zu dem was er zeigt. 'Slumdog Millionär' ist ein vitaler und lebensfroher Film, der zudem auch eine vollkommen andere Welt, ein anderes Land zeigt. Mir hat schon sehr imponiert wie ein Brite das heutige Indien zeigt. Der Film ist, natürlich fokussiert auf die Welt der Slumbewohner, ein neutraler Betrachter/ Beobachter der es schafft in 2h einige wesentliche Kernelemente dieser modernen Stadt Mumbai (ehemals Bombay) aufzuzeigen als auch die der Inder und des modernen Indiens. Das muss man dem Team um Boyle lassen, da haben sie sich nicht lumpen lassen und versuchen das Beste aus eben dieser zeitliche Einschränkung heraus zu holen. Ich frage mich nur was Menschen empfinden, wenn sie diesen Film sehen - werden die fernöstlichen Klischees verstärkt oder der Verstand angeregt nachzudenken, zu recherchieren, oder ist diese Welt doch gar so fremd, dass die eigenen Massstäbe nicht ausreichen um das alles zu verstehen?

Sir Richard Attenboroughs 'Gandhi' war in diesem Zusammenhang ein Meilenstein und Meisterwerk, ein nebenbei bemerkt grandioser und triumphaler Film.

Zurück zu 'S.M': Man sieht viel Armut, extrem viel Armut, Dreck, Müll, unfassbares Leid und Trauer. Man sieht aber auch ein riesiges Mass an Optimismus in den leuchtenden Augen der Kinder, insgesamt in dem Film und natürlich, das ist mir nicht entgangen, zweckmässiger Optimismus, denn es geht um das eigene Überleben. Wie Boyle und sein Drehbuchautor diese Kinder zeigen, ihre Welt, was für ein gehöriges Mass an Improvisationstalent sie hinlegen, wodurch 'Slumdog' phasenweise an Jazz erinnert, ist ausserordentlich beeindruckend. Zu sehen wie Menschen in einer anderen, in einer fernen Welt tagtäglich ums überleben (!) kämpfen zeigt einem doch auch wie gut es uns geht. Dieser Vergleich mag jetzt, wenn auch stereotyp, erlaubt sein. Boyle zeigt architektonische Eckpfeiler der Stadt, die Menschenmassen und den erstickenden Verkehr auf den Strassen, die Kriminalität, ausbeuterische und gewissenlose Menschen, aber auch die Vielfältigkeit, den Reiz und Zauber eines anderes Kosmos. Das ist schon sehr erquickend.

Viele Bilder haben sich eingebrannt aus dem Film, das wird wohl jedem so ergehen. Diese bewegten Bilder haben es in sich. Ich habe es sehr genossen 'Slumdog Millionaire' zu sehen und werde das in den nächsten Jahren immer wieder tun, vielleicht auch bald wieder, denn er vermittelt eines auf kompromisslose Weise: gebe Deine Träume nie auf, folge Deinen Visionen, verliere nie den Mut, gib nicht auf und was mir und Mr. Lomax ja immer so am Herzen liegt: Verliere niemals Deine Leidenschaft.

Der Film ist mit einigen wenigen betrübenden Abstrichen grossartiges und belebendes Kino. Optisch und technisch in höchstem Masse faszinierend und inhaltlich sehr bewegend. Auch musikalisch mit der Musik von A.R. Rahman und einigen Tracks von MIA exzellentes Entertainment, musste mir den Soundtrack sofort laden. 

Kein Meisterwerk, aber überdurchschnittlich gut.

Einen Punkt habe ich noch vergessen zu erwähnen über den ich fast tagtäglich nachdenke: Der Film stellt eine zentrale Frage:

Ist es Schicksal?

(Die Beantwortung dieser Frage nebenbei bemerkt differiert ausserordentlich vom Orient zum Okzident).

Leidenschaftliches Kino!

Rick Deckard

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