Chet Baker - She Was Too Good To Me
Musik ist fast immer auch Ausdruck einer Stimmung, oder anders gesagt man hört häufig Musik ausgesucht nach der inneren Befindlichkeit. Lomax hat in einem Recht: man kehrt auf der Suche, trotz interessanter und lohnender Ausflüge in die Moderne, immer wieder zu seinen Helden zurück. Ich habe lange darüber nachgedacht. Warum auch nicht? Warum das so ist, darauf will ich hier nicht näher eingehen, das mag an anderer Stelle erörtert werden.
Draussen demonstriert der Herbst in diesen Tagen seine ganze Macht und Pracht. Es regnet, es ist stürmisch, die Blätter spiegeln Farben wieder von verblassendem grün bis über braun und orange, es ist bewölkt und die Sonne muss sich grosse Mühe geben dagegen anzugehen. Wenn sie aber auf der Bildfläche erscheint, dann überstrahlt sie alles. Jenes Wechselspiel dieser Jahreszeit mit seinen abfallenden Temperaturen und der Suche nach Wärme sorgt für eine gewisse Seelenlage und genau diese spiegelt sich in bestimmter Musik wieder.
Die Sehnsucht ist gross nach Ruhe, Einkehr und Besinnung.
Welcher Künstler im Jazz ist in der Lage diese Launen in seiner Musik zu reflektieren? Diese Frage führte mich auf die Suche und ich landete fast instinktiv bei Chet Baker, meinem späten grossen Helden. Ich erinnerte mich an sein grandioses Konzert in Hannover, sein bewegtes und vielerorts auch trauriges Leben, und diese unverkennbare Stimme. Kaum ein Musiker in letzter Zeit hatte so viele Emotionen in mir herauf beschworen wie er.
Ich weiss nicht, ob jemand von Ihnen ein Instrument spielt oder einmal versucht hat ein Blasinstrument wie die Trompete zu spielen? Ich habe es vor Jahrzehnten aus Spass einmal probiert und habe natürlich bis auf ein Krächzen keinen Ton hervorgebracht. Als Resultat schmerzten die Gesichtsmuskeln. Wenn man Musik hört, dann sollte man sich bei all der Leichtigkeit wonach sie meistens klingt immer dessen bewusst sein, wie schwer ist es ein solches Instrument zu beherrschen und zu spielen. Natürlich werden Sie sagen, dass Übung den Meister macht, aber es gehört mehr dazu und das ist Talent.
Im Jazz gibt es im Grunde 3 innovative oder wegweisende Spieler, die die Trompete als Instrument zu einem Markenzeichen gemacht haben: Louis Armstrong, Dizzy Gillespie und Miles Davis. Natürlich gab es unzählige mehr, die hier fairerweise genannt werden müssten, aber die drei sollten genügen. Das Spiel eines Chet Bakers ist ganz klar beeinflusst von Davis. Baker sagte in einem Interview einmal, dass es soviel Lärm und Unruhe im Alltag gebe, dass man sich nach Ruhe sehne.
Und genau diese "Lebenseinstellung" hört man in seinem Spiel heraus. Es ist die Art, wie er diesem Instrument mit den Ventilen Töne entlockt. Sie klingen warm, weich, transparent und mit unendlich viel Gefühl gespielt. Baker spielt selten 'high notes', kaum oder nie in hohen Registern und trotzdem ist sein Spiel und auch seine Art zu improvisieren immer ein Hochgenuss. Will man wissen was ihn in seinem innersten bewegt hat (auch wenn das wie eine Phrase und abgehoben klingt), dann sollte man nur seinem Spiel lauschen!
Auf dem Album 'She Was Too Good To Me' erschienen bei dem CTI Label gibt es beides, schnelle und dynamische Bop Nummern, als auch traumwandlerisch schön gesungene und arrangierte Balladen. Jazz Puristen werden sagen, dass Streicher & Jazz nicht zusammen passen und sie haben Recht, hier aber tun sie's. 1974 wurde das Album in den legendären Van Gelder Studios in New Jersey aufgenommen und zu Baker gesellten sich:
Paul Desmond am Saxophon
Bob James an den Keyboards
Ron Carter am Bass
Jack DeJohnette und Steve Gadd an den Drums
Dave Friedman am Vibraphon
und Hubert Laws an der Flöte.
Eine kleines Streicherensemble mit Don Sebesky's wunderschönen Arrangements liefert die notwendige Unterstützung für den Sänger und Trompeter. Das Album sorgt für die genau oben beschriebene Atmosphäre. Sonnige und melancholische Stimmungen geben sich die Hand. Baker ist in wunderbar gelassener Stimmung und spielt befreit auf. Das elektrische Piano von James ist das i-Tüpfelchen des Albums, gelegentlich verstärkt durch Hall-Effekte. Desmond's samtweicher und fliessender Klang am Saxophon ist eine ideale Ergänzung für Bakers Spiel.
'She Was Too Good To Me' ist ein wunderbar eingängiges und leichtes Jazz Album, sicherlich auch ein Zeichen seiner Zeit. Anfang der 70'er Jahre war Baker inbegriffen nach vielen leidvollen Jahren zur Musikalität zurückzufinden und dieses Album wird als eine Art 'Comeback' angesehen. Es gibt die an den Bop angelehnten Tracks wie 'Autumn Leaves', 'Funk In Deep Freeze', 'Tangerine' und 'It's You Or No One', als auch die erwähnten berauschend schönen Balladen 'She Was To Good To Me', 'With A Song In My Heart', 'What I'll Do' und 'My Future Just Passed'. Gerade letztere seien vielleicht denen empfohlen, die Jazz nicht mögen oder selten hören. Nebenbei: CTI Records produzierten für mich neben Blue Note die schönsten Album Cover, siehe auch dieses Beispiel hier.
Für mich läutete es dieser Tage ein kleines Baker Revival ein und es folgten zwei weitere fantastische Alben, diesmal aus dem Hause Enja Records, genauer aus der Legacy Reihe das Vol. 3 'Why Shouldn't You Cry' mit Wolfgang Lackerschmid am Vibraphone. Wie Chet Baker auf dem Titel gebenden Stück Trompete spielt ist schlicht überwältigend! Zum anderen das Album 'Oh You Crazy Moon' - der Live Mitschnitt des Konzerts aus Ludwigsburg glaube ich: Jazz in Reinkultur.
Häufig las ich in den letzte Tagen, dass Baker die Trompete so spielt, als würde er singen. Dem kann man nur zustimmen. Ein Lyriker der ganz besonderen Art und einer der gefühlvollsten Jazz Musiker die ich kenne. Wahre Kunst.
Chet: You are always good to me!
Rick Deckard.