Casino – Martin Scorsese
Heimlich, still und leise wird der geistige Vater dieser Seite und seine Filme zum aktuellen Hauptthema in meinem Kopf. Somit, hat sich gestern, wie von selbst der Film über die „Mafia-Machenschaften in Las Vegas“ in meinen DVD-Player geschlichen.
Ein Film den man aufgrund seiner Wucht, seines bewusst abgehackten Erzählstils, aber auch wegen seiner eminenten, physischen Gewaltdarstellung, nicht jeden Tag sehen kann. Mit verursacht hat dieses filmische Ereignis am Sonntagabend der Master of Maintitle (MOM) Saul Bass. Bass hat mit dieser Arbeit auch leider seine letzte abgeliefert: Man sieht verschwommene Las Vegas Leuchtreklamen in diffusen Neonlichtern glimmern. Davor stürzt immer wieder ein kleines schwarzes Männchen in den Abgrund. Der Übergang von der echten Welt, in die Glanzwelt des „alten“ Las Vegas ist hier einfach großartig gelungen.
Auch Kollege Deckard hat zeitgleich eine Handlung in Las Vegas gesehen. Vermutlich aber etwas verschwommener, psychedelischer und paranoider als uns Martin Scorsese in die Geheimnisse dieser Stadt einweiht. Im Reportagestil schildern die beiden Protagonisten Ace und Nicky, wie es hinter den Kulissen, der Stadt in der Wüste, abläuft. Das ist nicht nur hochinteressant, sondern rasant, fesselnd und unfassbar schnell. Michael Althen hat es in der Süddeutschen Zeitung dann zudem auch richtig beschrieben: „Robert Richardsons Kamera „flitzt“ durch den Film „wie eine Roulettekugel über den Drehteller“.
Der Rest des dramatischen Geschehens wird auch weiterhin aus dem Off erzählt. Doch Scorsese erzeugt durch diese verbale Vertonung eine ungeheure Sache: Totale gewollte Distanz, zwischen Publikum und agierenden Charakteren. Der Film ist kein großer Dialogfilm, die nüchternen Kommentare von Ace (Robert de Niro) und Nicky (Joe Pesci) sind informativ und versetzen den Regisseur in die Lage, trotzdem eine dramatische Handlung nach vorne zu bringen. Über drei Stunden hinweg ist das gelinde gesagt, ein Geniestreich!
Während De Niro mit einer unglaublich storrischen Darstellung, des jüdischen Casinoleiters Sam „Ace“ Rothstein glänzt, Joe Pesci als sein Kumpel und späterer ärgster Feind Nicky Santoro gewohnt geistesgestört unterwegs ist, ist es insbesondere Sharon Stone als Ginger Mc Kenna, die eine der furiosesten und verstörendsten Frauenrollen der Gegenwart abliefert.
Es lohnt sich wahrscheinlich die Biographie des echten Frank Lawrence „Lefty“ Rosenthal zu lesen, um zu verstehen, warum Scorsese sein Plagiat Sam Rothstein so weltmännisch, klug und über den Dingen stehend interpretiert hat. Letztendlich kann man ihm keine Machenschaften vorwerfen. Er will das Beste für seine Familie, sehnt sich nach einer gewissen Geborgenheit und einem bürgerlichen Leben. In dem Film wird er nicht einmal handgreiflich, brutal oder gemein. Er handelt aus reinem Gewissen, Old-School-Geschäftsmässig. Ein Gentleman im Besten Sinne. Im Gegensatz zu seinen Feinden, die im Prinzip alles gierige Neider sind.
„Gib ihnen ein Freigetränk und einen Traum, und sie geben dir ihre Brieftaschen“, eine etwas abfällige Beschreibung für das Wort Kundenbindung. Aber Rosenthal/Rothstein steht für eine alte glanzvolle Zeit, des klassischen Las Vegas, bevor die Konzerne Hotels in Pyramidenform in die Stadt setzten und die alten Hotels und Casinos abgerissen wurden. In einem Schlussbild, sieht man den Ansturm einer großen Menge von Menschen. Schlecht gekleidete, fette Menschen! Verachtend beschreibt Ace das Ende von Las Vegas.
Deckard und ich lieben solche Abgesänge auf klassische Zeiten. Da spreche ich mal für ihn mit! Und das zu recht, den wer hat heute noch Stil, legt wert auf Gerechtigkeit, gute Kleidung und Schönheit um sich herum. Wer hat noch Zeit etwas lange zu beschreiben. Beschleunigung der Unwichtigkeiten! Ein Beispiel? Gerne: Hier die Bewertung des Filmes Casinos, wie sie aktuell in den Sprachrohren der Filmkritik stehen würde: Anspruch – Daumen hoch; Spannung – Daumen hoch; Action – Daumen seitwärts; Humor – Daumen nach unten; Erotik –Daumen nach unten. Klar, dass so ein „Halbweltepos“ dann verloren geht!
Ich bleibe lieber auch „Old-School“: Dieser Film ist ein Meisterwerk! Wahrscheinlich gehört er zu den 20 besten Filmen die jemals gedreht wurden. Er ist ein echtes Beispiel dafür, wie man eine fremde Welt unterhaltsam, informativ und stilistisch sicher für fremde Menschen beschreibt und gleichzeitig Kino für gefühlsduselige, empathische Misanthropen macht.
Alan „Lefty“ Lomax