Bill Fay – Life Is People

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  18. September 2012, 12:11  -  #Populäre Musik

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Auf einmal war er da! Vor einigen Wochen, habe ich, das erste Mal ein Album von Bill Fay gehört. Es ist die erste musikalische Veröffentlichung des britischen Sängers und Songwriters nach 41 Jahren. „Life Is People“ war ein sofortiges Klangereignis für mich. Ein Hörphänomen welches Geistliche als Oratorium bezeichnen würden. Also einer Handlung in der nur Text und Musik stattfindet. Und alles Weltliche hinter einem bleibt.

Ehrlich gesagt, drücke ich mich um diesen Eintrag seit Wochen, da es mir schwer fällt einen gerechtfertigten und objektiven Zugang zu diesem Meisterwerk zu vermitteln. Die Texte und die Musik von Bill Fay gehen durch ihre Ehrlichkeit und gleichzeitige Zeitlosigkeit direkt ins gigantische und somit auch schnell in die inflationäre Gedankenlosigkeit!

„Life Is People“ ist kein Experiment oder beschwerliche alternative Musik. Es ist keine Musik nur für Kenner, Liebhaber oder Experten. Bill Fay’s Musik ist Musik für alle Menschen auf dieser Welt.

Ebenso, wie in jeder Schlagermusiksammlung eine Beatles- oder Beach Boys-Platte, in jeder Klassikmusiksammlung eine Anmutung von populärer Musik in welcher Form auch immer,  in jedem Jazzarchiv zumindest ein Sting-Album auftaucht und in jedem Hotelzimmer eine Bibel, so sollte auch in jedem Haushalt dieses Album stehen.

Bill Fays Musik ist niemals pathetisch, aber religiös. Die Texte sind apokalyptisch, dunkel und melancholisch, geben aber auch Hoffnung und vermittelt das was Menschen erwarten, wenn sie mit melancholischen Themen konfrontiert werden: Trost.

Es ist schlicht weg unmöglich Bill Fay in eine musikalische Kategorie einzuordnen oder einen Vergleich zu finden. Vielleicht ist der Abwägung der Auferstehung Jesus Christus die plausibelste, wenn auch krasseste.

Auf seinem  erstem Album (1970) sieht man Bill Fay auf einer Parkbank sitzen. Er ist mit Laub überdeckt und sieht so aus als wenn er sich nicht mehr bewegen möchte. Das zweite Album (1971) „Time Of  The Last Persecution“ ist ein finsterer Blick in die Zukunft, geprägt von dauerhafter Atomkriegsangst. So was wollte damals niemand dauerhaft hören. Insbesondere weil Fays Aufruf zur „heiligen“ Gemeinde vielleicht etwas Sektenhaft, grotesk und mit zu wenig hippiesker Ästhetik ausgestattet war.

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Schnell verlor Bill Fay seinen Plattenvertrag, fing an in einer Fabrik zu arbeiten und erledigte später Tagesjobs. Als wenig aktiv-künstlerischer Mensch, ging er mit 70 Jahren in Rente. Musik fand nur in seinem Hobbykeller gemeinsam mit Freunden statt.

Dann beginnt das Wunder. Die englische Plattenfirma See For Miles veröffentlicht 1998 seine beiden alten Studioplatten auf CD. Jim O’Rourke fand Fays Musik als erster wichtiger Musiker spannend. Später interessierten sich Jeff Tweedy (Be Not Fearful) und der umtriebige Sänger und Labelbesitzer David Tibet für Bill Fay. Auf einigen Kompilationen erscheinen Bill Fay Songs, bevor in diesem Jahr das erste Studioalbum seit 1971 „Life Is People“ erschien.

41 Jahre sind vergangen, seit der ersten Platte von Bill Fay. Das ist die Zeit eines vollzogenen Musiklebens! Da ich mich zwangsweise mit dem kompletten Werk von Fay zu beschäftigen begann, fragte ich mich natürlich, was die Musikwelt verpasst hat und ob es auch tatsächlich ohne Fay geklappt hat?

Dies lässt sich natürlich nur persönlich beantworten. Und ich finde, dass diese neue Platte von Bill Fay eine Lücke schließt. „Life Is People“ verdichtet den Zwischenraum von Liebhabermusik und Massenphänomen. Denn die Klangwelt und die Expression von Bill Fay hat eine selbstverständliche Allgemeingültigkeit.

Bill Fay’s Musik ist nicht fröhlich, trotzdem lädt sie zum Mitsingen, Pfeifen und Mitmachen ein. „The Healing Day“ ist z. B. ein positiver, heilender Popsong. „Cosmic Concerto“ ausgestattet mit fettem Orchester und einem zum niederknienden Crescendo, gleicht einer Wall-Of-Sound-Offenbarung! Mit dem Wilco-Klassiker „Jesus, Etc.“ bedankt sich Fay bei Jeff Tweedy und markiert seine Musikalität mit dem Hintergrund, meines kontextuellen Ansatzes den ich hier versuche zu beschreiben.  

Das alles erscheint mir wie ein Andenken an die Musik der letzten Jahrzehnte und einem grundsätzlichen humanistischen Visionsgeschenk an die Menschheit. Und weil Bill Fay selbst von der Größe der Aufmerksamkeit an uns überzeugt ist, verzichtet er auf alle Einnahmen und spendet alles an Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“.

Ein Sonnenuntergang, ein Blick ins Tal, ein See, eine Stimmung kann uns mit Freude erfüllen. In der indischen Kultur gibt es die sog. Gandharva-Veda-Musik. Sie ist die Grundlange aller Ordnung und Harmonie in der Natur.

Wenn es also Musik gibt, die im Einklang mit den Naturgesetzen funktioniert, so muss es auch Musik für gesellschaftliche Zyklen geben. Bill Fay schafft diesen Sprung. Das Verstehen der Wirklichkeit. Ohne erhobenen Zeigefinger, ohne demagogische Weltsicht und ohne Eitelkeit, erklärt uns hier ein einfacher Mann das Leben, wie es wunderbarer, glaubwürdiger und elementarer selten stattgefunden hat.

"I can't think of anyone whose records have meant more in my life." - Jeff Tweedy (WILCO)

Alan Lomax

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