Bad Lieutenant – Never Cry Another Tear

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  13. Oktober 2009, 16:48  -  #Populäre Musik


Im Magazin für Popkultur beschreibt Bernard Sumner, wie er mit acht Jahren zum ersten Mal einen Baum gesehen hat, weil er im Moloch Manchester aufgewachsen ist und umgeben war von industriellen Gebäuden. Manchester hat sich Stadtbautechnisch verändert. Sumner hat mit Joy Division, Electronic und New Order drei meiner absoluten Lieblingsbands der letzen 20 Jahre hinter sich gelassen und liebt es nun zu segeln. 

Er spricht offen über seine Alkohol- und Drogenprobleme, sieht in dem Video zu der ersten Single „Skik or Swim“ so aus, wie ein fünfzig jähriges Popidol aussehen muss. Lässig, entspannt und erhaben. Er lebt immer noch in Manchester und man hat schnell den Eindruck, dass er angekommen ist. 

Was ich persönlich immer an Sumner geliebt habe, ist seine verträumt Art vor dem Mikrofon zu stehen und gleichzeitig unsicher, aber stolz seine wunderbaren teils lyrischen, teils abstrakten Texte und wunderbaren Gesangsmelodien vorträgt. Dabei wollte ich (und da bin ich ehrlich) immer sein wie er! 

Heute höre ich also die vierte Band des Ausnahme Menschen und Künstlers Bernard Sumner. Ja, die Band besteht aus vier weiteren Bekannten und berühmten Bandmitgliedern, aber um ehrlich zu sein, ohne Sumner wäre die Scheibe nicht die, die sie ist. Im einzelnen: 

Über SKIN OR SWIM habe ich bereits geschrieben: http://lomax.over-blog.de/article-35151535.html 

Direkt nach diesem wunderbaren Einstieg folgt das genauso mitreißende TWIST OF FATE. Direkt nach dem ersten Takt, vermisst man Hookis melodischen Basslauf. Eine merkwürdige Fügung des Schicksals ist das alles schon. Retrospektiv gesehen auf das Leben von Bernard Sumner und sein eigentlich passives Verhalten als Popstar und Frontmann. Nun ist er es doch. New Order waren immer zu viert.  Sumner war zwar immer mein liebstes Mitglied, aber da waren halt auch die anderen drei. Nun steht er wirklich im Fokus und nun ist er wirklich der Frontmann und Chef einer Band, die Mitgliedertechnisch austauschbar ist. Auch wenn natürlich das Gegenteil behauptet wird. Nur um noch mal die J.D. Diskussion anzufeuern! Um es gleich vorweg zu nehmen. New Order waren mir unelektronisch und gitarrenlastig am liebsten. Das hier geht genau in die Richtung die ich mag. Stephen Morris naturelles und klassisches Schlagzeugset hört sich schön an und die wenigen modernen Drumeffekte stehen der Nummer gut, die direkt ins Herz geht und Freude bereitet. Insbesondere nach dem ersten Refrain und der ersten Bridge, die sich Zeit nimmt und an Vergangenes zu denken. 

Mit einen klassischen Schlagzeugbeat fängt auch das viel versprechende SUMMER DAYS ON HOLIDAY an. In dem SPEX Interview sagt Sumner: „...der Drang, sich kreativ zu äußern, versiegt nicht einfach“. Das freut mich als Fan natürlich! Der Song allerdings klingt erstmal etwas zu kreativ und erinnert an vielen Stellen an die SHELLSHOCK Maxisingle. Nicht wirklich kreativ und auch leicht gemetzelt. Es gibt kurze Smith Akkorde und die Gitarrenarbeit der drei Gitarristen Sumner, Evans und Cunnigham klingen nach etwas viel. Aber der Song hat eine unvergleichliche Dramaturgie. Er steigert sich spielt mit den unterschiedlichen Gitarreneinflüssen und schließt sich zum Schluß im New Order Crescendo.

 

THIS IS HOME ist schwelgerisch. Der neue Gefährte Jake Evans taucht Gesanglich das erste mal auf und übernimmt den Duettpart. Toller gemeinsamer Gesang der mich berührt, weil die Stimmen harmonieren, aber auch weil Sumner eine zweite Stimme gelten lässt. Ein Novum. Der Song bekommt in der zweiten Hälfte hymnische Qualitäten, wie sie nur englischen Bands schaffen zu vermitteln. Ein erstes (viertes) Highlight. 

RUNNING OUT OF LUCK wird dominiert von zwei auf scheinbar Millionen gespielter Spuren und einer schönen Gesangsmelodie. www.kulturnews.de schreibt folgendes: „Die Single "Sink or swim" und die anderen besseren Momente der Platte kommen über gehobenes Mittelmaß nicht hinaus, während Songs wie "Running out of Luck" oder "Head into tomorrow" sogar gnadenlos plätschern. Das war schon bei Electronic nicht anders, und vielleicht sollte Sumner endlich die schmerzhafte Erkenntnis akzeptieren: Mehr als durchschnittlich wird es ohne Peter Hook nie sein. (cs)“. Wie unterschiedlich Wahrnehmungen sein können! Wie bei der ganzen Platten und gehaltvoller Musik kann ich nur empfehlen genauer hinzuhören und zu verstehen! Aber wer hat schon die Zeit alles aufzunehmen und zu verstehen. Dafür gibt es aber Lieblingsbands mit denen man sich dann intensiver und liebevoller beschäftigt. Natürlich gerne auch mit Pathos, aber was ist daran schlimm. RUNNING OUT OF LUCK ist alles andere als Durchschnitt. Es ist ein schöner, einfacher, herzlicher Popsong. 

POISONOUS INTENT geht kompositorisch einen ehr groovigen Weg, der mir persönlich nicht gut gefällt. Daher würde ich mal behaupten, dass Sumner hier den ersten Tiefpunkt erreicht. Die Effekte sind sehr achtziger Jahre und auch die schlimm angedeutete groovige funky Gitarre, die zu sehr geflangt ist, nervt. Es gibt eine kurze Anspielung an BLUE MONDAY die auch ehr unnötig ist. New Order haben immer ein bis zwei weniger gute Songs auf ihren Alben gehabt und nennt mir eine große Band die es schafft 14 weltklasse Nummern aufzunehmen. Hier also maximal 3 Sterne und kurz entstehende Langeweile. 

THESE CHANGES ist auch eine ehr durchschnittliche Nummer, der zudem Sumners Einfluss fehlt. Offensichtlich singt auch hier wieder Jake Evans. Schöne Stimme aber durchschnittlicher Song, einer kurzen Britpop-Band, die man kurz liebt, aber schnell wieder vergisst. To fast forward. Aber Jake soll später noch seine großen Momente haben... 

WALK ON SILVERWATER macht im Mittelteil der Platte ungefähr dort weiter, wo es mit RUNNING OUT OF LUCK angefangen hat, entschließt sich aber schnell wieder ein echter Sumner Song zu werden. Zur rechten Zeit weiß Bernard Sumner sehr genau, wann er seine Stimme erheben muss und zu schönen Melodien aufbrechen muss. WALK ON SILVERWATER ist mein persönlicher und geheimer Lieblingssong. "I cant walk on water, still the raging sea. I cant move a mountain or live eternity. Und dann or I am just a free bird 
hanging in the air, 
don't care about tomorrow, 
cause I know your not there." Von der einfachen Schönheit fast ein Oasisgedicht. Sicherlich beim Segeln geschrieben. Ich kann es mir gut vorstellen. Wenn ich das nächste Mal segele, werde ich den Song mitnehmen. 

Dann kommt SHINE LIKE THE SUN! Der Überhit der Platte. Den Anfang singt auch wieder Evans. Stört aber überhaupt nicht, weil man sofort die sumnerische Melodiestruktur identifiziert. Fast erhaben. Dieser einfache und wunderbare Popsong könnte auf der A Seite der 1986 veröffentlichten BROTHERHOOD sein. Eine storrische  Popperle, die ich tag täglich suche und endlich mal wieder gefunden haben. Großes Glück und große Zufriedenheit. Ein Dauerlächeln stellt sich in meinem Gesicht ein. Die Vermutung das Sumner mit seiner Vergangenheit kokketiert und zeitweise angibt, bestätigt sich. Der Kreis schließt sich. 

Natürlich ist dieser Bericht getragen von Erinnerungen und persönlichen Fantum! Warum auch nicht! Ich schließe an den Absatz von SHINE LIKE THE SUN an: Glückseeligkeit. Und an alle die es interessiert: Bernard Sumner trifft Embrace. Das gefällt natürlich! 

HEAD INTO TOMORROW fängt mit einem weiteren tollen Gitarrenintro an. Ehr countryesk. Mehrstimmiger Gesang. Alles andere als ein sumnerischer Song. Auch sehr nahe an Embrace. Wer ist eigentlich dieser Jake Evans? Er hat offensichtlich einen maßgeblichen Einfluss auf die Platte und bringt interessante Wendungen. Evans spielt sonst bei der Band RAMBO AND LEROY die auch schon einige New Order Support Gigs gespielt hat und eine solide britische Scheibe EP auf den Markt geworfen hat. Etwas psychedelisch und erinnert an die frühern VERVE. Ich finde Evans tut der Platte gut. 

Das durchschnittliche aber gefällige FALLING TREES leitet dann das Ende von NEVER CRYANOTHER TEAR ein. 

SLIT THE ATOM fängt wieder atmosphärisch dicht an und führt dahin, wo man Bad Lieutenant in Zukunft sehen möchte. Als logische Konsequenz und Weiterführung von New Order mit erweitertem Horizont unter der Sonne der Glückseeligkeit. Zitiert mich: Dieser Song ist einer der schönsten Songs des ausgehenden neuen/alten Jahrzehnts. 

HOW LONG fragt sicherlich nicht wie lange wir darauf warten müssen! Ich persönlich habe erstmal eine neue Lieblingsplatte in diesem Jahr gefunden, die ich alleine aus Respekt, Fantum und eigenen Interessen und völlig Subjektiv als eine der Platten des Jahres deklariere. Für mich persönlich eine sehr große Freude. 

Nothing in this world Can touch the music that I heard When I woke up this morning It put the Sun into my life It cut my heartbeat with a knife It was like no other morning


Alan Lomax

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