For Good: The Soundtrack Of Our Lives - Live, Gebäude 9, 22/11/09
Es hat sich immer wieder bestätigt: Ohne irgendeine Erwartungshaltung ist am Schluss alles gut. Wobei es in diesem Fall ein Ende hätte nicht geben dürfen. Ich glaube bei den wenigen Konzerten die ich in meinem Leben gesehen habe, habe ich mir nirgends ein weiterspielen einer Band so sehr gewünscht wie bei TSOOL. Das Ende kam jäh und jetzt nach 2 Tagen kann ich in Ruhe darüber schreiben.
Viele, sehr viele Vorschusslorbeeren hatte ich über diese Band aus Schweden vernommen, von allen Seiten. So etwas macht mich dann besonders skeptisch. Aber alle Zweifel, alle Gedanken, alle Diskussionen über Musik, schlicht weg alles wurde in einem furiosen Konzert hinweg gefegt. Es ist nicht leicht mich zu überzeugen, insbesondere dann nicht, wenn man meine musikalische Sozialisation durchgemacht hat, aber TSOOL haben es geschafft und das mit einer überzeugenden Leichtigkeit. Viel habe ich mich am Wochenende unterhalten über das Thema 'Haltung' in der PoP-Musik und ich empfinde dieses Thema als sehr wichtig für jemanden, der PoP Musik regelmässig hört. Was genau das bedeutet, wurde mir noch nie so klar wie an diesem Abend.
Sonntag Nachmittag. Es hätte keine bessere Einstimmung auf dieses Konzert geben können, als sich in einem Kölner Brauhaus zu treffen. Alle schwermütigen Gedanken eines typischen Sonntag wurden bereits nach dem ersten Glas Kölsch heruntergespült. In geselliger Runde war man in Vorfreude und erzählte über anstehendes und vergangenes. Die Stimmung war sehr relaxt. Insbesondere nach dem Verzehr von erstklassig gebratener Blutwurst, Kartoffelpüree und Zwiebeln. Eine mehr als perfekte Basis für den weiteren Abend. Das Gericht heisst 'Himmel un Äd', übersetzt 'Himmel und Erde'. Kann ich nebenbei jedem uneingeschränkt empfehlen.
Nach diesem wunderbaren Nachmittag wurden wir dann freundlicherweise von 'Ewing Air' direkt über den Rhein zum Gebäude 9 geflogen. Es gab keine Drinks und keine Flugbegleiter, aber da einige Unterhaltungen fortgesetzt wurden, gab es somit für alle ein gutes Bordprogramm. Auch die, die nichts sagten, lauschten insgeheim denen die plauschten. Ein schöner Flug war das: Dunkelheit, überall Lichter, Asphalt unter uns, Brücken und der majestätische Rhein in all seiner Ruhe. Ich fühlte mich an 'Collateral' von Michael Mann erinnert.
Das 'Gebäude 9' lag auf der 'anderen Seite' des Rheins. Unspektakulär bog man um die Ecke und ging einen langen dunklen Gang hinunter und in der Ecke standen einige Leute, die weich und freundlich mitteilten, dass es noch keinen Einlass gebe. Also stellten sich alle in einen Kreis und redeten. Ich mag solche Kreisansammlungen nicht und stellte mich bei Seite. Imposant war dieser Hinterhof und hätte mit seiner dunklen Aura, seinem Beton und seinen hohen Häusern, dem Metall und Glas überall auf der Welt stehen können. Mir gefiel, dass dieser Ort überhaupt keinen Glamour verströmte, sehr erdig, sehr real, sehr nüchtern.
Wir gingen hinein und tranken erst einmal alle Bier an der Theke. Direkt gegenüber hingen die typischen Devotionalien an der Wand, angefangen von T-Shirts, über Poster, LP's und CD's. Es wurde langsam voll und wir allmählich auch. Ich entschloss mich eine Runde Schnaps der Familie Scholzen auszugeben und erntete dafür von einem Nerd Ehepaar in der Runde einen Blick, der in der Mimik einem solchen Gesichtsausdruck gleichen würde, als hätte man Ihnen soeben in 30 sek. die Quantenphysik erklärt.
Das Publikum war sehr merkwürdig. Gott sei Dank keine 16-jährigen Taschenträger. Aber ein buntes Sammelsurium an Menschen, vorwiegend in Schwarz oder dunkel gekleidet, die rein äusserlich eine Mischung aus Altersweisheit, Nerdtum, Lebenserfahrung und Neugier abbildeten. Ich fragte später einen dieser Typen ob er die Band kenne und Platten im Regal stehen habe und v.a. was ich zu erwarten hätte. Er (Es?) bejahte, sagte, er würde diese Band seid 8 Jahren kennen und hinsichtlich der Erwartungshaltung sollte ich auf den Ticketpreis schauen (20, 95 € ), dann wüsste ich, was auf mich zukäme! (Er war der Auffassung, dass das teuer sei).
Ich war sehr gelöst als die Band die Bühne betrat. Im Hintergrund lief eine Rückprojektion aus schwarz-weiss Bildern, unterbrochen von geschriebenen Sätzen, Aussagen, von Landschaften und sehr alten Porträts von Menschen. Interessantes Konzept dachte ich. Ich beobachtete die erste 1/4h einzig die Bandmitglieder. Was Haltung in der PoP Musik bedeutet wurde mir bewusst, als ich Ebbot Lundberg sah und hörte, weil dieser Sänger alle meine im Kopf gefestigten Stereotypien vom Leadsänger zerstörte. Wenn jemand wissen will was es heisst mit Hingabe zu singen und nicht nur mit der Stimme, dann sollte er Lundberg sehen: Ein Titan. Ungemein sympathisch wurde er mir dann auch noch, als er später in den Vorraum kam und sofort stehen blieb als ich einige Worte an ihn richtete. Er hörte aufmerksam zu, bedankte sich seinerseits und ging Autogramme unterschreiben. Ganz ehrlich: solche Momente erlebe ich extrem selten in meinem Leben und mein Herz klopfte bis zum Hals. Ein grossartiger Moment!
Lundberg gab alles und hat eine Qualität, eine Eigenschaft, die eigentlich für die ganze Band gilt: Er ist MITREISSEND. Das habe ich so und in dieser Form noch nie erlebt! Auch wenn ich die Musik von TSOOL noch nie zu Hause gehört habe oder hatte, so hatte das im nach hinein vielleicht seine Berechtigung und auch das wurde mir nach diesem Konzert wieder mehr als deutlich: ES GIBT POPMUSIK, DIE MAN NUR LIVE HÖREN KANN UND SOLLTE, denn ohne einen gewissen, diesem bestimmten Gestus, verliert sie ihre Wirkung und Bedeutung!
Martin Hederos an den Keyboards war von Anfang bis zum Ende vollkommen in seine Musik und sein Instrument vertieft, das gefiel mir. Ein gut aussehender Typ mit einer sehr stylischen und guten Frisur, der in anderen Spähren schwebte. Frederik Sandsten, der Schlagzeuger, betrat gleich zu Anfang die Bühne und ich dachte der ältere Bruder von Jan Delay sei nach Schweden ausgewandert. Leider konnte ich von meinem Standpunkt aus nicht viel von Ihm sehen, aber umso mehr hören und das war ein perfekter Beat. Die beiden Gitarristen waren grosse Klasse, insbesondere der eine von beiden, namentlich Mattias Bärjed (?), der in einem roten Hemd, einer gelben Hose und einer sechziger Jahre Frisur eine exzellente Performance hinlegte mit skurrilen Gesten und einer streckenweise gewollt trashigen Handhabung der Gitarre. Ich sah im gerne zu und musste nicht gerade wenig lachen. Der Bassist Jerneholm und der andere Gitarrist Person erschienen mir routiniert, was ich aber nicht negativ konnotiere, im Gegenteil.
TSOOL haben mich um es banal zu formulieren: Umgehauen! Wenn es Rock N' Roll in der Postmoderne (!) gibt, dann diesen. Genauso muss es klingen und genau so muss er sein. Ich kannte kaum ein Stück, im Gegensatz vielleicht zu den meisten aus dem Publikum und konnte kaum verstehen was Lundberg da sang, aber trotzdem waren sie nach 15 min in der Lage mich aus meiner Lethargie zu reissen, mir ein breites Grinsen auf die Mundwinkel zu drücken und ein noch schwererer Akt als ohnehin, sie schafften es, dass ich meine Arme hob und voller Begeisterung und unendlicher Euphorie mich in Ihrer Musik verlor.
TSOOL an diesem Abend war pure Energie und eine so noch nie gesehene Leidenschaft bei PoP-Musikern (mag sein, dass andere mit mehr Konzerten und solchen ähnlich gelagerten Abenden es anders sehen, aber für mich sind solche Konzerte eher die Ausnahme). Ich war "enttäuscht", als es zu Ende war und hätte Ihnen ohne weiteres noch für eine oder zwei Stunden zugehört, dieser vielleicht "besten Band der Welt!"
For Good,
Rick Deckard
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