Antwort 4: Se7en Revisited - Ein Dialog zum Film von David Fincher
"... und für die geniale Forderung an das Publikum die eigene Moral zu hinterfragen!"
Das aber ist der entscheidende Satz, über den sich vieles bei Se7en klären lässt.
Ich habe mich oft gefragt wie viele Standpunkte es bei Se7en gibt und für welchen sich die Zuschauer entschieden haben. Dass John Doe's Beweggründe schlüssig erscheinen, darüber haben wir uns bereits unterhalten, ebenso wie die Tatsache, dass er ein Psychopath ist und die damit verbundene Umsetzung seiner Taten indiskutabel sind. Mills bedarf keiner weiteren Stellungnahme. Es dreht sich um den Charakter des Somerset. Durch den gesamten Film hindurch meint man er habe den nötigen Abstand und betrachtet die Dinge aus der Distanz, sei gar fatalistisch. Aber am Ende als er Hemingway zitiert sagt er doch letztendlich alles in einem Satz. Er findet die Welt nicht schön, ist aber der Meinung, dass es wert sei um sie zu kämpfen. Insofern hat er den Glauben und auch die Hoffnung nicht ganz aufgegeben. Ob das auch die Haltung des Zuschauers nach dem Film widerspiegelt sei dahingestellt, aber vom Standpunkt der Moral kann und muss man ihm beipflichten!
Wenn man meine unumstößlichen Lieblingsfilme betrachtet, hat es Se7en schwer, denn alle Filme meine derzeitigen TOP3 haben eins gemeinsam: Hoffnung, Schönheit und der Glaube an das Gute im Menschen! Se7en würde eine Ausnahmestellung einnehmen, weil der Film und die Geschichte nicht mal Ansatzweise auf diese Attribute setzt. Aber vielleicht wird er daher eine Ausnahmestellung in meinem Kosmos einnehmen. Wie ist es bei Ihnen?
So sehe ich es auch. Der Film hat eine Ausnahmestellung. Diese Ausnahme ist durch vieles begründet. Zum einen verlassen der Regisseur und der Drehbuchautor das klassische Prinzip bei den Serienmörder-Filmen. Wir kennen es: entweder sind die Täter von Anfang an bekannt und der Zuschauer beobachtet die Verfolger/ Polizisten, wie sie sich ihm bis zum Finale nähern, oder aber es gibt mehrere Verdächtige und wir raten wer von Ihnen es sein könnte, bis der Aha-Effekt uns am Ende überrascht. Nach diesem Muster wurden fast alle Filme dieses Sujets verfilmt. Dann kam Se7en und mit ihm eine Novität! Der Zuschauer ahnt überhaupt nichts und weiss auch nichts über den Täter! Er ärgert sich im Nachhinein, dass Mills und Somerset ihn fast gehabt hätten. Er schreitet nur in dem Masse voran, wie die beiden Polizisten es tun. Und dann plötzlich ohne jegliche Vorwarnung oder Hinweis erscheint Kevin Spacey auf der Bühne. Das war ein überragender Schachzug und wer meinte damit sei das Ende besiegelt, dem stand ein Grauen bevor, wie es schlimmer in der Filmgeschichte nicht erzählt wurde. Man erinnere sich an diese unglaublich atemlosen Minuten als der Van angefahren kommt... . Das ist Filmkunst par excellence!
Sie haben recht wenn Sie schreiben, dass John Doe die Fäden in der Hand hält und das ist etwas, was nicht nur den beiden Polizisten übel aufstösst, sondern auch dem Zuschauer. Man ist fassungslos. Wissen Sie welche Frage wir nicht geklärt haben, die aber eine zentrale ist, denn Mills steht am Ende im Mittelpunkt und diesmal wird seine Emotion, besser Beherrschung, dermassen gefordert, dass es unerträglich ist. Mal (wohlgemerkt) hypothetisch gefragt:
Wie würde man selbst handeln?
Die Frage erscheint auf den ersten Blick dumm, wenn man aber bedenkt, dass es ein Teil des Gesamtplans von John Doe ist, der einzig und allein an diesem letzten Moment hängt, dann ergibt sie "Sinn".
Genau dieses Ende macht den Film so verstörend, dass er es einem hinsichtlich einer Einordnung in seine persönliche Bestenliste sehr schwer macht. Wie soll man allen ernstes einen solchen Film "mögen" wollen? Dass er das Attribut 'genial' verdient ist ohne Frage, ein brillant inszenierter Film.
Ich betrachte ihn ähnlich wie 'Lawrence Of Arabia' als einen Ausnahmefilm.
Rick Deckard