A Place to Bury Strangers – Gebäude 9 – Köln, 16. April 2012
Die Bezeichnung “lauteste Band der Welt” fand ich für die New Yorker Band A Place To Bury Strangers von Anfang an total blödsinnig. Überhaupt ist dieses Attribut kein Attribut für Coolness oder Können, sondern ein Hype der einfach nur nervt und falsch ist.
Letztendlich ist es nur das, was einem am ehesten auffällt, wenn man die Band um Mastermind und Soundgenie Oliver Ackermann, das erste Mal hört und sieht. Nimmt man sich aber die Zeit genauer hinzuhören und zu verstehen was bei APTBS passiert, wird man schnell verstehen, dass die Lautstärke ein Mittel für die düstere und dunkle Atmosphäre ist, die natürlich an Joy Division, My Bloody Valentine und ________ (setzen Sie hier eine Band Ihrer Wahl ein), erinnert! Zusammengefasst also sphärischer Post-Punk der alten polyphonen Gitarrenschule ist.
Die sogenannte Verzerrung ist einfach hergestellt und erzeugt zauberhafte Momente. Hat man selbst mal Gitarre gespielt und tritt im rechten Moment auf das Effektpedal, weiß man wie viel Kraft dieser Moment in einem freisetzt. Tut man dies aber 10x ohne direkten Zusammenhang zu weiteren instrumentalen Mitstreitern, zur musikalischen Struktur und zu einer gewissen Balance des Songs, wird das Verzerren schnell ziemlich schwelgerisch langweilig.
A Place To Bury Strangers tun insbesondere live alles damit das nicht passiert. Die ca. 200 Zuschauer an diesem Abend in Kölns weiterhin besten Live Club wissen das zu schätzen. Einige selbst spielende Gitarristen aus dem Auditorium strömen vor Beginn dann auch direkt zur Bühne um sich einen Überblick über Ackermanns Bodenpersonal à la Effektgeräte zu machen. Ackermann weiß, was er sich dort vor die Füße legt, denn er stellt die kleinen Apparate selbst her und vertreibt sie auch über seine Firma „Death by Audio“. http://www.killerrockandroll.com/deathbyaudio/
Überhaupt scheint Ackermann das unangepasste Genie der Band zu sein. Weitestgehend mit exzentrischen Posen in erster Reihe, versucht er permanent zwischen den unnotierbaren Klängen eine poptextuelle Struktur zu erzeugen. Womit sich die Band insbesondere auch auf dem neuen Album auszeichnet. „Noise“ von Sonic Youth, aktuellere Entwicklungen von Mogwai oder der Band „Beach House“ waren mir schon immer näher, als die anfänglichen Shoegazing-Angeberplatten von My Bloody Valentine, Slowdive oder Spacemen 3. Aber das alles hat mit Geschmack zu tun. Wichtig bleibt das man eine Meinung hat, was gut und schlecht ist.
„Wenn Du zwischen zwei Gefühlen, zwischen zwei unterschiedlichen Situationen pendelst. In einem Moment lachst du, im nächsten Moment erschrickst du dich furchtbar. Himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt; es ist eine Art Balance in einem intensiven Leben. Und so etwas ähnliches, vermittelt unsere Musik. Na ja, vielleicht liege ich aber auch falsch... (lacht).“, antwortet Bassist Dion Lunadon in einem Interview mit einem Kölner Onlinedienst auf die Frage, was es mit den referenzierten Gratwanderungen (Exploding Head) zwischen dem Schönen und dem Schrecklichen auf sich hat. Vielleicht kann man daher auch von ziemlich ausgeglichen, sympathischen Typen sprechen, wenn man die Band umschreiben will. Aber alles egal, denn wichtig ist wirklich nur eins an diesem Abend: Und zwar das es hier magische Momente für die Ewigkeit gibt.
Interessanter Weise fühle ich während des ganzen Konzertes eine leichte Angst. Ähnlich der kleinen Angst bevor man mit einer unbekannten Achterbahn fährt. Die Musik ist höllisch laut, brachial krümmen sich die Bässe in meinen Körper,Ackermanns Schallgewitter fetzt mir das Trommelfell aus den Ohren. Ich entscheide mich doch meine Ohren zu schützen. Zu der subtilen Vorahnung die mich ängstlich macht, kommt der ewige Nebel und die Goboprojektoren und das flackernde Stroboskope! Das Ganze in so einer unerträglichen Penetranz auf so einer ziemlich kleinen Bühne, dass ich schnell in einen ziemlich üblen psychedelischen Rausch versetzt werde.
Wirklich grandios ist die Polyphonie, die durch das maximale Erreichen der Lautstärke zwischen Verstärkter und Gitarre erreicht wird. Der mehrstimmige unsteuerbare Dialog wird bis zum Ende des Sets nach 2 Stunden dramatisch gesteigert. So begründet sich dann auch meine Achterbahnangst, als sich Ackermann nach einem ca. drei minutigen infernalischen aber monotonen Soloschlagzeugs seines Kollegen Jay Space entscheidet, das Gesangsmikro vor den Marshallgitarrenverstärker zu stellen. Anschließend zieht er den Stecker aus seiner Gitarre. Jeder Mensch der das schon mal zuhause gemacht hat, weiß dass jetzt ein infernalischer Krach entsteht. Meine Magenwände ziehen sich zusammen, hinter mir schreit ein Freund „es ist ein Flugzeug, es ein Flugzeug das Startet, jetzt startet es, jetzt startet es“, mein Kopf ist kurz vor dem zerbrechen, mein Herz verneigt sich vor so viel trotzdem bewahrter Schönheit in diesem Moment! Der Soundteppich bleibt etwas stehen, bevor sich Spaces Schlagzeug, Lunadon Glück-Seeliger Bass und Ackermanns mies gepflegten Gitarren (man muss das einfach so sagen) wieder vereinen und zu dem grandiosen gejoydivisionierten Song Onwards To The Wall ansetzt.
APTBS werden in den nächsten Jahren den Olymp des Rock’n’Rolls erreichen. Soviel steht fest! Es ist das technische Bewusstsein und die Identifizierung mit den wirklich großen Post-Punk-Bands der Vergangenheit und die sympathische wenig eitle, aber trotzdem künstlerische und hochunterhaltsame Beschäftigung mit dem produktionstechnischen Thema Wall of Sound und der zu Herzen gehenden, tieftraurigen und bitterschönen Musik.
Grandioser Abend, unvergessliches Konzert, für immer im Herzen!
“And for some reason, I was daydreaming and I didn't even see his line, so I didn't even get a chance to look at it.” Kevin Shields
Alan Lomax