Die Herren Christian Mazzalai und Kele Okereke - „Easteregg“
Vorab: Danke an den Musikexpress für das o. s. Foto. Das Bild zeigt den Gitarristen von Phoenix und den Sänger von Bloc Party, Backstage, auf einem Festival. Ab inito nach zu lesen in der (ganz hervorragenden) Jubiläumsausgabe des Musikexpress.
Das Bild übt eine eigenartige Faszination auf mich aus. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Beiden Musikern kann man getrost und ohne Peinlichkeit die Begrifflichkeit „Stilikone“ zuordnen. Christian Mazzalai sieht immer ein wenig aus wie ein versoffener Intellektueller aus Paris. Genauso wie man sich diese Typen halt vorstellt. Immer verschlafen, nicht richtig adrett oder durchgestylt, hinterlassen sie doch die Vermutung, dass sie sich lange mit ihren Frisuren und ihrem Look auseinandergesetzt haben. Vielleicht ist das Outfit aber im Laufe der Zeit auch generisch gewachsen. Egal, ich bewundere dieses Understatement.
Mr. Okereke hingegen hat auch seinen eigenen Look kreiert. Als einer der wenigen dunkelhäutigen „Stars“ der independentdebilen Szene, hat er natürlich sowieso einen unbewussten Stellenwert. Seine Kleiderwahl zwischen Slacker- und Streetstyle ist perfekt. Die Wahl des Michael Jacksons Sweatshirt (nach eigener Aussage) ehr Zufall. Das Shirt hat er sich bereits vor 3 Jahren gekauft, trägt es nun aber bewusst auf.
Der erste Punkt der mich an dem Foto fasziniert ist also die Kleidung der beiden Herren. Tendenziell neige ich ehr zu dem Mazzalaistyle, bewundere aber auch Okereke, in dem Bewusstsein, dass ich mich mit gleicher Kleidung zum Nerd der Woche machen würde.
Kleidung hat immer was mit Haltung zu tun. Jedes einzelne ausgewählte Stück hat sehr viel mit einer nach außen dargestellten Persönlichkeitsstruktur zu tun.
Bloc Party gegründet 1998 und Phoenix die ihre maßgeblich beste Platte „United“ im Jahre 2000 veröffentlicht haben, sind aber nicht nur „Modebands“ in doppelter Hinsicht. Sie haben eine Berechtigung und man muss sie musikalisch erst nehmen. Auch das vermittelt mir das Foto. In meiner Wahrnehmung (modische Definition übrigens nur noch über das Schuhwerk) sind Bloc Party die textlich wichtigere Band. Okereke scheint der lyrisch versiertere zu sein. Das Album„A Weekend in the City“ beschäftigt sich mit gesellschaftlichen Themen wie Krieg, Rassimus und Drogenmissbrauch. Auf „Intimacy“ beweist Okereke aber auch das er sich mit virtuelleren Themen, wie persönlichen Niederlagen und Schmerzen in Sache Liebe auseinandersetzen kann. Bei Phoenix ist der Text ehr Mittel zum Zweck. Die französische Band ist auf ein Gesamtkunstwerk hinaus. Es wimmelt zwar von schönen Worten in den Texten von Phoenix, die Verwendung dient aber mehr dem Einklang der Musik. Beides ist aber nur eine Feststellung und keine Wertung.
Soeben habe ich eine kleine Marktforschung betrieben und meine beiden Kolleginnen mit dem Foto konfrontiert. Natürlich in dem überzeugten Bewusstsein, dass beide nicht annähernd wissen um welche Personen es sich handelt. Meine erste Frage zielte dann auch genau darauf ab: „Was meint Ihr, wer könnte das sein?“ Antwort von beiden: „Freunde von Dir?“. Nach dem ich das unbestätigt gelassen haben, direkt die zweite Frage: „Wie würdet Ihr beide beschreiben?“. Eine Kollegin meinte, dass Okereke jünger aussieht. Das Michael Jackson T-Shirt wurde als albern bezeichnet und die Typologie beschrieb sie mit einem Studenten. Die andere Kollegin meinte, dass Okereke ein Skater, oder so wäre! Mazzalai wurde von beiden als Lehrer eingestuft.
Das ist natürlich weder wissenschaftlich, noch empirisch und wer meine beiden Kolleginnen kennen würde, wird nicht mal viel Wert auf diese Aussage legen. Aber es könnte die durchschnittliche Sichtweise, von durchschnittlich interessierten Menschen sein. Die weder Musik als wichtiges Transportmittel von Gefühlen wahrnehmen, noch kulturelle Gedanken verschwenden bzw. anwenden.
Natürlich finde ich als „Fan“ (bewusst gewählte Terminologie) bemerkenswert, dass diese beiden „Helden“ als meine Freunde eingeordnet werden. Andererseits auch merkwürdig, weil keiner meiner Freunde so cool (nichts für ungut Jungs!) aussieht, wie eben diese beiden Musiker.
Ein Anschlussgedanke: Überbewerten wir: „Musiknerds“, „Indi-Polizisten“, und „Schallplattensammler“, Musiker vielleicht! Zumindest in unserer Wahrnehmung! Sind wir nicht eigentlich (fast 40 Jahre) zu alt, um uns von unwesentlich jüngeren Musikern zeigen zu lassen, wie wir auszusehen haben oder könnten? Klares Nein! Und somit komme ich auch gleich zum Fazit der Faszination dieses Bildes.
Wir sehen hier nicht nur zwei begabte junge Männer und gute Musiker sondern zwei Menschen, die mein Leben in den letzten 10 Jahren mitgeprägt haben. Der Kosmos „Phoenix“ in seiner Einzigartigkeit bzgl. den cineastischen Zusammenhängen und wunderbaren Erlebnissen und die Band Bloc Party, die mir ehrlich gesagt wöchentlich musikalisch über den Weg läuft. Wieso sollte man bei soviel Einfluss nicht hinterfragen wer die Menschen sind, die solche persönliche Musik machen.
Womit ich dann auch beim eigentlichen Thema bin;-)
Lieber Rick Deckard, da Du der einzige und letzte Leser dieses viel zu langen und persönlichen blog-Eintrag bist, kann ich auch hier unsere versteckte Diskussion weiterführen:
Du schreibst in einem Kommentar zu dem Diestelmeier-Eintrag (http://lomax.over-blog.de/article-36536804-6.html#anchorComment ; …falls doch noch andere dabei geblieben sind!) folgendes: „…zum anderen interessiert mich das Privatleben eines Menschen der Musik macht im Innersten wenig, denn die Wahrheit, das wirklich wichtige wird dem Hörer sicherlich verborgen bleiben. Ich bezweifle, dass Herr Distelmeyer sich auf einem Album all den tausenden von Hörern wirklich offenbaren wird.
Gesamtgesellschaftliche Entwicklungen sind schon sehr groß und kompliziert genug, ein riesiger Kosmos, dazu dann der private nicht minder einfache Kosmos: wie will man da erfolgreich allen Ernstes eine Verbindung herstellen???“
Zusammengefasst stellst Du die Privatperson = Künstler vs. Künstler =Gesellschaftskritiker in Frage!? Ich stelle mit diesem blog-Eintrag eine dritte und vierte These/Gleichung in den Raum: Künstler = Künstler vs. Künstler = Idol!?
Um Deinen eingehenden Eintrag zu Charlie Distelmeier zu kommentieren: Abgesehen von einigen unübertrefflichen Songs auf „Heavy“, stehe ich Dir bei und würde das Album in seiner Gesamtheit auch als „gescheitert“ bezeichnen. Diestelmeier verrennt sich tatsächlich in teilweise unerträgliche Banalität. Die Person Diestelmeier ist in seinem jetzigen Leben vielleicht einfach zu interessant, als das er uns begeistern könnte. Da er sich offensichtlich in einer ähnlichen Lebensphase befindet wie wir. Es ergibt sich natürlich automatisch die Frage, warum uns das interessieren sollte, wo wir uns doch so wunderbar selbst beschreiben können.
Bei und mit Blumfeld war das noch anders. Man hatte den Eindruck das Charlie ehr der androgyne Selbstzweifler ist, der trotzdem ein Rock’n’Roll Leben führt. Nun, wird uns ein Künstler präsentiert der –Zitat eines Kritikers zu Funny van Dannen– ehr „ein Mario Barth der Rest-Alternativen-Lehrerszene“ ist.
Trotzdem respektieren wir ihn und wissen, dass er ehr Künstler = Idol ist, als Privatperson = Künstler.
Bei Christian Mazzalai und Kele Okereke treffen mehrere Attribute zusammen. Aber nie die Eigenschaft der Privatperson. Insofern geht der Zauber nicht verloren. Übrigens ein wichtiger Faktor, warum ich meine Musikjournalistenkarriere nicht fortgeführt habe. Bei allen Interviews die ich gemacht habe und Stars und Sternchen die ich so in meinem Leben getroffen habe ging immer etwas verloren, wenn ich sie persönlich kennengelernt habe.
Dies, lieber Rick, ist aber nur eine weitere Theorie, die ich hier einmal in den Raum stelle. Gerne möchte ich zu Abschluss noch Deine folgende Frage eingehen:
„'Heavy' könnte genauso gut das nächste 'Blumfeld' Album sein, was es aber wiederum nicht ist und was mich zur nächsten Frage geführt hat: ist ein Musikalbum in seiner Summe das Ergebnis einer kollektiven Bemühung oder doch nur das Resultat eines einzelnen begabten Menschen? Im Jazz ist das nebenbei bemerkt anders. Wer das Album hört und 'Blumfeld' kennt, der wird diese Frage verstehen.“
Ich glaube sehr wohl, dass Jazzmusik in seiner Summe das Ergebnis einer kollektiven Bemühung ist! Natürlich gibt es Ausnahmeinstrumentalisten, die ich hier nicht aufzählen muss. Generell liegt bei guter Jazzmusik die Quintessenz aber im Dialog, in der Konversation der Instrumente und im Kollektiv. Ergo, umso besser die Künstler, desto besser die Musiker. Einzelbeweis: Es gibt fürchterliche Cole Porter Aufnahmen von Charlie Parker. Einem der größten Instrumentalisten seiner Zeit. Aber die Arrangements und Bandmusiker sind eine Zumutung. Distelmeier hat musikalisch ja nicht abgebaut, sich auch nicht weiterentwickelt. Der musikalische Beigeschmack bleibt Blumfeld. Und die hätten ohne Diestelmeier nicht existieren können. Untermauern kann man diese Theorie sogar mit dem Ausstieg von Peter Theissen (Gesang, Gitarre). Der mit der Band Kante einige hervorragende Platten gemacht hat. Möglicher Weise tritt hier sogar noch der Faktor „des nicht möglichen künstlerischen Auslebens, aufgrund einer Lichtgestalt in einer Band“ auf. Im Sinne meiner Argumentation, aber ist das Gewicht des Ausstiegs von Theissen und sein zeitgleicher Austausch mit Lars Precht von geringer musikalischer und künstlerischer Bedeutung für Blumfeld. Was zeigt wie unwichtig Blumfeld als Kollektiv gewesen sind.
Zurück zu den beiden Herren auf dem Foto. Bloc Party und Phoenix sind beides Kollektivbands. Der musikalische Kern von Phoenix sind die beiden Brüder Christian Mazzalai und Laurent Brancowitz. Thomas Mars ist ein guter Frontmann, sympathischer Typ und guter Sänger, aber musikalisch spielt er aus meiner Sicht keine wesentliche Rolle bei Phoenix.
Kele Okereke hingegen ist ein guter Texter, eine echte Bühnenpersönlichkeit mit gewaltiger Präsenz und ein begnadeter Rhythmusgitarrist. Wer Blog Party schon mal live gesehen hat, weiß was für ein Ausnahmetrommler Matt Tong ist. Russell Lissack’s Gitarrenspiel wird u. a. auch im Musikexpress zu recht gewürdigt. Handwerklich sicherlich nicht überdurchschnittlich, aber technisch innovativ und nicht vergleichbar.
Mhh, viele neue Erkenntnisse, die wie immer der Frage nach gehen, was eine gute Band tatsächlich auszeichnet. Wann ein Popmusiker ein guter Künstler ist und warum Popmusik nicht selbsterklärend gegenüber dem Jazz steht.
„Unsere Leidenschaft ist ihnen rätselhaft…“
Alan Lomax