Haldern Pop 2009 – Full length version Gastbeitrag von John Ross Ewing

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  24. August 2009, 12:40  -  #Konzerte



Hier kommt der zweite Teil der Haldern-Reportage. Ein Gastbeitrag von John Ross Ewing, Köln KL! Vielen Dank dafür Alan Lomax!

Klatsche einfach mit Lomax ab. So weit, so schön war das Festival bis Freitag Nacht. Lediglich den halben Auftritt von Super - Munroe konnte ich sehen, da das Freitag – Highlight in Haldern für mich der wundervolle Patrick Watson aus Montreal war. Mit vielen seiner entrückten, groß angelegten und sperrig arrangierten Stücke vom neuen Album Wooden Arms und wenigen Songs aus dem für mich noch schöneren Close to Paradise hat er die Kunstmusikmeute und die Träumer im Publikum überzeugt. In seinen besten Zeiten ist er ein Neuzeit-Buckley, aber natürlich hat er diese Gabe nicht permanent.
Auf die Umstände des Festivals mag ich nicht eingehen, das können die Besucher der einschlägigen Foren unter sich ausmachen. Das Programm am Samstag hätte besser nicht sein können, mehr als das gebotene Line Up ist an einem Tag ohnehin nicht zu verkraften. Den Auftakt haben wir mit den Maccabees gemacht. Bei dreißig Grad muss man sich die Kräfte einteilen. Sie waren schon einmal in Haldern und sind dennoch nicht bekannt beim Publikum. Ihr anspruchsvoller und unbequemer, da kaum radiotauglicher PowerPop macht keine Stimmung aber ein wohliges Gefühl. Das neue Album ist ein typisches Beispiel für gute Musik, die an allen, sogar der gesamten Indie-Mischpoke, vorbeigeht und in einem halben Jahr zu Unrecht für Zweineunundneunzig beim CD-Discounter steht. Ein gutes Warm Up.
Dann das erste echte Highlight, eine Band auf die ich mich sehr gefreut habe: Grizzly Bear, Brooklyn, NY. Veckatimest ist ein unglaubliches Album und ich war gespannt auf die Live-Umsetzung. Freund CMÖ nennt es Weird Folk. Das ist treffend. Freund MOS steht mit offenem Mund da. Die Einflüsse sind so vielschichtig, dass man allerdings keine griffige Umschreibung finden kann. Somit auch keine Schublade und das ist gut so. Alles ist so schräg, eigenständig und gleichzeitig umarmend, dass Grizzly Bear in der Lage sind, einen eigenen Kosmos zu schaffen. Jeder singt, jeder spielt und dieses Kollektiv bekommt ganz neue Songstrukturen hin, welche wirklich verblüffen. Es gibt ergreifende Harmonien und dennoch werden diese immer wieder zu einem brüchigen Ende geführt. Es entsteht auf keinen Fall eine Pop-Erwartungshaltung. Insgesamt ist es der Hang zur Melancholie, der diese Band unwiderstehlich macht und für eine feste Verankerung in meinem Koordinatensystem sorgen wird. Dauer konsum. Was für eine Band. Ein typisches Warp Signing.
Dann – nach Zeitentausch mit Andrew Bird vorgezogen – Bon Iver. Man muss betonen, dass die Band die beste Haldernzeit erwischt. Die Sonne beginnt auf dem alten Reitplatz ab 18 Uhr etwas tiefer zu stehen und es ist Zeit für glänzende Augen. Justin Vernon beglückt uns mit einem unglaublichen Auftritt, der natürlich von der Stimme lebt. Charmant und zurückhaltend nimmt die Band das Publikum in den Arm und schafft das, was Musik bestenfalls erreichen kann. Emotion, Glückseligkeit, Bewunderung. Alles passt. So wie Bon Iver zu 4AD. Kreise schliessen sich, weit über zwanzig Jahre nach ersten This Mortal Coil Alben, die ähnlich mit mir umgegangen sind.
Nach diesem Gig geht es um Glücksverarbeitung durch Essen, Diebels und Pop. Früher hieß das sicher Punk, was die guten Texte und die Haltung der wunderbaren Thermals natürlich auch hergeben. Aber sie sind nicht so schlicht, wie wir nach den drei Alben vermutet haben. Die Thermals geben jedem Stück live eine besondere Note, spielen astrein griffig auf die Zwölf und haben alle auf ihrer Seite. Sie sind die Weezer des Haldern Pop 2009. Eigentlich haben wir die vermisst, aber die Thermals haben ein berauschendes Drei-Minuten-Pop-Songs-Konzert gespielt.
Time for a break. Andrew Bird war zwar fest eingeplant, aber die Kraft muss noch reichen. Wir sehen noch die letzten vier Stücke, die nicht überzeugen können. Zu ruhig für diese große Bühne.
“They're gonna build a new dimension
And make a soundtrack of our lives”
Was soll ich schreiben? Nach Dekaden des Predigens und über zwanzig Jahren Supporting seit Union Carbide, kann man natürlich nicht objektiv sein. Es handelt sich bei The Soundtrack of our Lives unstreitig um die beste Band der Welt. Dies wird manifestiert in einem unnachahmlichen und leidenschaftlichen Auftritt, perfekte Rockmusik und perfekte Posen. Die Band hat Lust zu rocken und hat die Set list entsprechend ausgerichtet. Alle Stücke erhalten etwa 1-2 Minuten extra time um zahlreiche Soli und Passionen der großartigen Individuen dieser Band zu integrieren. Jeder Einzelne wäre sein Geld wert. Ebbott hat in einem Interview gesagt, er könne natürlich morgen ein gutes Soloalbum aufnehmen, aber es wäre nichts im Vergleich zu dem, wozu diese Band im Stande ist. Da alles rockt, fällt es mir leicht, zunächst die Fassung zu halten, ich registriere aber drei Männer neben mir einen Seelenverwandten, der bei „Believe I’ve found“ hemmungslos lachte und weinte. Ian Pe rson hat richtig Spaß und besticht durch ausgezeichnete Rock’n’Roll-Posen, Mattias Bärjed ist nachhaltig sprunggewaltig und spielt die Guitarre auf dem Rücken, Frederick Sandsten an den Drums erinnert mich heute zum ersten Mal an den Vater eines dänischen Freundes. Nach dem wunderbaren Nick Drake Cover „Fly“ (man höre bitte beide Versionen mal nacheinander) kommt eines der besten Stücke des aktuellen Doppelalbums „Communion“, nämlich „Second Life replay“. Musik kann nicht gehaltvoller und gediegener sein, um dann zu einem so wilden Ausbruch von Emotionen zu führen. „Jehova sunrise“ ist der ungewöhnliche und schöne Abschluss einer fabelhaften Rockpredigt.
Set list
Babel on | Universal stalker | Instant repeater 99 | Thrill me | Big time | Fly | Second life replay | Believe I’ve found | Dow Jones Syndrome | Flipside | Sister surround | Jehova sunrise

Hamburg Calling
The Soundtrack of our Lives sind für die Mehrzahl nur die merkwürdige Rockzwischenstation vor den HipPoppern Fettes Brot. Wir haben auch erstaunlicherweise nach diesem großen Tag alle noch Bock drauf. Und werden belohnt. Heute nur Hits. Als die wunderbaren Bläser für „Jein“ einsetzen ist nach fünf Sekunden alles klar. Es funktioniert alles wie bei den Ärzten: Großer Charme erzeugt große Sympathie. Da ändern auch Bettina und Emanuela nix dran. Bis alle schwulen Mädchen richtig müde sind.
Danach soll es nochmals ins Spiegelzelt gehen. CMÖ will unbedingt zu Health, kann aber kaum noch sprechen, MOS will auf keinen Fall, kann auch kaum noch sprechen. Soll ich’s wirklich machen oder lass ich’s lieber sein? Ich gehe mal kurz mit. Health machen Avantgarde-Elektro-Rock-Krach, in den ersten zwei Stücken mit der Betonung auf Krach. Es sitzen Wiener mit am Tisch im Spiegelzelt. Es ist drei Uhr morgens und ich lass es lieber sein.
So, nun freue ich mich sehr auf den „deutschen Herbst“ mit den neuen Alben von Herrn Distelmeyer, Ja, König und Die Goldenen Zitronen und den dazugehörigen Livepräsentationen in Köln. Diskurs, Diskurs!
Ewing
-Serienstar -

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