I Zimbra

von Alan Lomax  -  10. März 2009, 13:45  -  #Konzerte


”I hate people when they are not polite”, sang David Byrne mit seiner unvergesslichen Band den Talking Heads in den Achtziger Jahren.

 

Bret Easton Ellis hat Byrne’s Songzeile “And as things fell apart / Nobody paid much attention” quasi als Motto für sein Jahrhundertroman “American Psycho” verwendet.

 

Und im Gegensatz zu vielen Punkbands der frühen Achtziger Jahre, haben die Talkings Heads ihre Wut nicht einfach nur rausgebrüllt, sondern gekonnt neue Elemente in ihre Kunst einfließen lassen. Denn auch der Funk, afrikanische Beats und amerikanische Urmusiken wie der Rhythm and Blues und die Country-Musik beinhalten viele Möglichkeiten der aggressiven und ironischen Ausdrucksform. Selbstverständlich für zeitgenössische Popmusik, zu der damaligen Zeit aber ehr selten verwendet.

 

Somit sind die Talking Heads und insbesondere der Oberkopf David Byrne von einer großen musikhistorischen Bedeutung und von einer noch größeren zeitgenössischen Relevanz. Insbesondere zu Zeiten von Bands wie „Vampire Weekend“, „Clap Your Hands And Say Yeah“, den „Foals“ oder „Arcade Fire“, die sich eindeutig und offen zu den „Talking Heads“ bekennen.

 

An einem verregneten Montagabend in Düsseldorf scheint das erstmal anders zu sein!

 

David Byrne startet hier gestern Abend seine Europatour, die unter dem Titel “Songs of David Byrne and Brian Eno“ läuft.

 

Ein ehr missverständlicher Titel, den Brian Eno ist nicht anwesend, auch spielt David Byrne weniger gemeinsame Stücke, als klassische Talking Heads Songs.

 

Die anfängliche Akzeptanz des Publikums ist daher auch extrem gering. In doppelter Hinsicht: Der Saal der Tonhalle ist zu 60 % leer und die erste halbe Stunde lässt vermuten, dass es ein Fehler war zu den 40% des doch noch gekommen Publikums zu gehören.

 

Der Sound ist fürchterlich, David Byrne wirkt nervös und fahrig, das Publikum ist passiv und die ganze Veranstaltung wirkt extrem obskur.

 

Mit dem Eröffnungssong der unvergessen Scheibe „Fear of Music“, „I Zimbra“ von 1979 öffnet sich nach einigen mäßigen Songs, ein Türchen der Hoffnung. Sofort sind alte Erinnerungen geweckt und der Song wurde weites gehend in dem original Arrangement vorgetragen. Zu meiner großen persönlichen Verwirrung trugen aber die nun auftretenden Tänzer bei.

 

„Ich weiß nicht, wieso ich euch so hasse, Tanztheater dieser Stadt.“ sangen Tocotronic vor einigen Jahren wahrheitsgemäß!

 

Im weiteren Verlauf des Konzertes passierte Merkwürdiges. Obwohl David Byrne mit seiner famosen Band (Schlagzeug, Percussion, Bass, Keyboards, 3 Sänger) einige echte Talkings Heads Klassiker wie „Heaven“ spielte, rührte sich im Publikum nichts. Hin und wieder konnte man ein Kopfzucken sehen oder eine wippende Schulter.

 

Wie eine Initialzündung funktionierte dann aber das furiose Crosseyed & Painless. Die Textzeile:

 

“Im still waiting...Im still waiting... The feeling returns/whenever we close out eyes Lifting my head/looking around inside” stellte sich wie eine Wand der Drohung vor das Publikum und von einer Minute zu anderen fühlte man sich in dem besten Musikfilm aller Zeiten versetzt. “Stop Making Sense” aus dem Jahre 1984!

 

Der Song Crosseyed & Painless bildet in dem Film den Schlusspunkt. Man sieht das Publikum im Saal hemmungslos tanzen. Man sieht einen kleinen farbigen Jungen der ein Einhornkuscheltier in die Kamera hält. Man sieht die Crew hinter den Kameras, wie sie Arm in Arm zu dem unglaublich mitreißenden Beat euphorisch tanzt. Glaubt mir genauso war es gestern in der Tonhalle. Es war famos und ich fühlte mich ins Jahr 1983 versetzt, als während drei Talking Heads Promotionkonzerte  der Film gedreht wurde.

 

Kleiner Einschub

 

Ich habe in den Achtziger Jahren in Hannover gelebt. Zu der Zeit gab es in der 14. Etage des Anzeiger Hochhaus unter einer schönen Kuppel das Hochhaus Kino.

 

Das Kino ist atmosphärisch mehr als außergewöhnlich gewesen. Von 1986 – 1989 lief in diesem Kino an jedem Donnerstagabend ab 22:00 Uhr der Talking Heads Film „Stop Making Sense“. Wir haben den Film dort ca. 20 – 30 gesehen! Das ist keine Übertreibung, sondern kann nachgewiesen werden. Der Film war unsere Religion, unsere Definition von moderner Musik und kultistischer Verehrung für die Musiker.

 

Bemerkenswert, dass dieser Film und auch die Musik der Talking Heads für mich damals so was wie ein Orakel bzw. eine Vorhersehung  war. Musikalische Verschmelzung verschiedener Musikstile und alles anzunehmen, was musikalisch ernsthaft ist, unabhängig des Stils oder des Genres, war somit meine persönliche Forderung an die Zukunft, die ich auch weites gehend eingehalten haben und immer wieder predige.

 

Die Talking Heads sind somit die wichtigste Band meines Lebens und das Konzert „Stop Making Sense“ meine Bibel für die Haltung und Leidenschaft zur Musik! 

 

Nach der anfänglichen Verwirrung, entwickelte sich sensationelles Konzert. Das Düsseldorfer Publikum war leidenschaftlich am Tanzen und auch die Band, sogar der Sound wurden sicherer und besser.

 

Selbst die verwirrenden Einlagen der Tänzer fügten sich zu einem Gesamtbild. Zu den 3 Sängern stellten sie eine wunderbaren Kontext dar, wenn nicht sogar so was wie ein konzeptionell perfektes künstlerisches Gesamtbild.

 

Die ganze Band, Bryne und die Tänzer waren komplett in Weiß gekleidet. Man könnte das als anderswohin tragen, als Metapher verstehen. Als Entschuldigung Byrne’s für das Spielen der alten Lieder, in dem Bewusstsein, dass er damit die (mit-)wichtigsten Songs der Weltgeschichte geschrieben hat. Vielleicht liegt die Bedeutung aber auch hier:

 

Gadji beri bimba clandridi

Lauli lonni cadori gadjam

A bim beri glassala glandride

E glassala tuffm I zimbra

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