Gewalt – Doppeldenk (Clouds Hill VÖ:04.10)

von Alan Lomax Rick Deckard Blog  -  18. Oktober 2024, 09:53  -  #Gewalt, #Kulturblog, #Plattenkritik, #Popkultur

Gewalt (Foto: Niklas Soestmeyer)

Gewalt (Foto: Niklas Soestmeyer)

Gewalt zerreißen den Spiegel der Gegenwart – und in den Scherben finden wir die Wahrheit.

Von Alan Lomax

Gewalt sind keine Band, die sich anpasst. Gewalt reißen auf. Sie schlagen ein, wie ein Blitz, der mitten in die glänzende Fassade der glattgebügelten Musiklandschaft fährt. Ihre Klänge sind kein Produkt für die Masse – sie sind ein scharfes, ungeschöntes Statement, das in einer Zeit der Belanglosigkeit verstört und aufwühlt. Ihre Musik fühlt sich an wie ein Graffiti, gesprüht in der tiefsten Ecke einer verlassenen Stadt – unsichtbar für die meisten, aber für jene, die es finden, ein Schlag ins Gesicht. Diese Band ist kein Kompromiss, sie ist ein radikaler, roher Ausdruck, den nur die wenigen Auserwählten verstehen. Doch wie bei jeder großen Kunst, bleibt auch Gewalt nicht im Verborgenen. Der Funke, der in den Schatten zündete, entfacht nun ein Feuer, das immer mehr anzieht. Was einst den Eingeweihten vorbehalten war, ist jetzt auf dem besten Weg, Legende zu werden. Doch statt sich anzupassen, brennen Gewalt nur heller, heftiger, unaufhaltsam.

Doppeldenk“, der Titel ihres neuen Albums, passt perfekt in diese Zeit des unaufhaltsamen inneren und äußeren Widerspruchs. In einer Welt, die von schneller Befriedigung und algorithmischem Konsum geformt wird, bleibt Gewalt standhaft und treu ihrer Kunst, die keine Rockstarträume nährt, sondern das Scheitern als tiefste Form des Schaffens begreift. Patrik Wagner, die Stimme und das Herz von Gewalt, lässt keinen Zweifel daran: „Die Welt ist verrückt – und wir sind ein wunderbarer Spiegel des Mists.“ Helen Henfling die gleichberechtigt und ebenso genial an seiner Seite ist bleiben Gewalt ein Symbol der Unbeugsamkeit inmitten der Entmenschlichung einer überreizten, gleichgültigen Gesellschaft.

In Zeiten, in denen Musik als Kunst an Bedeutung verliert und nur noch als schneller Konsum dient, setzen Gewalt ein Zeichen. Der tiefere Blick auf das Werk und die Auseinandersetzung mit der Substanz verflüchtigen sich. Doch mit Gewalt bleibt der Mythos des Klangs lebendig. „Doppeldenk“ fordert uns auf, sich der Härte, der Wut und der Unnachgiebigkeit zu stellen. Dieses Album ist kein leicht verdauliches Produkt, sondern ein Angriff auf die Bequemlichkeit derer, die sich in endlosen Playlists verlieren. Wie ein Graffiti, das in der Dunkelheit gesprüht wird, bleibt es unausweichlich präsent, es verändert das Bild der Mauer und zieht die Blicke derer an, die bereit sind, sich auf diesen verstörenden Klangkosmos einzulassen.

Die Band befindet sich in einem Zustand ständiger Transformation, und trotz des Abgangs von Bassistin Jasmin Rilke bleibt der Kern bestehen. Wagner und Henfling führen die Vision weiter, unverändert in ihrer Entschlossenheit, etwas Neues, etwas Entschlossenes aus dem Widerspruch zu schaffen. „Wir werden daran scheitern,“ sagt Wagner, „so geht große Kunst.“ Es ist dieser Akt des Scheiterns, der Gewalt zu einer Band macht, die mehr ist als nur Musik. Sie sind eine Reflexion, ein Spiegel der Zerrissenheit der Gegenwart.

In „Doppeldenk“ vereinen sich alle Elemente des Scheiterns und des Trotzes. Der Titel selbst fordert das Denken in Widersprüchen – eine Konfrontation mit der absurden Doppelmoral, die die Welt durchzieht. Gewalt scheinen zu sagen: Seht her, die Welt zerbricht an ihrem eigenen Spiegelbild, doch in diesem Bruch liegt die wahre Schönheit. Der Hörer wird hineingezogen in einen Strudel aus dröhnenden Bässen und verzerrten Gitarren, die nicht nur für den Moment existieren, sondern Narben hinterlassen – Narben, die Erinnerungen schaffen und schmerzen.

Inmitten all dessen erinnern Peter Heins Worte auf dem Family 5 Album „Was zählt“ daran, was in der gegenwärtigen Popkultur so oft fehlt: „Von den guten Zeiten / Wird gern viel erzählt. / Viele tun so / Als hätten sie es erlebt / Als wüssten sie genau / Woran es gerade fehlt. / Als hätten sie der Zukunft Hebel umgelegt.“ Es ist diese Haltung, dieses Festhalten an dem, was noch da ist, dass Gewalt unaufhaltsam durch ihr Werk tragen. Sie sind keine Band, die nach hinten schaut und die Nostalgie der Vergangenheit feiert – sie sind der Spiegel einer verrückten Welt, die ihre eigene Absurdität reflektiert, während sie sich vorwärtsbewegt, immer vorwärts, in das Chaos, das uns alle umgibt.

„Doppeldenk“ ist nicht einfach ein Album, es ist ein Schlachtfeld. Gewalt kämpfen gegen den Strom einer Gesellschaft, die nichts mehr zu spüren scheint, die sich in Gleichgültigkeit verliert. Doch in der Dunkelheit des Scheiterns, in der Widersprüchlichkeit des Seins, finden Gewalt die wahre Bedeutung von Kunst. Es gibt keinen leichten Ausweg, keine sanften Töne. Stattdessen konfrontiert „Doppeldenk“ mit der brutalen Wahrheit: Die Welt ist verrückt, und Gewalt sind der Spiegel, der diesen Wahnsinn einfängt – und gleichzeitig das Fenster, durch das er betrachtet werden kann.

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