Attic Ocean live in Düsseldorf 11. Oktober 2024 & Release EP RETRIEVER
Freitagabend in Düsseldorf, ein unscheinbarer Club, doch was sich an diesem Abend auf der Bühne entfaltet, könnte als Beginn einer neuen Ära in der deutschen Musiklandschaft gelten. Attic Ocean, eine junge Band aus NRW, die bereits mit ihrer Debüt-EP „the heavy blue and then after“ Aufmerksamkeit erregt hat, präsentiert sich als mehr als nur eine vielversprechende Hoffnung im Shoegaze-Revival. In einer Szene, die oft von britischen Vorbildern wie Slowdive und My Bloody Valentine dominiert wird, wagt es Attic Ocean, der deutschen Musiklandschaft ihren eigenen Beitrag zu liefern – und das nicht ohne Erfolg.
Shoegaze, ein Genre, das in den späten 80ern und frühen 90ern seine Blütezeit erlebte, wurde oft als „the scene that celebrates itself“ bezeichnet – eine Musikrichtung, die sich durch dichte, verschachtelte Gitarrenklänge, Reverb-getränkte Melodien und eine fast introvertierte Bühnenpräsenz auszeichnet. In Deutschland fand dieser Sound lange Zeit keine wirklich einheimische Entsprechung. Doch mit Attic Ocean könnte sich das ändern.
Die Band, umgeben von einem Hauch Nostalgie, taucht tief in die ätherischen Gefilde ein, die so charakteristisch für das Genre sind. Die Wände des Clubs vibrieren, als die Band ihre Setlist mit einem passenden Sample aus Sofia Coppolas Lost in Translation eröffnet. Sofort wird eine emotionale Verbindung zur Ästhetik des Films und zum Shoegaze-Genre hergestellt: diese sanfte, zurückhaltende Schwere, die auf eine innere Leichtigkeit hinausläuft – ein gemeinsamer Nenner zwischen Coppolas Film, dem Genre und Attic Ocean.
Die Gitarrenarbeit – so essentiell für Shoegaze – steht im Zentrum des Abends. Attic Ocean webt ein engmaschiges Netz aus langsam anschwellenden Akkorden und Rhythmen, während Hanni’s sanfte, fast geisterhafte Stimme darüber schwebt. Es ist dieses subtile Spiel mit Intensität und Zurückhaltung, das den Sound von Attic Ocean so spannend macht. Ein Wall of Sound, wie man ihn von den Meistern des Genres kennt, wird erzeugt – jedoch mit einer erkennbaren Eigenständigkeit, wie sie nur Bands gelingt, die mehr sind als Epigonen. Sie schaffen es, mit klarer Vision als Vorreiter einer neuen Generation zu wirken.
Besonders hervorzuheben ist die bemerkenswerte Gitarrenarbeit. Shoegaze lebt von Schichten: Gitarrenschichten, die sich übereinanderlegen und einen hypnotischen Klangteppich schaffen. Doch anstatt in den typischen Sumpf der Distortion abzurutschen, zeigt Attic Ocean eine feine Raffinesse. Die Gitarren bauen sich behutsam auf, während im Hintergrund eine stetig wachsende Spannung spürbar ist. Dieses dynamische Spiel taucht tief in die Tradition des Genres ein, ohne rein nostalgisch zu wirken.
Songs wie „Lilies and Sea“ und „Glow“, die eindeutig in der goldenen Ära des Shoegaze verwurzelt sind, führen die Zuhörer in eine Klangwelt, die sowohl weich als auch überwältigend ist. Der Bezug zu Slowdive ist offensichtlich, doch wo viele Bands in reiner Nachahmung verharren, bringt Attic Ocean eine eigene Note ein. Die langsamen, atmosphärischen Gitarren, die zuweilen an die entrückte Klangwelt von My Bloody Valentine erinnern, strahlen eine subtile Eleganz aus, die weniger durch Lautstärke als durch emotionale Tiefe und einen Hauch Pop besticht – wie bei Young Again.
Rachel Goswell von Slowdive hat einmal gesagt, dass es beim Shoegaze „nicht nur um Sound geht, sondern um das Gefühl, das durch diesen Sound transportiert wird.“ Genau das trifft auch auf Attic Ocean zu. Ihre Musik wirkt oft introvertiert, zieht den Zuhörer jedoch immer tiefer in eine tranceartige Welt aus Klang und Atmosphäre. Es ist ein Sound, der Zeit braucht, um sich zu entfalten – und genau darin liegt seine Kraft.
Als das Konzert euphorisch bei Publikum und Band als Geburtstagparty mit Kuchen endet, bleibt der Eindruck, dass Attic Ocean mehr ist als nur eine weitere Band, die auf der Shoegaze-Welle mitschwimmt. Sie bringen eine Frische und ein Verständnis für das Genre mit, das in Deutschland bislang gefehlt hat. Ihre Musik ist introspektiv, träumerisch und gleichzeitig intensiv.
Attic Ocean könnten die Lücke füllen, die in der deutschen Musikszene für Shoegaze-Fans lange Zeit existierte. Ihr Konzert in Düsseldorf war ein überzeugender Beweis dafür, dass diese Band das Potential hat, weit über die Landesgrenzen hinaus Aufmerksamkeit zu erregen. Man kann nur hoffen, dass sie diesen Weg weitergehen – denn Deutschland könnte endlich seine eigene, ernstzunehmende Shoegaze-Band gefunden haben.
Aus Tokyo und Düsseldorf Alan Lomax
Attic Ocean haben am 11. Oktober 2024 ihre EP RETRIEVER veröffentlicht. Das digitale Album kann unter atticocean.bandcamp.com für 5 € erworben werden.