Gedanken zur ARD-Doku über die Hamburger Schule - Und unsere Leidenschaft ist Ihnen rätselhaft bzw. weshalb wir in diesem Satz gefangen sind und sein sollten!
Das deutsche Fernsehen beschäftigt sich seit einiger Zeit intensiv mit dem Versuch, in Dokumentationen den deutschen Pop und Identitäten zu erklären. Eine zweiteilige Dokumentation (NDR) über die Geschichte der einflussreichen Hamburger Musikszene soll faszinierende Einblicke liefern. Die Chronik einer totgeglaubten Subkultur: „Millennial Punk“ (SWR) will in vier Teilen erklären, dass die Punk-Bewegung nicht in den 90ern endete, sondern weiterhin politisch und wichtig ist.
Es gibt weitere Beispiele in den Mediatheken zu finden. Der NDR erklärt uns Zuschauern, wie sich Hip-Hop auf die deutsche Gesellschaft spiegelt. Und in dem Film „Electronic Vibrations“ wird uns vermittelt, wie sich im Zentrum Düsseldorf, die elektronische Musik im Geist der Avantgarde entwickelt hat.
Auch die Verlage geben dem Produkt Popkultur der liberalen Gesellschaft eine neue Chance für bisher Desinteressierte. So hat Kiepenheuer & Witsch dieses Jahr das Buch „Wir waren hochgemute Nichtskönner“ über die rauschhaften Jahre der Kölner Subkultur 1980 – 1995 herausgebracht.
Popkultur hatte und hat in der deutschen Gesellschaftsgeschichte einen schweren medialen Stand. Die Formung der Subjektivität, ohne politische Ausrichtung und das leidenschaftliche Hören und Sammeln von Musik, der stetige Kampf gegen Eltern und ältere Geschwister sowie andere Musiker und Liebhaber, sowie Selbstgelehrte, die Popmusik zu Beginn der 1950er noch nicht verstehen konnten und in den 1960er und 1970er bereits als ideologischen Bruch und politische Gegenkultur verstanden haben, war nicht immer einfach. Denn natürlich wurde das Thema Popkultur erst nur in Verzahnung mit anderen Fachdisziplinen verstanden, bevor ab ca. 1990 (bei einigen früher, siehe Ende des Textes) eine neue Zugänglichkeit von popkulturellen Erzeugnissen entwickelt wurde: Deutsche Fanzines eroberten unser Herz, einschlägige Musikzeitschriften berichteten auch mal über neue Bands aus England und den USA, wir wussten, dass es MTV gab, hörten Radio, die Popkomm lag in der Wiege, VIVA folgte, SPEX war wichtig, Intro auch usw.; …wir kennen das alles. Und es wurde ja auch unsere Welt. Eine Welt, in der wir nur die zugelassen haben, die ähnlich denkend und lebend waren. Oder die, wie es dann heute oftmals so ist oder sein musste, wie uns das heute anderen beschrieben wurde oder dann später, wie in dem aktuellen Fall, (ver-)erklärt wurde.
Dass so intellektuelle und emotionale Divergenzen und ja auch persönliche Affronts entstehen, ist mehr als logisch und nachvollziehbar. Insbesondere wenn Neid, vorgeworfene Unwissenheit und fehlende Authentizität vorgeworfen wird.
In unserer Zeit wurde auch das Wort „Indie-Polizei“ geprägt. Denn die ganzen Szenen und Musikgenres, die sich weitestgehend im Segment bzw. dem Genre Independent/Alternative Musik angesiedelt hatten, waren maßlos arrogant, intolerant und anmaßend. Dafür gibt es zig belegbare subjektive und persönliche Beispiele und erlebte Geschichten. Einige sind geblieben, können bei grenzwertigen popkulturell agierenden Popliteraten nachgelesen oder eben faktisch erforscht, zitiert und reflektiert werden. Dass diese Geschichte(n) nun aufgearbeitet werden und der Generation X im guten alten Medium Fernsehen zur Verfügung gestellt werden, damit konnte keiner rechnen. Zu der NDR „Hamburger Schule“ Dokumentation werden aktuell hitzige Diskussionen auch bei Facebook geführt (ja, Facebook gibt es noch und scheinbar sind alle Protagonisten, Stakeholder und Begleiter der Szene dort noch sehr aktiv vertreten). Was für die Emotionalisierung der Boomer Generation spricht, die eine schwer kurz beschreibende Personas bzw. Typologie ist und in diesem Bericht thematisch ausgeklammert wird.
Regisseurin Natascha Geier hat sich bei der Verzahnung der Popgeschichtsbeschreibung „Hamburger Schule“ der persönlichen Sicht verschrieben. Dabei geht sie höchst subjektiv vor, da sie (NDR) „ihre Uni-Zeit im Umfeld der Hamburger Schule verbrachte und sich in den 90er Jahren die Nächte in denselben Hamburger Underground-Clubs um die Ohren schlug, in denen sich auch die Szene traf“. Ob diese Schule für eine zuträgliche Beweisführung der Hamburger Schule als popkulturelles Phänomen ausreicht, müssen andere beantworten, ich bin hier nicht der Herbergsvater.
Die Wahl der Erzählweise bzw. des Konzeptes für so eine Dokumentation ist aus diversen Gründen nachvollziehbar und richtig: Popkulturelle Phänomene und Zeiten müssen aus einer persönlichen, dokumentarischen Weise erzählt werden. Ansonsten wird so ein Programm schnell ein Uni-Vortrag, der sich auf zeitgenössische Quellen beziehen muss. Diese sind aber auch begrenzt, denn der Zugang zu popkulturellen Erzeugnissen aus dem Printbereich ist alles andere als optimal in unseren Städten vorhanden. Ich selbst bin an zahlreichen Versuchen gescheitert, Archive zu finden, die z.B. Fanzines der neunziger Jahre archiviert haben. Der Grund: Fanzines sind prekär und häufig aus eigener Tasche finanziert worden und städtische Sammlungen haben diese wichtigen Zeitschriften damals nicht als Teil ihres Auftrages verstanden. Dabei war die deutsche Fanzine-Kultur immer ein wichtiger analoger Multiplikator und hatte zudem die Influencer-Funktion heutiger Sozialer Medien für A&R Manager bei den großen sog. unabhängigen Plattenfirmen, die aber auch meist nur ein Vertriebszweig der A-Major-Konzerne waren.
Natascha Geier nimmt also für ihre Dokumentation das Material, das sie im NDR-Archiv findet. Auch wenn Sie die Doku noch nicht gesehen haben, können Sie sich vorstellen, wie ein Bericht des NDR im Vorabendprogramm über die Band Tocotronic 1994 heute wirkt. Oder wie King Rocko Schamonie bereits in den späten 1980er seine Kunstfigur fertig erschaffen hatte und irgendjemand das auf Film festgehalten hat. Das wirkt auf Unwissende heute eher seltsam, wenig artifiziell. Zudem werden sich Menschen Fragen, die überhaupt nichts mit diesen Themen zu tun gehabt haben, was daran, also für heutige Tage, nachhaltig geltende Kunst sein soll?
Natasha Geier wird darauf reagieren und wahrscheinlich sagen, dass sie insbesondere bei Rocko Schamonie den Subkontext, Studio Braun, Literatur und die Metaebene Daniel Richter und im Zusammenhang mit den Goldenen Zitronen erklärt. Das stimmt! Aber es gelingt ihr leider nicht, die Kunst, die Botschaft, die Nachhaltigkeit und Wichtigkeit auf die deutsche Subkultur, bis hin zu diesem Text (um auch mal anmaßend zu sein*) zu übertragen. Weil es eben unmöglich ist, wenn man keine Verweise und Kontexte findet! Insbesondere Popkultur und -musik baut sich immer auf vorhandene Kunst auf und entwickelt sich modular weiter. Das war bei der Erfindung des Blues so, beim Jazz und selbst der Punk, Manchester Rave oder Seattle waren Blueprints von Vorhandenem. Die Kunst einer popkulturellen Reportage kann es dann eben nur sein, diese Zusammenhänge zusammenzubringen. Aber benötigt das noch jemand? Haben wir uns diese Gedanken damals und heute nicht bereits längst gemacht? Haben nicht alle Profijournalisten und wir Stuntschreiber alle Raster und geheimwissenschaftliche Musiksoziologischen Untersuchungen besprochen, niedergeschrieben und für beendet erklärt?
Und haben wir nicht von Jochen Diestelmeyer gelernt, dass Prefab Sprout die beste Band aller Zeiten ist und von Bernd Begemann, dass doe „Wichita Lineman“-Coverversion von ihm und Dirk Darmstaedter (wer ist das nochmal) der beste in Deutschland jemals gesungene Song ist? Haben wir nicht längst beschlossen, dass der Tocotronic „Drüben auf dem Hügel“ ein Manifest ist und das Leben kaum besser sein kann, wenn man an einem Freitagabend auf dem eigenen Balkon sitzt, Bier und Wein trinkt und mal wieder feststellt, dass es sowieso niemals was Besseres, herzergreifenderes und unterhaltsameres als Superpunk geben wird?
Und an der Stelle wird es schwer, als Leser mit eigener Meinung zu bestehen, da er gegen den Text, der hier steht, nicht ankommt. Nun lesen diesen vielleicht ein paar Hundert gute Leute und Frau Geier schauen vielleicht auch nur ein paar Tausend mehr zu. Oder sind es Millionen? Ups, liegt hier tatsächlich eine Relevanz des Kanals, der Glaubwürdigkeit, der Metaebene und der Popularität vor, die aus dem Thema dann einen neuen Diskurs macht? Oder wird dieser Text nur von Leuten gelesen, die jetzt bei Facebook ihr Profilbild ändern und „Ich bin die Indie-Polizei“ darunterschreiben und Popkultur sich längst im Meta-Meta-Meta Diskurs befindet und das Fernsehen per se und eh und für immer abgeschafft wird?
„Insofern ein Lob, der Text ist subjektiv, bringt eine Meinung und diskursfähige Aspekte ein und transportiert emotional wie sachlich verpackte Sichtweisen, die der medialen Popgeschichte im Jahr 2024 Rechnung tragen. Die Geschichte und Verbreitung von Popkultur in Deutschland sollte jedoch weiter erforscht und publiziert werden. Denn durch Diskurse entsteht ja auch immer wieder ein Diskurs.“ Chat gpt über diesen Text und meine Gedanken
*Kurzer persönliche Anmerkung des Autors an Bernd Begemann: Lieber Bernd, dass Du in der Dokumentation nur am Rande erwähnt wirst, ist der Hauptgrund und die Basis, für die Diskussion die aktuell stattfindet. Neben allerlei lustigen Kommentaren von selbsternannten Komikern, dass alleine zeigt doch Deine Relevanz für Deinen sehr großen Teil des Beitrags an diese Zeit mit Deiner Musik und Deinem Entertainment, oder? Fühl Dich geehrt! Ich persönlich finde, dass Du der Godfather der Hamburger Schule bist. Wenn diese so einen überhaupt benötigt hat. Viel wichtiger ist, dass Du immer als sehr freundlicher, mit allen sprechender und jeden Schulzeitungsredakteur, für ernst genommen hast und so vermittelt hast, dass dieses ganze Popstargehabe nur auf der Bühne stattfindet. Wirklich andere aus Eurer Stadt, haben sich da durchaus konsequent unfreundlicher, arrogant und weniger kooperativ gezeigt. Carsten Friedrichs der ebenso wie Du auch immer Fanboy geblieben ist, schreibt zurecht in Facebook: „Ich finds auch gemein, dass Du in der Doku nicht vorkommst. Du warst ja der erste Star der Szene und hast alle, meinem Empfinden nach, immer sehr unterstützt, ermutigt und inspiriert. (…)“ zusamengefasst: ...und genau deshalb fehlst Du hier in dieser ARD Mediathek! Wir fordern einen Re-Launch von "Bernd im Bademantel"
Heute NEU! …wählen Sie selbst, Epilog 1 oder Epilog 2 für sich: Objektiv oder Subjektiv?:
Epilog 1
Insofern ein Lob an den Autor, an die Regisseurin und die handelnden Figuren der Hamburger Schule. Sie hatten nie den Auftrag, authentisch, „echt“ und „pop“ zu sein. Sie wollten nur Spaß und ein anderes Leben haben. Mal schauen, wie die popkulturellen Aspekte in Deutschland bis 2040 werden. Vielleicht gibt es dann eine neue Szene. Die Popkultur und der Diskurs bleibt.
Epilog 2
Aber wir „alle“ in dem Kontext, egal, ob Hamburger Schule oder Millennial Punks, oder, oder, oder… alle hielten sich und halten sich für etwas Besseres. Die bittere Erkenntnis und Wahrheit ist, dass das, was war, nicht mehr da ist. Was mich am meisten beschäftigt, ist, dass fünfundzwanzigtausend müde Knochen zu neuem Leben aufgepumpt werden, dass ich das, was ich haben will, nicht bekomme und das, was ich bekommen kann, mir nicht gefällt. Und natürlich, dass UNSERE LEIDENSCHAFT IHNEN RÄTSELHAFT IST.
Aus dem Mitternacht (1988) in St. Pauli, wartend auf einen Freund, der mich aus Hannover mitgenommen hat, um die finnische Band Melrose zu interviewen, die ein Jahr vorher von Legende John Peel entdeckt wurde und die wir für unser gerade gegründetes Fanzine zu interviewen. Während ich mit hochrotem Kopf und dem Fotoequipment vor der Herbertstraße stehe und mich so gar nicht cool fühle, in der kommenden Hamburger Schule oder was auch immer. Später aber immer mit Gedanken an diese tolle Stadt, die viel mehr zu bieten hat als nur eine Schule, mit sehr, sehr netten Schülern und Schülerinnen. Andere Mütter haben auch schöne Töchter, hat mir mal ein betrunkener Kollege in der Kneipe „Bei Rosi“ auf dem Kiez gesagt. Genau….
Alan Lomax
24/7 = 3,42 - Die Sterne - www.lomax-deckard.de
'Die Sterne' wurden bei mir das Tor zur PoP Musik, als ich vor 42 Jahren mit Mr. Lomax und Mr. Ewing ein Konzert von denen im Rheinland besuchte. Diese Band sagte mir auf Anhieb zu und später als ...
http://www.lomax-deckard.de/article-24-7-3-42-die-sterne-47263940.html
Auch eine Meinung! Kollege Rick Deckard zu dem ganzen Bums aus Hamburg aus dem Jahr 2010!