So ist der Film Oppenheimer von Christopher Nolan
Christopher Nolans Filme sind in jeder Hinsicht intellektuell anspruchsvoll. Sie regen zum Nachdenken an, und Zuschauer müssen die Motive des Filmemachers entschlüsseln, um sein Werk zu verstehen, dabei darauf achten, nicht von filmischen Techniken abgelenkt zu werden. Ein Nolan-Film sollte daher stets zweimal gesehen werden, bevor eine subjektive Meinung gebildet wird.
Wie bei allen großen Regisseuren der letzten 100 Jahre erkennen wir bei Nolan ein Muster, das auch in seinem Film über den Physiker Robert Oppenheimer sichtbar wird. Zunächst sind da die komplexen Erzählstrukturen, dann der Realismus. Insbesondere der Verzicht auf CGI-Effekte ist bei "Oppenheimer" ein Gewinn für den Film. Die Authentizität, besonders im mittleren Teil des Films, ist hervorragend und erinnert an die großen amerikanischen Filme der sechziger Jahre.
Das Dilemma, dem Oppenheimer als wissenschaftlicher Leiter des Manhattan-Projekts gegenübersteht, bildet den zentralen moralischen Kern des Films und gleichzeitig der Biographie des amerikanischen theoretischen Physikers. Es ist vielleicht sogar die größte moralische Frage über die menschliche Natur in der Geschichte der Menschheit. Die inneren Konflikte, die Erforschung von Oppenheimers Motivation und die dargestellten inneren Konflikte, bis zur genialen Auflösung durch seine Frau (Emily Blunt) am Ende der Geschichte, sind mehr als faszinierend und einfühlsam.
Last but not least ist "Oppenheimer" ein Meisterwerk des Filmschnitts und somit State of the Art für alle Filmhochschulen der Welt für die nächsten Jahrzehnte. Nolan wurde in seinen früheren Filmen oft vorgeworfen, dass seine Erzählstruktur zu komplex sei, insbesondere die nichtlineare Erzählstruktur. Dennoch war die Montage immer sensationell, und die damit verbundene Steigerung von Spannung oder entsprechende Verringerung, um die Geschichten fesselnd und sorgfältig zu gestalten. Einzig und allein die Geschichten selbst waren oft nicht gut genug und hatten häufig keine thematischen Zusammenhänge zu all den experimentellen Elementen. Das Pacing und die Aufmerksamkeit der Zuschauer gingen verloren.
Anders bei "Oppenheimer". Hier treffen Nolans Experimentierfreude, sein Wissen über das Kino und sein gleichzeitig unglaublich offenes Denken und Toleranz zu seinen Charakteren zum ersten Mal wirklich aufeinander und machen "Oppenheimer" zu seinem bisherigen Meisterwerk.
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Die zentrale Frage des Films an die Zuschauer bleibt natürlich, ob Robert Oppenheimer ein guter Mensch war. Analog dazu ist auch Nolans Art und Weise zu antworten die zentrale Frage, denn natürlich lässt sich das nicht mit einem klaren Ja oder Nein beantworten. Oppenheimer war ein hochintelligenter Physiker, und seine Führungsrolle im Manhattan-Projekt führte zur Entwicklung der ersten funktionsfähigen Atombombe, die später über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurde.
Nun gibt es viele Kritiker, die dem Film vorwerfen, zu wenig die Sicht der Japaner und insbesondere der Opfer einzunehmen. Zu zynisch sei an der Stelle die monothematische innenpolitische amerikanische Sicht auf die Ereignisse.
Ich habe mich in den letzten Tagen mit einigen Menschen über das Thema unterhalten. Offensichtlich denkt der Mensch grundsätzlich erst einmal, dass einzig und allein Oppenheimer selbst den Stellenwert des Massenmörders hat, da er seit jeher als Vater und Verbindungsperson mit der Bombe in Verbindung gebracht wird. Ein gutes Beispiel dafür ist auch der Popsong "Russians" von Sting, der fragt: "How can I save my little boy from Oppenheimer's deadly toy?"
Es ist J. Robert Oppenheimers (Cillian Murphy) Schicksal und der Preis, den er für seine Rolle bezahlen muss. Aber ganz klar zu beachten ist, dass die Beurteilung der Moral und der Charaktereigenschaften einer historischen Person nie von persönlichen Überzeugungen, politischen Ansichten und der Zeit, in der diese Person lebte, unbeeinflusst bleibt. Und genau dieser Gegenstand ist wichtig und das, was uns der britische Regisseur mit auf den Weg gibt: Es gibt kein Schwarz und Weiß, kein Ja und Nein. Wir müssen lernen zu verstehen, bevor wir Meinungen haben.
Der fesselnde Rausch des Films macht sich bereits nach der ersten Minute bemerkbar. Eine gute Idee war es, den Film in drei Teile aufzuteilen. So erzählt Nolan im ersten Teil recht locker und fast leicht die Vorgeschichte, im Hauptteil bekommen wir die ganze sagenhafte Kraft des Ergebnisses aus Los Alamos gezeigt, bevor im Endteil der erklärende politische Teil beginnt. Nolan konnte sich so in den verschiedenen Sujets auch stilistisch austoben: Geschwindigkeiten frisieren und Szenenwechsel an die Dramaturgie der einzelnen Szenerien anpassen.
Ich könnte seitenweise über diesen Film schreiben. Zusätzlich angefangen über die Bild- und Tongewalt (Entzündung der Testbombe in Los Alamos), hin zu dem unfassbar guten Cast des Films, angefangen bei Cillian Murphy und der Rolle seines Lebens, über die immer und immer wieder wunderbare Emily Blunt, hin zu Matt Damon, der sogar in der Lage ist, als General Leslie R. Groves einige Lacher zu platzieren, bis hin zum B- und C-Cast, von Casey Affleck als Boris Pash über Josh Hartnett bis zu Gary Oldman als Harry S. Truman. Robert Downey Jr. als Gegenspieler und Bösewicht Lewis Strauss als Anwärter für den Oscar 2024 als beste männliche Nebenrolle zu erwähnen, ist bereits jetzt überflüssig.
Oppenheimer ist der große Kinofilm des Jahres 2023!
Aus Cambridge
Alan Lomax