Taylor Swift - The Weeknd
Warum kann ich nicht genau das Empfinden, was „80 000“ andere Menschen empfinden?
The Weeknd habe ich 2023 live in Hamburg gesehen, Taylor Swift auch, aber in einem Film. Als ich die Musik beider Musikschaffenden hörte, kam es zu keiner Resonanz. Es herrschte innere Stille. Keine Saite meines Gefühlsleben wurde zum Schwingen gebracht. Es passierte: Nichts.
Das ist recht ungewöhnlich, denn ich liebe Musik. Deswegen habe ich mich nach beiden Hörerlebnissen gefragt, ob es richtig ist, von der eigenen „Null-Resonanz“ auf die Qualität der Musik zu schließen? Das mag vermessen, gar überheblich klingen, denn meine Empfindung ist kein Richtwert, kann kein Maßstab für den der anderen sein, aber die Frage lässt mir keine Ruhe.
Ich habe gestern einen Konzertfilm mit Taylor Swift zu ihrer Reputation Tour gesehen. Dabei wurden immer wieder - zumeist junge weibliche Konzertbesucherinnen - gezeigt, die mit Tränen in den Augen zu Taylor Swift aufsahen, jede Textzeile kannten und frenetisch jubelten und Beifall klatschten. Ihr Idol stand auf der Bühne. Der Konzertfilm konzentrierte sich auf die Performance in Dallas, Texas. Die gleiche Beobachtung machte ich live bei dem Weeknd Konzert in Hamburg. Beide Beobachtungen spiegelte ich mit meinen eigenen Konzerterfahrungen dieses Jahr.
Popmusik hat oft eine enorm kurze Halbwertszeit, mit einem Peek in jeder neuen Generation. Die von den Konzertbesuchern gezeigten Emotionen gibt es, seitdem es Popmusik gibt und damit sind nicht nur dieses Jahrhundert oder die letzten 5 Jahrzehnte des vergangenen Jahrhunderts gemeint. Man kennt die Darbietung dieser Emotionen von Konzerten der Beatles, Elvis Presley usw.
Was mich persönlich verwunderte war die „Tatsache“, dass die Musik sowohl von The Weeknd als auch Taylor Swift so seltsam blutleer klang, seelenlos, mechanisch. Dem würden wohl Millionen anderer Menschen sofort (und wohl zurecht) widersprechen und fragte mich in diesem Zusammenhang, was die Fans von The Weeknd und Taylor Swift wohl an deren Musik fasziniert? Was ist es?
Sind es die Texte? Sind es die Darbietungen der Songs? Ist es der Inhalt in den Texten? Die Rhythmik? Der Sound? Ich fragte mich das, weil ich nach sehr sorgfältiger Beobachtung beider Konzerte zu der Auffassung gelangte, dass beide Künstler - für mich - austauschbar waren. Jede andere, jeder andere hätte die Songs singen, präsentieren können. Ich entdeckte keine Individualität, keine Ecken, keine Kanten. Alles war so seltsam „glattgebügelt“, alles klang so seltsam „glattgebügelt“.
Wenn weder The Weeknd noch Taylor Swift in der Lage waren, meine ganz persönlichen Gefühle zum anklingen zu bringen, es also zu keiner Resonanz kam, bedeutet das, dass ihre Musik keine universale Qualität besitzt, oder schlicht nur - um den legendären Satz von Danny Glover aus Lethal Weapon zu zitieren - , dass ich „zu alt für diesen Scheiss bin?“
Diesen Gedanken einmal andersherum aufgerollt: Käme es zu irgendeiner Resonanz beim Taylor Swift und The Weeknd Publikum, wenn man ihnen Yesterday von den Beatles, Jailhouse Rock von Elvis Presley oder Thriller von Michael Jackson vorspielen würde?
Was mich umtreibt, ist der Versuch zu verstehen, was Menschen an der Musik bestimmter Künstler so fasziniert, dass sie in der Lage sind riesige Stadien zu füllen? Sicherlich spielen Alter, soziale Herkunft, Bildung, musikalische Sozialisation, soziale Einbindungen im Leben, Freundeskreis, Lebenseinstellungen, Einstellungen im Allgemeinen und in heutiger Zeit sicherlich die neuen Medien eine grosse und nicht zu unterschätzende Rolle.
Aber erklären sie diese so gewaltige Resonanz auf die genannten Künstler?
Mit unglaublichem Eifer, Hingabe und großer Aufwühlung sangen die Konzertbesucher/-innen jeden Song von Taylor Swift mit und ich fragte mich warum? Weder die Melodie war verlockend, noch die Performance, alles glich einer roboterhaft durchchoreografierten Darstellung, leblos, so wie bei The Weeknd.
Mir ist von gestern Abend und von dem Weeknd Konzert nicht eine Melodie in den Ohren geblieben, noch verspüre ich irgendeinen Anreiz mir die Musik nochmals auf einer Streaming Plattform anzuhören.
Ich glaube, man muss bei Popmusikern/-innen stets ein gewisses Alter haben, um ihre Musik zu mögen, zu verstehen. Ich glaube nicht, dass es mit anderen Dingen wie Sozialisation oder Geschmack zu tun hat. Es ist vermutlich der Kick nach einem unvergleichlichen Erlebnis in einem Alter voller Illusionen.
Jede Generation, so banal es klingen mag, hat ihre eigenen musikalischen Heldinnen und Helden, es ist gar nicht so sehr eine Frage der Qualität der Musik, sondern wohl vielmehr eine Frage der Darstellung und „zur richtigen Zeit am richtigen Ort“ sein, was wiederum viel über Popmusik selbst aussagt. Sie ist populär. Populär ist sie, weil viele Menschen sie hören. Viele Menschen hören sie, weil die Musik in ihnen auf Resonanz stößt. Das tut sie, weil das Gefühlsleben der Musiker-/innen den ihrer Zuhörer-/innen gleicht.
Ich kann nicht das empfinden, was „80 000“ andere bei Taylor Swift und The Weeknd (Synonym für andere Musiker/-innen) empfinden, weil ich nicht zu ihrer Generation gehöre. Ich kann es nicht nachempfinden, weil ich aufgrund meines Alters nicht fähig bin, die Interpreten/-innen und ihre Musik zu verstehen.
Vielleicht liegt es aber auch schlicht nur an der Austauschbarkeit ihrer Musik.
Rick Deckard.