EVERY SON’S FIRST SUPERHERO IS HIS FATHER!

von Alan Lomax  -  10. Juli 2023, 07:28

Werner Jörns 22.12.1928 - 14.04.2023

Werner Jörns 22.12.1928 - 14.04.2023

(Abschiedsworte an meinen Vater; Alsn Lomax 2023)


Die Beziehung zwischen Dir und mir war nicht immer einfach. Es gab Zeiten, in denen Missverständnisse und fehlende Empathie die Bindung zwischen uns stark belasteten. Aber der Satz „EVERY SON’S FIRST SUPERHERO IS HIS FATHER!“ ist Wahrheit!
So gibt es viele schöne Erinnerung mit Dir aus meiner Kindheit und meiner frühen Jugend, z. B. wenn wir unsere gemeinsame Zeit bei Fussballspielen von Hannover 96, im Urlaub oder in unserem Wochenendhaus in Grünenplan verbracht haben. In diesen Zeiten warst Du, Du selbst und hast Dein Leben genossen.
Gemeinsam sind wir den Raabeweg ins Waldschwimmbad gelaufen oder haben uns auf Rollerskates Verfolgungsrennen auf dem Königinnen Wilhelmine Boulevard in Noordwijk geliefert.

 Dann -heutzutage kaum vorstellbar- ...wir waren in der Box von McLaren beim ersten Training, des letzten Formel 1 Grand Prix von Zandvoort in Holland 1985. Ich habe Niki Lauda vor mir gesehen und war traurig, dass ich kein Autogramm von ihm bekam. Du holtest mir dafür eins von einem jungen brasilianischen Lotus-Piloten namens Ayrton Senna.
Überall sind wir gemeinsam reingekommen. Sogar ins offizielle Trainingsquartier der deutschen Fussball- Nationalmannschaft in Barsinghausen bei Hannover. Die Mannschaft ass zu Abend. Mein Pannini Fussball Klebebuch zur WM 1978 in Argentinien war nach diesem Besuch voll mit Autogrammen. Bei einem Fussballländerspiel in Hamburg gegen Brasilien, hast Du es irgendwie geschafft mir ein Autogramm von Pele zu besorgen, mit Autogrammkarte. Ich hätte damals platzen können vor Stolz, Du Held!
Gesprochen und erzählt hast Du in meiner Erinnerung immer und permanent. Ich selbst, als kleiner Junge kam kaum zu Wort. Ich nahm es wohl so hin und fand es auch irgendwie immer lustig, das Gerede. Später war es nicht mehr so. Denn Du hörtest Dir eigentlich immer nur selbst zu.
Und wenn Du am Samstagabend richtig gute Laune hattest, unser Verein Hannover 96 am Samstag nicht verloren hatte, der Bierkühlschrank leerer wurde und die berühmte Schnapsflasche aus schwerem Ton sich einfach nicht mehr weiter leeren (obwohl die Worte „diese Flasche wird niemals leer eingraviert waren) lies, dann gingst Du gegen 21:55 Uhr in den alten Schuppen, holtest Deine alte Fanfare raus und hast den Zapfenstreich geblasen. Das war so laut, dass jeder Hirsch, jeder Fuchs, jedes Wildschwein im Mittelgebirgszug Hils, die Flucht ergriff, meine Mutter, Nachbarn und ich sich die Ohren zuhielten. Dieser -auch häufig von Dir gepfiffene Zapfenstreich- ist bekannt geworden aus dem Fred Zinnemann Film „Verdammt in alle Ewigkeit“ von 1959.
In diesem Film verkörperten Montgomery Clift und Frank Sinatra Charaktere, die mit inneren Konflikten kämpften. Trotzdem fanden sie zusammen und entwickelten eine tiefe, freundschaftliche Bindung.
Du mochtest nicht viele Filme, aber diesen schon und eben die Musik des Zapfenstreichs, die übrigens von dem deutschen Komponisten und Musiker Heinz Schachtner für den Film geschrieben wurde.
In einer Sequenz des Films, die zu einer der wahrhaftigsten Szenen der Filmgeschichte gehört, spielt Montgomery Clift den Zapfenstreich für Frank Sinatra: Angelo Maggio (Sinatra) schleppt sich blutend zu seinem Freund Prewitt (Clift). Dieser sitzt betrunken mit Sgt. Warden (Burt Lancaster) auf der Erde und lallt und singt. Beide haben Ausgang. Beide haben sich volllaufen lassen. Als Prewitt seinen schwer verletzten Freund wahrnimmt, ist er schlagartig nüchtern, eilt zu ihm und hält ihn im Arm, versucht zu ergründen, was geschehen ist. Maggio, der von Sergeant ‚Fatso’ (Ernest Borgnine) bei dessen Arrestaufsicht fast zu Tode gequält und auf der Flucht verletzt wurde, stirbt kurz darauf.
Im Morgengrauen stellt sich Prewitt auf den Exerzierplatz der Einheit und spielt ein Trompetensolo für seinen verstorbenen Freund. Ihm rinnen die Tränen hinab. Es ist eben der auch hier gleich folgende Zapfenstreich.
Ich glaube es ist mehr die Schönheit und der Ausdruck, den die Melodie verkörpert, als diese große, große cineastische Sequenz, die Du verehrt hast. Denn ein visueller Mensch warst Du nicht.

https://youtu.be/9fxH-2LnRkc

Meine Erinnerungen an gemeinsame musikalische Momente mit Dir sind ansonsten rar, dann auch schwierig. Das muss ich erwähnen, denn in Wirklichkeit hatte ich einige fürchterliche Streitereien mit Dir wegen Musik. Diese Streitereien hatte im Kern immer etwas mit dem Genre Blasmusik zu tun. Also mit Musik die überwiegend von Blasinstrumenten ausgeführt wird und meist als volkstümliche Musik für Orchester und Militärkapellen bezeichnet wird.
Zweifelsohne kann ein Jeder der Dich kannte behaupten, dass „Blasmusik“ Dein „Ding“ war. Die Bedeutung von Blasmusik ist aber in Wahrheit vielfältiger und hat in vielen Kulturen und Gemeinschaften eine lange Tradition. Und da Du

 selbst ein Teil dieser Tradition geworden bist und Du Blasmusik mehr als nur eine musikalische Darbietung verstanden hast, möchte ich Euch von diesem Teil Deines Lebens noch kurz erzählen...
Du selbst hast bereits 1951 beim Perk-Bäuerschafts- Fest in Alfeld mit einigen anderen Junggesellen und alten übrig-gebliebene Trompeten und verbeulten Hörner der Hitler Jugend einen der ersten Spielmannszüge der Nachkriegszeit in Norddeutschland gegründet und Dir selbst das Fanfare- und Trompetenspiel beigebracht. Geübt und gespielt wurden klassische Märsche, die es zweifelsohne auch bereits vor der Nazizeit und auf der ganzen Welt gab.
Aber in der kurzen Zeit nach Nazi-Deutschland, muss der Klang der Fanfaren und der 2/4 Takt der Trommeln, für viele Menschen befremdlich und furchtbar geklungen haben. Aber Lieder wie „Es raschelt’s Papier bei Stegen“, viel Alkohol, die ein oder andere kostenlose Kartoffelsuppe und die neue Lust an der Freiheit und verdiente, sorglose Gedankenlosigkeit an Politik und Schaden, lies den Fanfarenzug trotz allem machen.
Ich meine man muss sich das mal vorstellen. Der Krieg ist zu Ende, Deutschland wird entnazifiziert. Die Jungend hört Schlager, Jazz und Swing und mein lieber Herr Vater, gründet einen Fanfarenzug mit Landsknecht-Trommeln und übt mit „seinen Jungs“ in

 der Freizeit „Gleichschritt“ und „Schwenkungen“ auf einem Feld. Aus heutiger Sicht mag sich das belustigend anhören, aber wie wirkte das damals?
Wer Dich kannte, weiß, dass Du kein Nationalsozialist gewesen bist. Und auch kein Anti-Semit, kein Rassist oder gar von rechter politischer Natur. Dein Sozialdemokratischen Herz hast Du von Deinem Vater übernommen und auch an uns Kinder weitergegeben inkl. einer politisch, offenen, toleranten und respektvollen Erziehung, mit dem Credo, dass alle Menschen erst mal gleich sind....aber andere eben auch Gleicher (George Orwell).
1958, trat der Fanfarenzug unter Deiner Leitung in Deiner Stadt Alfeld das erste Mal zu Pfingsten zum sog. Freischiessen auf. Wir alle kennen die Bilder, auf denen Du als stolzer, Tambourmajor und längst bekannt als „Neger“ Jörns, die Truppe von fast 45 Musikern anführst.
„Neger“ ein in heutigen Zeiten undenkbarer Spitzname. Wenn Du diesen wenigstens für Deine Liebe zu afro-amerikanischer Musik wie z. b. Jazz oder Blues bekommen hättest. Nein, es war ein Hinweis auf Deine sehr dunkle und sonnensatte Haut. Es gefiel Dir, wenn die Leute Dich so nannten. Einfühlungsvermögen gehörte nicht zu Deinen Stärken.

 Dein Talent war es Menschen zu begeistern und sie zu unterhalten. Nicht nur mit dem „Fanfarenzug Stadt Alfeld (Leine)“, sondern auch mit Deinem Unterhaltungs- bzw. Sketchprogramm. Heute würden wir das als Comedy beschreiben. Sogar ins Vorprogramm des großen deutschen Komikers- und Schauspieler Heinz Erhardt hast Du es geschafft. Und das gar nicht soweit von hier auf der Insel Borkum in den Räumen der „Heimlichen Liebe“.
Am 20. Dezember 1959 hattest Du mit dem Fanfarenzug, Deinen größten Auftritt im Niedersachsen Stadion Hannover vor 80.000 Zuschauern bei dem Fussballländerspiel Deutschland - Jugoslawien. Die Uniformen hattet Ihr inzwischen abgelegt und gegen eine schicke beige Hemd - Hosen Kombi eingetauscht. Den Spitznamen Neger hattest Du noch immer und die erste Strophe des Deutschland Liedes habt ihr auch gespielt, aber den Menschen bist Du bist heute im Gedächtnis , als guter Mensch geblieben.
Geboren wurdest Du in Borkum (vielleicht in Alfeld, die Dokumente sind da unterschiedlicher Meinung). Dein Vater fuhr zu See. Auch Du warst dem Meer verbunden. Borkum war Deine heimliche Liebe, Holland Dein offensichtliche Liebe und die Nordsee Dein Rückzugsort. Selbst hast Du eine seemännische Ausbildung auf dem Segelschulschiff Gorch Fock gemacht.

 Der Satz: „Das Meer gibt uns das Gefühl ein Teil der Ewigkeit zu sein“, ist „Dein“ Spruch. Das zumindest habe ich in Deinem Nachlass gefunden. Musikalische oder Wünsche zur Begleitung Deiner Beisetzung hast Du nicht notiert.
Und so komme ich zum Ende und zu Deinem Abschied!
Ihr alle hier wisst welche Bedeutung Musik für mich hat. Und so habe ich mir nächtelange Gedanken gemacht, welche Komposition denn wohl die passende für Deinen Abschied sein könnte. Weitere qualvolle Stunden habe ich mich dann mit „Deiner“ Blasmusik auseinander gesetzt, auf der Suche nach einem veritablen Song. Dabei habe ich viel an Dich und Dein Leben gedacht, selbst glückliche und schönes Erinnerungen bei den Melodien von James Last und Burt Bacharach Melodien gehabt, die Du mochtest, aber z. B. nicht wusstest wer Burt Bacharach ist. Denn internationale Künstler hast Du Vollendes abgelehnt. So gab es auch keine musikalische Sozialisierung über die Beatles oder gar den Rolling Stones, noch nicht einmal Elvis hatte eine Möglichkeit bei uns zu Hause.
Amüsieren musste ich mich bei der Vorbereitung auf jetzt, als ich mir Märsche anhörte und mir vorstellte,

 wie wir jetzt hier stehen und aus den Lautsprechern des Schiffes der Radetzky-Marsch oder der Lockmarsch ertönt. Natürlich hätte ich mich auch endlich freispielen können und Dich ungefragt mit einer Improvisation des wohl besten Trompetenspieler aller Zeiten, Miles Davis verabschieden können. Denn nicht nur in der Vorbereitung zur Bestattung hast Du mich mal wieder wie so häufig in unserem gemeinsamen Leben „still Gestell“, auch bereits als kleiner Junge hatte ich keine Wahl. Ich musste mir Marschmusik an hören, James Last, Heinz Schachtner, Walter Scholz oder Horst Fischer, die jede bekannte Melodie der Welt, banal, stumpf und ohne künstlerische Tiefe runterspielten. Du aber wolltest von meinen Helden Miles Davis, Dizzy Gillespie und früh Benny Goodman nichts hören. Kulturelle Identität kann sehr einseitig sein, „Neger“ Jörns!
Meine Lieblingsfilmregisseurin Sofia Coppola sagte kürzlich folgendes: „Die unerwarteten Verbindungen, die wir knüpfen, sind möglicherweise nicht von Dauer, bleiben uns aber für immer erhalten.“ Was ich hier erzählt habe ist stärker verflochten und bleibt zumindest mir immer erhalten, daher war mir dieser kleine Vortrag auch wichtig. Ich glaube schon lange nicht mehr an Zufälle. Alles macht Sinn, wenn wir uns die Mühe machen zu reflektieren, Empathie zu entwicklen und andere Sichtweisen zu verstehen.

 Ich war jahrelang wütend auf Dich, weil Du diese Attribute nicht hattest und so viele meiner wichtigen Lebensphasen komplett und verpasst hast.
Vieles verstehe ich seit dem 14. April 2023 besser als je zuvor. Nicht immer muss ein Mann sich erklären, um würdevoll, dass zutun, was ein Mann tun muss. Selbst wenn es eben die Gründung eines deutschen militaristisch geprägten Spielmannszug kurz nach dem 2. Weltkrieg ist.
Zusammengefasst habe ich mich also für die Komposition Deines Lebens dem „Zapfenstreich“ entschieden, auch weil es dazu eine der schönsten Momente eines Filmes zu erzählen gibt, der die eigentliche Wirklichkeit und somit ehr peinliche Verwendung des militaristischen „Zapfenstreichs“ auflöst und weitergedacht: ...im besten Sinne die Loyalität einer Beziehung zwischen 2 Männern in dem Film „Verdammt in aller Ewigkeit“ zeigt, die so zweifelsohne Deinem Abschied und letzen Geleit einen würdevollen und wahrhaftigen Moment verleihen soll.
Dein Verlust ist schmerzhaft, aber Deine unausgesprochene Botschaft der Liebe und Freundschaft wird immer bei uns sein. Mögest Du in Frieden ruhen und in den himmlischen Klängen der Blasmusik Deine ewige Freude finden.

 ZAPFENSTREICH!!!!

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